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Pia Reiser

Filmflimmern

27. 4. 2010 - 12:10

Firth cut is the deepest

Meine Forderung: eine Ford-Ehrung. Tom Fords "A Single Man" ist ein Hochglanzfilm mit einem glänzenden Colin Firth. Her mit dem Oscar, Jeff Bridges!

Es wird balkenbiegend gelogen in "A Single Man". Mindestens viermal äußert jemand Collegeprofessor George Falconer gegenüber die wenig schmeichelhaften aber gut gemeinten Worte. "You look terrible, George". All diese Figuren haben wohl Colin Firth noch in keinem anderen Film gesehen, denn er sieht fan-tas-tisch aus. Firth, der sich ansonsten hauptsächlich als Hugh Grant Ersatz bzw. Gegenspieler durch meistens eher mittelmäßige Produktionen spielt, in denen sich nie jemand die Mühe gemacht hat, ihn attraktiv erscheinen zu lassen (geschweige denn die Haare zu bürsten), spielt sich mit "A Single Man" raus aus der romcom-Liga.

Colin Firth in dem Film "A Single Man"

Constantin FIlm

Er schlüpft in die ohnmachthervorrufend gut geschnittenen Anzüge der Tom Ford Menswear und in die Rolle des George, der im kalifornischen Vorort mit dem Unfalltod seines Freundes Jim (Matthew Goode) konfrontiert wird. Es ist 1962, vom Stonewallaufstand und Harvey Milk ist man meilenweit entfernt. Als Homosexueller bleibt man in the closet und verriegelt sich drinnen auch lieber, George kann weder die Beerdigung Jims besuchen, noch öffentlich trauern. Es gilt also die Fassade zu wahren und zu perfektionieren. Fassadenperfektionierung einer anderen Art ist ja ebenfalls das Spezialgebiet des Regisseurs: Modemacher Tom Ford, der Texaner und Gucci-Sanierer, der Wälzer über richige Bartstoppellängen und Pamphlete über die richtige Anzahl der offenen Hemdknöpfe schreiben könnte, hat Christopher Isherwoods Roman "A Single Man" zu seinem Regiedebüt gemacht. Und dabei alles richtig.

Kuss zwischen den Schauspielern Matthew Goode und Colin Firth in "A Single Man"

Constantin FIlm

24 Stunden mit George

Einen Tag lang hängt man an Georges Rockzipfel, ein Tag, den er als seinen letzten geplant hat. Zerstört von Jims Tod, beschließt George der Welt Adieu zu sagen. Nicht, ohne sich vorher um seine Angelegenheiten zu kümmern. Denn wie bei Regisseur Ford ist auch bei George die Disziplin neben der Ästhetik Lebensprinzip. Und so sieht "A Single Man" auch aus: Jedes Bild dieses Films wurde akkurat geplant, poliert und gestriegelt, jede Einstellung ist eine Verbeugung vor der Schönheit von Dingen. Das kommt mir und meinem Glauben, dass Industriedesign, Mode, Grafik, Typografie und Möbel in den 60er Jahren ihren Schönheitszenit feierten, sehr entgegen. Wär "A Single Man" ein Einkausfzentrum, an meiner Tür würden jetzt mehrere Kuckucks picken. Retrospektiv kann man sich ja noch dazu so herrlich der Selektion bedienen, wirklich nur die Glanzstücke heranziehen und eventuelle visuelle Ausrutscher der echten 60er Jahre verschweigen. In Fords Bildern sind keine Schnitzer, sie sind Augenweiden, überhöht, inszeniert, stilisiert und paralysierend.

Zwei Männer auf einem Parkplatz an einem Auto lehnend und rauchen; Szene aus dem Film "A Single Man"

Constantin FIlm

Ist Georges Welt zu Beginn noch grau und trist im Gegensatz zu den Erinnerungen an Jim, in denen nicht grad mit der feinen Klinge am Farbton- und Sättigungsregler in Richtung warmes Farbspektrum gedreht wurde, so beginnen irgendwann auch Begegnungen auf George abzufärben. Im wahrsten Sinne des Wortes. In kleinen Momenten sind es grüne Augen, eine blonde Hocksteckfrisur, die geflochtenen Zöpfe eines kleinen Mädchens oder der Geruch eines Hundes, die in Georges Welt einbrechen. Tom Ford erfindet damit das Filmfarben-Rad nicht neu, aber er dreht zumindest daran und verknüpft es mit einer Funktion; keine Couleur-Effekthascherei zum reinen Selbstzweck.

Julianne Moore auf einem Sofa sitzend, Szenenbild aus dem Film "A Single Man"

Constantin Film

Hysterie und Gin

Aber auch terrible things can be beautiful sagt das Tom Ford erprobte Model Jon Kortajarena als Georges Zufallsbegegnung Carlos und fasst damit praktischerweise zusammen, was "A Single Man" ebenfalls manifestiert. Das Drama, die Trauer und das ginschwangere Selbstmitleid, in dem Julianne Moore als Georges Freundin Charly schwimmt sind von einer süßen Schwere. Julianne Moore passt als Charly so gut in die 60er Jahre wie Firth in die Ford'schen Anzughosen. Mit dünnhäutiger Sommersprossigkeit und einem Hang zur Hysterie packt sie kajalbeschmückt ein Lachen aus, das sich seit Liz Taylor in "Who's afraid of Virginia Woolf" niemand mehr in den Mund nehmen hat getraut. Es ist over-acting mit dem Nebeneffekt des Zeigens von jemandem, der sich von seinem Innenleben überwältigen lässt, der seine Wut und Frustration in die Welt rausweint und -posaunt und damit die Antithese zu George ist, der mit einem präzisen und aufgeräumten Auftreten auch sein Innenleben zu beherrschen versucht. Und das gelingt ihm so gut, dass man im Kinosaal ihn zwar leiden sieht, aber kaum mitleidet. Das wiederum ermöglicht uns den Blick auf die oben erwähnten Dinge, der George teilweise versperrt ist.

Nicholas Hoult in dem Film "A Single man"

Constantin Film

Sein Student Kenny allerdings mit seinen Mini-Mechen und dem hellen Angorapulli, der fällt ins Auge. Mir fällt auf, dass Schauspieler Nicholas Hoult, der Kenny spielt, seit "About a Boy" die bleichen Hamsterbacken gegen beachtliche Wangenknochen eingetauscht hat und Ford-Farbreglerrauschbedingt - fast ins petznersche Teint-Terrain vordringt. Die eingeölte full frontal nudity, die man oft in Fords Kampagnen finden konnte, gibt es in "A Single Man" nicht, doch zensiert Ford keine Blicke. Wenn sich jemand die Hose auszieht, um ins Meer zu laufen, dann sieht man nunmal seinen Hintern. Das fällt einem nur deswegen auf, weil männliche Nacktheit im Mainstream-Kino üblicherweise durch geschickte Leintuch-Origamitechniken vermieden wird bzw. der Blick der Kamera ohnehin traditionellerweise ein männlicher ist, und der fällt dann im Mainstream-Kino auf die Frau. Hier aber fallen Blicke auf männliche Schulterblätter, Rücken, Nacken, in Zeitlupe tennisschlägerschwingende Arme. Es ist kein Abgesang, aber zumindest doch ein Haiku auf den (sportlichen) Männerkörper.

Colin Firth und Julianne Moore auf dem Filmplakat zu "A Single Man"

Constantin Film

"A Single Man" läuft bereits in den österreichischen Kinos

Um Sex gehe es in seinem Film aber überhaupt nicht, sondern - so Ford in Interviews - "about life" und "the beauty of the world". Es ist die nicht todzuspielende Leier von den Rosenknospen, die man pflücken soll, solange es geht, es dreht sich wieder mal alles um Plasticksackerl, die americanbeautisch vom Wind verwehlt werden. Nur während ich den Plastiksackerl-Vortrag immer ein bisschen daneben fand, erweist sich Tom Ford tatsächlich als Leinwand-Zampano, der keine Angst vor der großen Geste und Pose hat.

Grausame Kinder

Doch unter der Oberfläche, hinter den makellosen Bildern steckt auch Grauen und Verunsicherung. Die Kubakrise hängt als Damoklesschwert über den Köpfen der Leute und kratzt am Scheitel. Georges Kollege redet vom Bunker und russischen Raketen, während George feststellt, dass seine Studenten nicht an Literatur interessiert sind. sondern an corporate jobs and raising families of ‘Coke-drinking, TV-watching children.. Die Zukunft schaut alles andere als rosig aus oder, wie es Keny formuliert "Death is the future". Zwei solcher oben erwähnten Kinder wohnen neben George und wir sehen sie Schmetterlinge zwischen den Handflächen zerreiben und vom Skorpion erzählen, dem sie täglich ein Insekt reinschmeißen um zuzusehen, wie er es tötet. Die homophobe Bemerkung des Vaters plappert das Mädchen nach, wippt dabei in seinen weißen Lackschuhen und sieht dabei reizend aus wie Goldlöckchens Cousine.

Colin Firth auf einem weißen Laken liegend, Szenenbild aus dem Film "A Single Man"

Constantin Film

Das sei alles style over substance kann man häufig über "A Single Man" lesen, die haben alle nicht genau hingesehen oder automatisch einer schönen Oberfläche fehlenden Tiefgang attestiert. Oder haben einfach nicht gesehen, dass in superficial in dem Fall das Wort super wirklich drinsteckt.