Erstellt am: 5. 11. 2010 - 15:58 Uhr
Rausch, Sex und ein Erwachen mit Kater
Voland & Quist
"Mitternachtsboogie" wurde von Alida Bremer übersetzt und ist bei Voland & Quist erschienen.
Die Zukunft ist fern im letzten Jahrzehnt der Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien. Die Wirtschaft ist in der Krise und das politische System liegt in den letzten Zügen. Die Stimmen, die hetzen und den Staat in Frage stellen, werden immer lauter. Was liegt näher, als sich aus dem ganzen Trubel auszuklinken?
Edo Popović macht diesen Schritt stellvertretend für eine ganze Generation junger JugoslawInnen. In seinem Roman "Mitternachtsboogie", der zwischen Zagreb und Berlin angesiedelt ist, gibt es nur den Protagonisten Edo und seine elementaren Bedürfnisse: ficken, saufen und kiffen.
Politik wird ausgeblendet, jede Beziehung zur Wirklichkeit geleugnet und diejenigen, die nur rationale Lösungen zulassen, werden verachtet.
"Alles muss WENDERS werden"
Die Welt wie sie ist, ist scheiße. Eine andere Wirklichkeit kann man sich aber nur mit einer Sprache schaffen, einer Sprache, die nicht von den Bannerträgern der hohen Literatur gefangen gehalten wird.
Yugoslavia revisited
Literatur aus Jugoslawien als Mittlerin für Land und Leute: Ein Streifzug von Ivo Andrić bis David Albahari.
- Wenn du etwas Neues sagen oder schreiben willst, musst du dir eine neue Sprache ausdenken, die sich von allen bisher bekannten Sprachen total unterscheidet.
- Oder eine neue Tinte.
Voland & Quist
Edo Popovićs Sprache ist musikalisch. Zwischen den Zeilen dröhnen die Bässe und schlagen die Trommeln. Er taucht seine Feder in die Tintenfässer von Allen Ginsberg, Arthur Miller und Charles Bukowski und erzeugt zur Musik von den Stooges, Miles Davis und den Doors unter dem Einfluss von Rainer Maria Fassbinder und Wim Wenders einen manischen Textstrom, der zwischen Wachsein und Traum oszilliert.
"Mitternachtsboogie" ist ein Roman schwarz wie die Nacht. Es wird gesoffen, um zu vergessen, sogar, dass man gesoffen hat. Philosophische Gedanken ergießen sich über Bartresen, die immer auch Ausgangspunkt für sexuelle Anbahnungen sind. Denn zwischen Sich-Betrinken, Rausch und Kater ist der Protagonist immer auf der Suche nach Frauen und Sex.
Die Jagd nach Frauen stellt sich aber oft schwieriger dar als angenommen, denn meistens findet Edo nur "Ausschussware". Wanja fällt wegen einer Geschlechtskrankheit für's Vögeln flach und mit übel gelaunten, politisierten Intellektuellen will er sich nicht herumschlagen.
Von Ursula lässt sich der Protagonist schließlich mit Parolen ködern und Nana und Snježana treffen wir im Roman immer wieder. Die Beziehungen bleiben aber rudimentär, alles geht zu Bruch. Im damaligen Jugoslawien gibt es für nichts eine Zukunft.
Aufwachen mit einem Kater
Edo Popović liest heute, den 05. November um 21:00 im Rahmen des Literaturfestivals "Yugoslavia revisited" im Odeon-Theater in Wien.
"Mitternachtsboogie" war 1987 Edo Popovićs erster Roman.
Erst jetzt, 23 Jahre später, ist er ins Deutsche übersetzt worden. Dazwischen lagen mit "Ausfahrt Zagreb Süd" (2006), "Kalda" (2008) und "Die Spieler" (2009) drei Romane und der Krieg, der Popovićs Schriftstellerkarriere für mehr als ein Jahrzehnt auf Eis legte. Statt literarischer Texte verfasste er Reportagen von den Kriegsschauplätzen. Diese flossen auch in den Erzählband "Der Traum der gelben Schlangen" ein. Die zentrale Erzählung daraus, "Unter dem Regenbogen", wird als eine der besten Geschichten über den Krieg in Jugoslawien bezeichnet. Sie wurde der deutschen Ausgabe von "Mitternachtsboogie" angefügt, und schließt so den Kreis: In einer nüchternen und klaren Sprache zeichnet Popović den Krieg als ein Aufwachen mit Kater, der vom Rausch in "Mitternachtsboogie" blieb. Der Träumer ist aufgewacht, aber die Realität ist ein Alptraum.