Erstellt am: 14. 2. 2011 - 11:19 Uhr
One (Wo)Man-Show
Am Anfang stehen Wohlfühlbilder, denen man nicht so recht trauen will. Ein älterer Mann umarmt seine weißhaarige Mutter, streichelt sein Kind, fährt mit dem Auto gemütlich zum Einkaufen in die Stadt. Die Sonne blinzelt durch die Scheibe, eine Opernarie erfüllt das Fahrzeug.
Schon bald endet die Idylle aber im Blutbad. Während sein kleiner Sohn im Freien verstört auf den Vater wartet, durchlöchern 22 Kugeln den Ex-Gangsterboss Charly Mattei in einer Tiefgarage. Aber dieser Film heißt im französischen Original nicht umsonst "L'immortel", der Unsterbliche. Monsieur Mattei überlebt wie durch ein Wunder und schwört Rache.
"22 Bullets", das ist vor allem eine Jean-Reno-Oneman-Show. Das markante Antlitz des mittlerweile 62-jährigen Franzosen, der seit seinem Durchbruch als schweigsamer Profikiller Léon immer wieder zu grimmigen Ganovenparts zurückkehrt, füllt charismatisch die Leinwand aus.
Der Film von Richard Berry, der selbst als Schauspieler oft in ähnlichen Streifen zu sehen ist, erzählt aber auch eine Geschichte. Und die kennt man halt schon zur Genüge und besser aus anderen Streifen. Die Story vom alten Fädenzieher, der aus dem urbanen Krieg aussteigen will und an seinen Partnern zu scheitern droht, reiht vertraute Klischees aneinander.
Wieder einmal wird uns die Mafia als nicht so ehrenwerter Verein vorgeführt, bei dem Familiensinn, teure Kleidung und gutes Essen mit brutalem Business Hand in Hand gehen.
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Mit heftigen Schusswechseln und einschlägigen Actionsequenzen streckt Richard Berry seinen Film. Dabei verdanken sich die spannendsten Momente aber den Dialogen. Wenn der Aussteiger Charly Mattei etwa mit seinem gewissenlosen Ex-Kumpel Zac über Moral parliert, dann geht es dabei dem Wesen des Verbrechens auf den Grund.
"Du lebst zurückgezogen, schiebst eine ruhige Kugel, urteilst über andere", attackiert der rücksichtslose Mörder seinen einstigen Blutsbruder. "Du glaubst, du bist anders, Charly. Besser. Aber wir ähneln uns. Du bist nicht besser. Wir haben beide krumme Dinger gedreht. Leute mussten sterben. Das kannst du nicht auslöschen. Du hast wie ich Blut an den Händen. Das geht nicht weg."
Die selektive Moral, mit der sich Mattei den Dingen nähert, will der finstere Zac nicht akzeptieren. "Erpressung ja, Drogen nein. Rache ja, aber die Familie nicht anfassen. Schießen ja, aber nicht auf Polizisten. Das ist Folklore. Böse bleibt böse. Das muss man akzeptieren."
Dabei ist es gerade der verbogene, windschiefe Humanismus der Hauptfigur, einer Glanzrolle für Jean Reno, der dieses stereotype Mafiaepos letztlich sehenswert macht. In einer Action-Kinowelt, in der Pessimismus und Düsternis auch schon wieder zur Pose erstarrt sind, wirkt die finale Versöhnlichkeit von "22 Bullets" beinahe erfrischend.
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Gar nicht gewalttätig geht es in einem anderen europäischen Film zu, der auch gerade in ausgewählten heimischen Kinos angelaufen ist. Dabei steht in dem auf Festivals bereits gefeierten "I Am Love", im Original "Io sono l'amore", ebenfalls eine reiche Familie im Zentrum.
In langsamen Kamerafahrten zeigt der italienische Regisseur und Autor Luca Guadagnino den Alltag eines Mailänder Industriellenclans zwischen edler Architektur, teurer Mode, prunkvollen Empfängen. Aber wie meistens trügt der schöne Schein.
Unter der luxuriösen Fassade schlummert nicht nur ein dubioses politisches Erbe, war doch die Modedynastie Recchi im zweiten Weltkrieg mit der faschistischen Diktatur verbandelt. Auch unerfüllte Leidenschaften und verbotene Begehren köcheln. Vor allem die russische Ehefrau des grobklotzigen Patriarchen fühlt sich einsam in ihrem goldenen Käfig.
Als Emma von den lesbischen Neigungen ihrer Tochter erfährt, gibt sie ihren eigenen unterdrückten Gefühlen nach. Die frustrierte Frau beginnt eine Affäre mit dem jungen Koch Antonio, die bald intensive Züge annimmt und die Oberschicht-Idylle bedroht.
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Auf der einen Seite die Kälte der großbürgerlichen Villa. Als Kontrast dazu das ländliche Rückzugsgebiet des geheimen Liebespaars. "I Am Love" zeigt Sex als sinnlichen Ausbruchsversuch aus einer kapitalistischen Enge. Leider verstrickt sich Guadagnino dabei immer wieder in plumpe Symbolik.
Er bebildert die erotische Rebellion mit malerischen Naturaufnahmen von Blumen und Bienen und macht auch vor Haubenküche als sexueller Metapher nicht halt.
Sieben Jahre hat der Regisseur daran gearbeitet, ein klassisches Melodram im Stil seiner Vorbilder Luchino Visconti und Douglas Sirk zu erschaffen. Die Dekors und Versatzstücke stimmen, leider fehlt es dem mondänen Epos aber an Dringlichkeit und Intensität.
"I Am Love" ist, was manche Kritiker Tom Fords Meisterwerk "A Single Man" völlig zu Unrecht vorgeworfen haben: ein viel zu distanzierter und gelackter Film, der Tiefe eher vorgaukelt.
Fans der großen Tilda Swinton, die nach Ausflügen in das Mainstreamkino nun wieder in vertraute Arthouse-Gefilde zurückgekehrt ist, kommen an dem Streifen aber nicht vorbei. Als Emma bringt sie fragile Emotionen in das zu gediegene Geschehen und sorgt für schmerzhafte Momente in einem Film, dessen Zielgruppe wohl am ehesten die Genießer teuer Weine und passionierte Toskana-Urlauber sein dürften.
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