Erstellt am: 18. 2. 2011 - 16:25 Uhr
Randnotizen aus Berlin II
- Randnotitzen aus Berlin I mit Iron & Wine, PJ Harvey und Noah & The Whale
Ein paar Berlinale Filme werden sich bis Sonntag auf jeden Fall noch ausgehen, mit dem Screening von Marie Kreutzers "Die Vaterlosen" (eine unglaublich clever gestrickte und auf vielen Ebenen berührende Geschichte rund um eine Familie, die nach dem Tod des Vaters ihre Kommunen-Vergangenheit hinterfragt, sich davon erholt oder nach ihr sehnt) war schon mal ein filmisches Highlight sichergestellt. Alles was ich über den Film gewusst habe, war, dass David Hebenstreit aka Sir Tralala den finalen Hitsong dafür geschrieben hat. Und wer wenn nicht er - der Perfektionist - schafft es, beim Nachspann alle angesprochenen Themen auf den musikalischen Punkt zu bringen. Das Ende einer Talfahrt zu vertonen. Genau das war es nämlich. Bestens. In Österreich ist der Film bei der Diagonale zu sehen.

ondrusova
Jede U-Bahn-Fahrt hier in der Stadt heißt: einen Filmnamen, der mir vom U-Bahn-Bildschirm entgegenlacht, ins Handy tippen, um zu überprüfen, ob sich dies oder das ausgehen könnte. Apropos U-Bahn-Fahrt: Man sollte in der U-Bahn vielleicht nicht lesen. In Vorbereitung auf die PJ Harvey Feierlichkeit nächsten Montag und Dienstag im Admiralspalast und weil man bei kleinformatigen Büchern mehr Kleidung in den Koffer pressen kann, trage ich drei Bücher der überaus empfehlenswerten 33 1/3 Reihe mit mir rum. Bücher, in denen verschiedene Autorinnen ein wichtiges Albumwerk in ihrem popkulturellen Kontext erklären, hinterfragen, darstellen, ausstellen.
Popkulturelle Büchleins für fußnotenbedürftige Nerds aka Interessierte aka Suchende. In meinem Rucksack findet sich eines zu Belle&Sebastians "If you´re feeling sinister", Jeff Buckleys "Grace" und PJ Harveys "Rid Of Me". Letzteres fallt aus dem journalistischen Rahmen, denn für "Rid Of Me" hat sich die Autorin Kate Schatz zu einem fiktiven Zugang entschlossen. Anstatt zu erklären, wer wie wo und wann an "Rid Of Me" gearbeitet hat und wer wie wo und wann darüber was und warum geschrieben oder gesagt hat, lässt sie sich von den Songs und Stimmungen auf "Rid Of Me" zu einem phantasievollen Prosatext inspirieren. Mit Charakteren und Handlungen, bei denen Songtextfragmente zitiert werden. Das ist weitaus mutiger als Recherche zu betreiben und weitaus schwieriger als verschiedene Metaphern für eine 9.9 Pitchfork Rezension zu erfinden. (Oder Worte für die 2.1 Pünktchen Review der faden Mumford & Sons zu finden).
Also das lese ich gerade. Überall. Nur nicht mehr in der U-Bahn, denn letzten Mittwoch hab ich es geschafft eine Fahrt zur kanadischen Botschaft von 20 auf 45 Minuten auszudehnen und genau viermal falsch umzusteigen. Einmal zu weit, einmal in die falsche Richtung, zweimal überhaupt in der falschen Bahn in die falsche Richtung. Dort wo ich wohne fährt nämlich keine U3 (oder U4?) vom gegenüberliegenden Bahnsteig einer U2 (oder U3?). Und dort wo ich wohne beginnt auch kein Konzert zur angekündigten Uhrzeit, was wiederum erklärt, warum ich nicht erzählen kann, ob Noah&The Whale live was taugen oder nicht. Ich bin hoffnungslos verspätet zu ihrem Valentinstag-Konzert gekommen. Egal! Was auf jeden Fall pünktlich anfängt sind Filme!
Filmscreenings in der kanadischen Botschaft von einer am Höhenflug befindlichen Superband wie Arcade Fire. Die Botschaft hat zu einem Screening von Spike Jonze "Scenes From The Suburbs" geladen und zur anschließenden Fragestunde mit Regine Chassagne sowie Win und Will Butler, die nicht nur im Film zwei Soldaten spielen, sondern auch am Drehbuch mitgewirkt haben. (Win Butler sollte später noch erklären, das sein Bruder als Script Supervisor dafür zuständig war die Continuity des Drehs zu überwachen, also zum Beispiel verrückte Coladosen wieder geradezurücken.)

arcade fire
Wer von einem 30-minütigen Film die ersten 13 Minuten verpasst, so wie ich, hat jedenfalls einen Faden und Handlungsrahmen verloren und kann nur über Stimmungen berichten und allgemeine Beobachtungen wiedergeben. Zum Beispiel, dass das Suburbs-Video eine komprimierte Fassung von "Scenes From The Suburbs" ist. Und die Band Spike Jonze liebt, obwohl er "bold & short" ist (=Jetlag beeinflusster Witz). Weil er mit demselben professionellen Enthusiasmus ein Skateboard Video dreht, wie sich sieben Jahre lang an "Where the wild things are" vorausgabt und weil er die Band am Set vom "Scenes from the suburbs"-Dreh in die Kunst des Filmemachens einweiht.
Bei "Scenes from the suburbs" kommt auffallend wenig Musik aus dem Album vor. Einzig im Nachspann wird das passende "Suburban War" ausgespielt. Der Kurzfilm scheint eine düstere Übersetzung der Themen zu sein, die auf Albumlänge eher melancholisch als trostlos (nicht zu verwechseln mit "gelangweilt") klingen. Die Themen: Jung sein, Freunde sein, Erwachsen werden & auf diese Dynamik irgendwann zurückblicken. Zum "sicheren, geregelten" Alltag im Vorstadtleben gesellt sich im Film die Ebene des bedrohlich Autoritären. Prügel und Polizei und Kontrolle und Hoffnungslosigkeit. Den Protagonisten im Film wird übel und bedrohlich mitgespielt, woher und warum erklärt sich aus dem postapokalyptischen Zusammenhang nicht wirklich. Win Butler erklärt noch, dass er mit seinem Bruder Terry Gilliam Filme geschaut hat, in einem Alter in dem sie nicht hätten dürfen. Und meint auf die Frage, warum sich im Film die Vorstadt zu einer "warzone" verwandelt so:

arcade fire
"It's very much about the relationships of the kids and I think a lot of times in science fiction its almost secondary to the story, which is really kind of about relationships and to me it enables you to give a context to those relationships and the intensity of feeling that i think a lot of people who are that age have. I know when I was a kid I used to daydream about kind of postapocalyptic stuff a lot cos growing up in the suburbs it´s almost like an escape in a way. Trying to think about the world in a different way!"
Und dann konkreter:
"In a lot of ways it´s the way songwriting works: you really start with a feeling and it is not necessarily about the plot points of a song, you don't even necessarily need to speak the same language to be able to get the feeling and to me the film is very much about trying to talk about these relationships and the feelings of that age!"

ondrusova
Bei der Fragestunde war die Band zwar sichtlich gut gelaunt, aber von den Ereignissen rund um ihre Awards-Reisen angeschlagen und müde. Von Montreal ging es für Arcade Fire nach LA zu den Grammys, dann nach London zu den Brits und eben nach Berlin. Dass sie für "The Suburbs" mit einem Grammy ausgezeichnet wurden, erinnert Win Butler an das Wahlergebnis Obamas in North Carolina. Es war doch schier unmöglich sich vorzustellen, dass Obama diesen Staat für sich gewinnt, so wie es doch unmöglich war, dass eine "Indie-Band" einen Grammy bekommt und nicht Lady Gaga. (Zur Relation und Bedeutung: Neil Young hat erst letztes Jahr einen Grammy bekommen, lässt Conor Oberst ausrichten.)

arcade fire
Dass am Tag nach den Awards die Frage "Who is Arcade Fire" in den Top 10 der Google Suchabfragen auftauchte, hat die Band amüsiert. Es schien ein wenig verfrüht und unpassend, die Band weiter zum Grammy Aftermath zu befragen.
Bis zum Livetermin in Wiesen bleibt noch ein wenig Zeit, um dieses Kapitel zu verdauen und sie dann vielleicht gezielter um eine Analyse zu bitten. Bedeutet der Grammy-Gewinn eine neue Zeitrechnung im Indie-Universum (á la Nevermind) oder fällt die gut gemanagte Arcade Fire Firma sowieso in eine andere noch zu erfindende Kategorie?
Weitere Fragen, die nicht ausreichend geklärt werden konnten: Warum die Band eigentlich keine richtigen Musikvideos macht (ausgenommen natürlich das von Google finanzierte Video zu "We Used To Wait" Das Argument, dass es dafür kein Medium mehr gibt, stimmt so natürlich nicht, weil es das Internet gibt. Aber vielleicht sind sie mit "Scenes From The Suburbs" nun endlich auf den Geschmack gekommen. Neo-Filmemacher Arcade Fire müssen ja nicht gleich wie Michel Gondry oder Spike Jonze sein wollen oder es so ambitioniert betreiben, wie PJ Harvey. Die Musikerin will nämlich für jeden einzelnen Song auf "Let England Shake" einen eigenen Videoclip veröffentlichen. Yes, you can.

ondrusova