Erstellt am: 4. 11. 2010 - 16:00 Uhr
Yugoslavia revisited
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In österreichischen und deutschen Buchhandlungen blieben die Vertreter jugoslawischer Literatur über Jahrzehnte dieselben. Denn die Autoren, die neben Ivo Andrić, dem Literaturnobelpreisträger von 1961, der mit der "Brücke über die Drina" eine wunderbare Geschichte über das Zusammenleben der Kulturen in Bosnien/Jugoslawien geschrieben hat, und dem nicht minder begabten Miroslav Krleža ins Deutsche übersetzt und auch rezipiert wurden, lassen sich wahrscheinlich an den Fingern einer Hand abzählen.
Da wäre Danilo Kiš, der mit "Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch" in sieben Kurzgeschichten das Scheitern von sieben jungen Revolutionären zeigt und wegen seiner Kritik am real existierenden Sozialismus auch nach Frankreich emigrieren musste, zum anderen Meša Selimović, dessen Roman "Der Derwisch und der Tod" als Parabel für die Konfrontation des Intellektuellen mit der Macht gelesen wurde.
Otto Müller Verlag
Vom bürgerlichen Schriftsteller Bora Ćosić wurde vor dem Krieg nur ein Buch übersetzt: "Wie unsere Klaviere repariert wurden", und nicht einmal "Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution", für das er mit dem NIN-Preis, einem der wichtigsten jugoslawischen Literaturpreise, ausgezeichnet wurde.
Vertreter der in Jugoslawien populären Partisanenromane schafften es selten in deutsche Buchläden, geschweige denn in Feuilletons.
Krieg als kulturelles Kapital
Literatur aus Jugoslawien wurde im Westen erst wieder interessant, als sich der Staat aufzulösen begann. Als auf dem Balkan der Krieg ausbrach, wollte man von den LiteratInnen die Hintergründe erklärt bekommen. Man wollte wissen, wie es möglich war, dass im Südosten Europas Grausamkeiten geschehen, die man in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen hatte.
orf - hummel
Oftmals leistete der Klagenfurter Wieser-Verlag dabei die Vorarbeit. Der Verleger Lojze Wieser öffnete für viele post-jugoslawische AutorInnen, unter höchster persönlicher Anstrengung, die Türen in den Westen. Durch seine Hilfe konnte unter anderem Dževad Karahasan aus dem belagerten Sarajevo nach Österreich fliehen.
Die Übersetzungen verzerrten aber oft die Relevanz von Schriftstellern: Dževad Karahasan etwa ist in Bosnien mehr als Dramaturg denn als Schriftsteller bekannt.
Es gab nicht viele AutorInnen, die während der Kriege in Jugoslawien und seinen Nachfolgestaaten blieben. Sie gerieten nicht nur unter Gewehrfeuer, sondern auch in den Beschuss nationalistischer Medien. Stimmen, die zur Vernunft aufriefen oder beruhigen wollten, wurden in der aufgeheizten Stimmung nicht nur nicht gehört, sondern offen angegriffen. In Kroatien etwa wurden die Schriftstellerinnen Slavenka Drakulić, Dubravka Ugrešić gemeinsam mit drei weiteren Frauen als die "fünf Hexen" gebranntmarkt, weil sie den kroatischen Nationalismus unter dem Präsidenten Franjo Tudjman nicht mittragen wollten.
Bvt Berliner Taschenbuch Verlag
Der Prophet im eigenen Land gilt bekanntlich nichts, doch die SchriftstellerInnen setzten sich im Ausland durch. Dubravka Ugrešić, in Kroatien als "Jugonostalgikerin" gebrandmarkt, analysierte mit ihren Essays, die sie in "Die Kultur der Lüge" veröffentlichte, treffend die nationale Hysterie in Kroatien und mit ihrem Roman "Das Ministerium der Schmerzen" die diskursive Konstruktion der jugoslawischen Identität.
Es scheint fast so, als wäre der Krieg für die schriftstellerischen Karrieren der AutorInnen ein Glücksfall. Die Literaturwissenschaftlerin Nadja Grbić betrachtete die Kriege in Jugoslawien auch als Anhäufung von kulturellem Kapital im Literaturbetrieb.
Alles verloren
Doch die Brüche in der Persönlichkeit kann der publizistische Erfolg wohl nicht wettmachen. Edo Popović etwa unterbricht nach seinem Kultbuch "Mitternachtsboogie" (eine Rezension dazu folgt demnächst), in dem er Zagrebs "No-future-Generation" der 1980er Jahre beschreibt, seine literarische Laufbahn und wird Kriegsreporter. Es dauert Jahre, bis er seine Erfahrungen im Krieg literarisch verarbeiten kann.
Suhrkamp Verlag
Viele kommen mit Flucht und Emigration nicht klar. David Albahri etwa ist einer unter vielen SerbInnen, die mit dem Krieg das Land verlassen haben. In seinem Roman "Mutterland" erzählt er eine sehr persönliche Geschichte von Identitätsverlust und Sprachlosigkeit, die mit der Emigration einhergehen. Sein Protagonist ist nur einer der vielen AuswanderInnen, die sich in der neuen Heimat nicht zurechtfinden.
Aber es gab auch diejenigen, die im Land blieben und dort die Fahne der Intellektuellen hochhielten, etwa Dragan Velikić. Er leistete von Belgrad aus Widerstand gegen die Politik Slobodan Miloševićs, unter anderem als Chefredakteur des regimekritischen Radiosenders B92 Aber auch seine literarischen Arbeiten, wie "Stimme aus der Erdspalte", zeichnen ein altenatives Bild von Miloševićs Serbien. 1999, am Höhepunkt des Kosovo-Krieges, muss Velikić schießlich doch emigrieren, nach dem Sturz Miloševićs wird er serbischer Botschafter in Österreich.
Das genaue Programm ist hier einzusehen.
Yugoslavia revisited
Der Zerfall Jugoslawiens ist jetzt bald 20 Jahre her (je nachdem, welchen Zeitpunkt man dafür heranzieht), und im Kulturverein Alte Schmiede sah man den Zeitpunkt gekommen, auf den Staat im Südosten Österreichs zurückzublicken. War Jugoslawien gut oder schlecht? Hätte das Land unter anderen Umständen weiter existieren können?
Rausch, Sex und ein Erwachen mit Kater
Edo Popovićs "Mitternachtsboogie", das kroatische Kultbuch der 1980er, ist jetzt erstmals in deutscher Übersetzung erschienen.
Wie schon die letzten beiden Jahrzehnte leiten uns auch jetzt SchriftstellerInnen bei diesem Rückblick an. SchriftstellerInnen, die undogmatisch an diese Fragen herangehen. Dževad Karahasan, Dragan Velikić, Slavenka Drakulić, Edo Popović und viele andere SchriftstellerInnen und PolitikerInnen (u.a. Wolfgang Petritsch, der ehemalige Hohe Repräsentant für Bosnien-Herzegowina) werden ein ganzes Wochenende im Theater Odeon über den ehemaligen Staat, seine "Gedächtnislandschaft" und seine Zukunft sprechen, und vor allem aus ihren Büchern lesen.