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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

19. 3. 2011 - 09:03

Lang ist keine Kunst

David Albahari hat mit "Die Kuh ist ein einsames Tier" die schwierigste Prosaform erneut gemeistert.

Verlage mögen keine Kurzgeschichten. Sie sind schwer anzupreisen und noch schwerer zu verkaufen. Für Kurzgeschichten, die erst ins Deutsche übersetzt werden müssen, gilt das um so mehr. Es bedarf also hervorragender Argumente, um fremdsprachige Kurzprosa zu publizieren. Im Fall von "Die Kuh ist ein einsames Tier" sind das mit David Albahari ein eingeführter Autor mit Stammpublikum und mit dem Serbien-Schwerpunkt auf der Leipziger Buchmesse (17. -20. März) eine Vermarktungsplattform.

David Albahari von den Schultern aufwärts vor einer grünen Hecke

Rocco Thiede

LeserInnen können sich über das Zusammenkommen dieser Umstände glücklich schätzen, denn David Albahari ist ein Meister der Verdichtung, wie es Kurz- und Kürzestgeschichten, die wahrscheinlich schwierigsten Formen der Prosa, fordern. Dies wird nicht nur durch den Ivo-Andrić-Preis belegt, den er 1982 für die Kurzgeschichten in "Beschreibung des Todes" erhalten hat, Albahari verdeutlicht das auch mit seiner aktuellen Erzähl-Sammlung "Die Kuh ist ein einsames Tier". 120 Kurzgeschichten, teilweise nur einen Satz lang, auf 137 Seiten, dichter geht es kaum.

In wechselnden Perspektiven springt Albahari leichtfüßig von Thema zu Thema. Er schreibt vom Aberglauben, von Zufällen, vom Schicksal, von Ausschweifungen, von Freundschaften, von der Angst, vom Lesen und Schreiben, von der Liebe und vom Tod. Augenzwinkernd erzählt er Geschichten von der Schönheit der Sätze, und wie schwer es ihm fällt, sich bei ihrer Konstruktion nicht ablenken zu lassen. Die Titelgeschichte ist beispielgebend für das gedankliche Abgleiten am Schreibtisch (aus dem dann doch eine gute Geschichte entsteht). Die Kuh steht einsam im Titel, die anderen Tiere im Korpus der Geschichte. Der erste Gedanke des Schriftstellers gilt einer Katze, von ihr schweift er ab zu seinen Hunden und es entwickelt sich eine Kette von Assoziationen, die sich über einen Uhu, einen Walfisch, Schlangen und Bienen zieht und schließlich bei Delfinen endet. Mit jedem dieser Tiere hat Albahari einen Gedanken abgehandelt, von Einsamkeit bis Stille, Hoffnung und und Brüchigkeit der Welt.

Manche von Albaharis Geschichten sind surreal und kommen den Fans postmodernen Schreibens entgegen. Die Geschichte vom Vater etwa, der seinen Kindern aus jeder Stadt, die er besucht, eine Postkarte schickt. Jedesmal schreibt er allerdings die gleichen Worte, die gleichen fünf Sätze auf die Postkarte. Die Kinder erfreuen sich jedes Mal an der unterschiedlichen Bedeutung des Geschriebenen. Andere Geschichten sind einfach nur komisch, wie die über Peter Handke, der, nachdem er auf einer Party lang und breit sein Verständnis von der Sprache und vom Schreiben darlegt, einfach stehengelassen und nicht wichtig genommen wird.

Buchcover von David Albaharis Kurzgeschichtensammlung "Die Kuh ist ein einsames Tier".

eichborn verlag

David Albahari, "Die Kuh ist ein einsames Tier", übersetzt von Mirjana und Klaus Wittmann ist 2011 im Eichborn Verlag erschienen.

Der gebürtige Serbe Albahari, der seit 1994 in Kanada lebt, beginnt seine Erzählungen oft mit einer Beobachtung von scheinbar banalen Dingen, von Bekanntem, Trivialem oder er beobachtet andere Beobachter. Die harmonischen Bilder, die er kreiert, bleiben bei den LeserInnen hängen. Noch mehr brennt sich aber in die Erinnerung ein, wenn Albahari diese Bilder zerreißt und sie mit einem Schwung ausradiert, mit einem Faustschlag, mit drei Kugeln aus einem Revolver oder mit einer Bierflasche, die jemandem über den Schädel gezogen wird. So unerwartet, abrupt und hart wie die Opfer der Geschichten trifft Albahari auch seine LeserInnen, die er schockiert und verstört zurücklässt, und das nicht nur bei den Geschichten, die blutig enden.

Die Verwirrung am Schluss, der Moment des Nachdenkens über die gerade erfahrende Irritation oder den gedanklichen Input ist den meisten Erzählungen gemeinsam. Erzählungen würden sich ohnehin alle gleichen und zum selben Ziel führen, lässt Albahari seinen Erzähler sagen. Seine Kunst bestünde nun darin "den, der eine Erzählung hört oder liest, glauben zu lassen, dass die Erzählung, die er gerade hört oder liest, doch anders ist als die anderen. Das Erzählen ist also ein Hinters-Licht-Führen". Die richtige Geschichte nämlich, auf die der Erzähler jahrelang wartet, "die gleichzeitig schmuck und demütig, hehr und seicht, einfacht und verzwickt ist, wenngleich auch so klar, so genau und allumfassend, so voller Schmerz und Sehnsucht, Erinnerung und Vergessen" ist, die verschwindet sowieso in dem Augenblick, in dem man sie findet.

Auch wenn David Albahari seine "richtige Geschichte" nicht hat aufschreiben können, die Geschichten aus "Die Kuh ist ein einsames Tier", sind es allemal wert gelesen zu werden, und zwar immer und immer wieder.