Erstellt am: 9. 2. 2011 - 12:26 Uhr
Ich gehe den Alleingang
Zum 80. Geburtstag von Thomas Bernhard
- Erinnerungen an Thomas Bernhard: 2009 hat sich Arthur Einöder zum 20. Todestag von Thomas Bernhard auf die Spuren des Literaten begeben.
- Ich gehe den Alleingang: Die Neuerscheinungen zu Thomas Bernhards 80. Geburtstag
Mehr Literatur:
Heute wäre Thomas Bernhard also 80 Jahre alt geworden. Zu seinen Lebzeiten hat er polarisiert, Theater- und Literaturskandale heraufbeschworen und zuletzt in seinem Testament verfügt, dass seine Werke in Österreich bis zum Ende des gesetzlichen Urheberrechts nicht veröffentlicht, aufgeführt oder vorgetragen werden. Dieses Ende des gesetzlichen Urheberrechts wäre im Jahr 2059. Nachdem Thomas Bernhard aber aus dem Grab heraus nicht mehr keppeln kann, wird munter aufgeführt, verlegt und veröffentlicht.
Der Briefwechsel Thomas Bernhard / Siegfried Unseld
1961 bekommt Siegfried Unseld einen Brief von einem unbekannten Schriftsteller. Thomas Bernhard schreibt: "Vor ein paar Tagen habe ich an Ihren Verlag ein Prosamanuskript geschickt. Ich kenne Sie nicht, nur ein paar Leute, die Sie kennen. Aber ich gehe den Alleingang."
Der Hörverlag
Auf diesem Alleingang wird ihn Siegfried Unseld ein Leben lang begleiten, wird, wenn Thomas Bernhard die beleidigte Leberwurst spielt, argumentativ auf ihn einwirken, wird manchmal selbst ein wenig die Geduld verlieren und nach Bernhards Tod sagen: "Wenn ich ganz ehrlich sein soll, ich habe diesen Mann geliebt."
Keine Neuerscheinung, da bereits zum 20. Todestag Bernhards vor zwei Jahren erschienen, aber immer wieder eine Empfehlung wert, ist dieser Briefwechsel zwischen Thomas Bernhard und Siegfried Unseld. Am besten in der Hörbuchversion.
Monologe auf Mallorca / Die Ursache bin ich selbst
"Was meinen Geburtstag betrifft, so lasse ich ihn wie alle andren vorübergehen und es ist mir der größte Wert, wenn davon niemand und nichts Notiz nimmt", hat Thomas Bernhard zu seinem 50. Geburtstag gesagt. Zwei Tage später liefen im Fernsehen die "Monologe auf Mallorca". Seitdem kommt kaum ein Bernhard-Portrait ohne ein Zitat aus diesen Monologen aus. Die Filmedition Suhrkamp bringt nun endlich diese Monologe sowie das zweite große Gespräch zwischen Krista Fleischmann und Thomas Bernhard, nämlich "Die Ursache bin ich selbst" als DVD heraus. Man muss keine einzige Zeile von Thomas Bernhard gelesen haben, um in dieses Universum abzudriften.
Der Italiener
Filmedition Suhrkamp
Die zweite DVD, die in der Filmedition Suhrkamp erscheint, ist "Der Italiener" von Ferry Radax. 1970 hat Ferry Radax in Ohlsdorf Thomas Bernhard porträtiert. Bernhard wollte die Filmaufnahmen zunächst absagen, hat sich dann aber bereit erklärt, drei Tage unter einem Baum sitzend zu sprechen. Nach Fertigstellung des Filmportraits "Drei Tage" war Thomas Bernhard, so heißt es am DVD-Cover von "Der Italiener", begeistert und beschloss "für den erstaunlichen Regisseur und seine erstaunliche Arbeitsweise einen längeren Film zu schreiben".
Die Erzählung "Der Italiener" ist die Keimzelle des großen Alterswerks "Auslöschung" und entstand im Jahr 1971.
Aus Opposition gegen mich selbst / Der Wahrheit auf der Spur
Veranstaltungen zum 80. Geburtstag:
- Happy Birthday Thomas Bernhard! Visualisierte, szenische Bernhard-Lesung. Mit Texten von jungen Autoren zu Thomas Bernhard. 9. Februar 2011, 19:00 Uhr, Literaturhaus Salzburg.
- "Ausgehen", nach dem Roman von Barbi Marković, in einer Inszenierung von Selma Abdic, Garage X, Premiere: 16.02.2011, 20.00 Uhr
- Der unbekannte Bernhard, Entdeckungen aus dem Nachlass (mit einem Vortrag zu Thomas Bernhards unterschätzter Großmutter!), 12. Februar, 9h, im Stefan Zweig Centre, Endmundsburg, Salzburg
In den Monologen auf Mallorca hat Thomas Bernhard die Buchsaison mit einem großen Friedhof verglichen. Jedes neue Buch, das erscheine, sei ein neu eröffnetes Grab. In der gegenwärtigen Buchsaison werden ein paar neue Bernhard-Gräber gegraben. Da aber Bernhard selbst nicht mehr schreiben kann, wird das schon Geschriebene schön verpackt und verschnürt und als das Neue verkauft. Das geht nicht immer gut. So ist die Textsammlung "Aus Opposition gegen mich selbst" von Suhrkamp entbehrlich.
Suhrkamp Verlag
Dafür wurden Auszüge aus Romanen und Theaterstücken unter thematischen Oberbegriffen wie "Die Orte" oder "Die 50er Jahre" arrangiert. Herausgekommen ist ein Sammelsurium so groß wie ein Ozean und so tief wie eine Regenlacke. Dieses Missgeschick macht der Suhrkamp Verlag mit dem Band "Der Wahrheit auf der Spur" wieder wett. Es versammelt Texte, die zum Großteil in Zeitungen und Zeitschriften erschienen sind, quasi ein Bernhard, der sich an der öffentlichen Diskussion beteiligt: von einer Ansprache zum 100. Geburtstag von Rimbaud bis hin zu einem Leserbrief, in dem Bernhard einen Monat vor seinem Tod die Straßenbahn von Gmunden als Kleinod und allererste Attraktion für Jung und Alt bezeichnet.
"Holzfällen" als Hörbuch
Zwar keine Neuigkeit, dafür aber immer wieder erfreulich ist das Hörbuch zu "Holzfällen. Eine Erregung", das der Südwestrundfunk 1993 mit Thomas Holtzmann aufgenommen und der Hörverlag 2003 herausgebracht hat. Holzfällen ist das Buch mit dem Skandal. Der Roman wird von der Polizei in den Buchläden beschlagnahmt, da sich der österreichische Komponist Lampersberg in der von Bernhard beschriebenen Figur Auersperg wieder erkennt. Ein schwerer Alkoholiker, im Geheimen homosexuell. Die Figur behagt ihm nicht. Lampersberg klagt.
Durch und durch autobiographisch sei sein Buch, hat Bernhard seinem Verleger Unseld gesagt. Das Künstlerehepaar Lampersberg lebte in Kärnten auf einem Hof, auf dem die künstlerische Avantgarde aus und ein ging - Wolfgang Bauer, H.C. Artmann, Christine Lavant. Dort unternahm auch Thomas Bernhard erste literarische Gehversuche in den 1950er Jahren, und fühlt sich von den Lampersbergs "verschlungen". 1984 rechnet er in "Holzfällen - eine Erregung" mit der "Gesellschaftshölle" ab.
Zwar ist es schwer, Thomas Bernhards Gesamtwerk nicht autobiographisch zu lesen, die autobiographischen Schriften im engeren Sinn aber umfassen jene fünf Bücher, die Thomas Bernhard nicht mit Siegfried Unseld bei Suhrkamp, sondern im Salzburger Residenzverlag herausgebracht hat. Der Atem, die Kälte, die Ursache, der Keller und ein Kind sind ein Schlüssel zum Verständnis des Autors. Zu seinem 80. Geburtstag wurden sie vom Residenzverlag neu gesetzt, jedem der fünf Bücher wurden ein Zitat und ein Bild hinzugefügt. Aber das wichtigste: das reduzierte, schmale Schriftbild liest sich wunderbar.
Der Vollständigkeit halber: auch der deutsche Taschenbuchverlag hat die autobiographischen Schriften neu verlegt.