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Arthur Einöder

POP: Partys, Obsessionen, Politik. Ich fürchte mich vor dem Weltuntergang, möchte aber zumindest daran beteiligt sein.

12. 2. 2009 - 19:01

Erinnerungen an Thomas Bernhard

Auf der Suche nach dem Geist von Thomas Bernhard haben wir guten Birnenschnaps gefunden. Und ausgestopfte Tiere.

Zum 80. Geburtstag von Thomas Bernhard

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"Griaß eich." Eine kleine, alte Frau mit roten Haaren öffnet uns die Tür. Sie entschuldigt sich und geht in den Keller, um ihren Mann zu suchen. "Papa!" ruft sie immer wieder und kommt schließlich mit Johann Maxwald zurück. Johann Maxwald ist 82. Früher hat ihm der Hamerhof in Obernathal gehört. Jetzt wohnt er mit seiner Ehefrau zwei Häuser weiter, im Ausgedingehaus. Der Hamerhof ist einer von zwei großen, alten Vierkanthöfen im Ort. Direkt daneben ist der zweite, den Thomas Bernhard irgendwann in den Sechzigern gekauft hat. Johann Maxwald war vierzig Jahre lang der Nachbar von Österreichs wohl umstrittenstem Schriftsteller.

Ein G'studierter

"Ursprünglich hat es geheißen, ein Wiener Schriftsteller hat ihn gekauft, den Hof. Bestimmt ein G'studierter, hab ich mir gedacht. Da wird's Probleme geben hier in dem Ort, mit seinen acht Häusern", erinnert sich Johann Maxwald. Probleme gab es dann auch, obwohl der Schriftsteller nie studiert hat. Thomas Bernhard hat das Ursprüngliche und Ehrliche am Land geliebt. Jede Veränderung, weiß Johann Maxwald, hat den Protest des eigenwilligen Herrn Nachbarn hervorgerufen. Die Bauern im Ort waren stets per du miteinander. Thomas Bernhard hingegen, das war der Herr Nachbar. "Sie, Herr Nachbar", hat er ihn angesprochen. Damals, als die alte Schotterstraße asfaltiert worden ist; damals, als der alte Maxwald seinen Schweinestall ausbauen hat lassen; damals als die Gasleitung durch den angrenzenden Acker verlegt worden ist; immer hat es böse Briefe des Herrn Nachbarn gegeben. Viel zu wenig, lacht Johann Maxwald. Er hat gehört, handschriftliche Briefe des Herrn Nachbarn wären viel wert, heutzutage.

Von der Stube des Maxwald sieht man fast alle Häuser in Obernathal. Nur selten kommt einmal ein Auto vorbei auf der Straße, die sich durch den Ort schlängelt. Als uns tatsächlich ein Wagen entgegen kommt, müssen wir aufs Feld ausweichen. Entlang der Straße stehen der ansehnliche Hamerhof, fünf kleinere Wohnhäuser und das Bernhard-Haus. Tief verschneit liegt das Anwesen des großen österreichischen Literaten an einem Hügel. Die Fenster sind verriegelt. Im Sommer hat das Haus für Besucher geöffnet. Bernhard-Fans aus der ganzen Welt pilgern in das Haus, das heute ein Museum ist. Der alte Maxwald war noch nie im Museum. Die Geschichten, die er uns von seinem Herrn Nachbarn erzählt, würden wir im Bernhard-Haus aber ohnehin nicht erfahren.

alter Vierkanthof im Schnee. Thomas-Bernhard-Haus

Johannes Rigal

1965 hat Thomas Bernhard den Vierkanthof vom Geld seines ersten Literaturpreises gekauft.

Eine Beziehung

"Vor vierzig Jahren", sinniert der alte Maxwald, während er uns selbst gebrannten Birnenschnaps serviert, "hat's ein Arrondisierungsverfahren gegeben bei uns. Da sind die Ackergründe neu parzelliert worden. Die alten Bauern, die damals alle noch Pfeife geraucht haben, die haben dann schon gesagt, 'du, Bernhard, du, sag auch einmal was dazu', was wir uns nicht getraut hätten. Mit ihm so zu sprechen."

Seine Erinnerungen hat Johann Maxwald in einem Buch niedergeschrieben. Die 15 Euro, die er dafür verlangt, spendet er. "Die Menschen haben alles und sind trotzdem unzufrieden. Wenn ich mir die Filme vom Wagenhofer so anschaue, steigen mir die Grausbirnen auf", denkt er nach und schüttelt den Kopf, "dann muss man eigentlich was zurückgeben. Das ist, als würden von den acht Familien im Dorf sieben hungern müssen, und ich würde keinen Finger rühren."

Johann Maxwald spricht respektvoll von seinem berühmten Nachbarn. Auch wenn er mit seiner Art zu schreiben nicht viel anfangen kann. Er hat einiges gelesen, was Thomas Bernhard so geschrieben hat. "Muss man ja unwillkürlich", sagt er, "wenn ich einen Nachbarn hier habe, der fast auf der ganzen Welt bekannt ist." Das kleine Obernathal, die ganze Gemeinde Ohlsdorf hat sich mit Thomas Bernhard arrangiert. Bernhard, der zeitlebens im Zwiespalt zwischen dem Hass auf die Einfältigkeit der Menschen und der Bewunderung des Ehrlichen und Einfachen stand, könnte wohl herzlich darüber lachen.

alter Mann mit weißen Haaren sitzt vor einer holzvertäfelten Wand

Johannes Rigal

Vor vier Jahren hat eine französische Bernhard-Verehrerin den Landwirt dazu überredet, seine Erinnerungen an den Autor niederzuschreiben.

Ein Arrangement

Voriges Jahr war hier in der Gemeinde Ohlsdorf die oberösterreichische Landesausstellung zu Ehren von Thomas Bernhard. Das Papiermachermuseum hat sich eine Sonderausstellung einfallen lassen, das Gemeindeamt hat sich schön herausgeputzt, und die Herren von dem Amt der oberösterreichischen Landesregierung haben einen Thomas-Bernhard-Wanderpfad entworfen. Quer durchs Gemeindegebiet führt jetzt der "gehen denken"-Weg, der an Stationen vorbeiführt, die an das Werk Thomas Bernhards erinnern. Jetzt, im Winter, ist das Gehen mühsam. Nur vereinzelt lassen sich die eingeschneiten Wegmarkierungen erkennen. Wir stapfen nur kurz quer über die weißen Felder, grüßen eine Nordic-Walking-Gruppe, und machen uns nachher wieder auf dem Weg zum Auto.

Sogar drei große Parkplätze sind im Rahmen der Landesausstellung geschaffen worden, damit man bequem zu den Attraktionen kommt. "Das ist gerade ungünstig", sagt die vielbeschäftigte Frau am Empfang, als wir uns am Gemeindeamt erkundigen wollen, wie es denn so war, eine Landesausstellung im Ort zu haben. Es ist gerade Einschreibfrist für den Kindergarten in Ohlsdorf. Das bündelt viele Energien.

Neben einem Kindergarten hat Ohlsdorf auch eine Hauptschule, einen Friedhof, einen großen Spar und einen Trial-Park. Das in Bau befindliche Mehrzweckgebäude heißt jetzt Multifunktionszentrum. Die Kirche ist dem Heiligen Martin geweiht. Arbeitsplätze sind gerade knapp, hört man. Einige Betriebe im nahen Steyrermühl haben die Produktion drosseln müssen.

Eine Wegmarkierung in einer verschneiten Landschaft

Johannes Rigal

Februar 2009 in Obernathal. Der "gehen denken"-Weg ist mit Steinen ausgeschildert.

Ein Getöse

Durch die Nachbargemeinde Pinsdorf fließt die Aurach, ein kalter Gebirgsbach, der in der Talenge direkt vor dem Haus des Tierpräparators Alfred Höller ohrenbetäubend sprudelt. "Dieses Getöse des Aurach-Wassers ist für mich, in der Höller'schen Dachkammer, die größte Faszination", schreibt Thomas Bernhard in seinem Roman "Korrektur". Der Dichter ist immer wieder hierher gekommen. In die Dachkammer des heute 74-Jährigen. Alfred Höller führt uns über eine schmale Treppe hinauf: "Da ist er dann hinein, ja, und hat sich gleich zum Schreibtisch, ja? Und die Füße so... - und ich sag 'hallo hallo... hallo hallo!'"

Ein alter Mann mit Schnauzbart sitzt am Schreibtisch, die Füße auf einer Truhe.

Johannes Rigal

Alfred Höller demonstriert, wie Thomas Bernhard bei seinem ersten Besuch die Dachkammer in Besitz genommen hat.

In der Höller'schen Dachkammer steht ein Sofa, ein Schreibtisch und die Truhe, auf die Bernhard einst seine Füße gelegt hat. Inzwischen ist sie aufgeräumter als damals, in den Siebzigern. Immer noch stehen einige ausgestopfte Tiere dort. "Präparierte Tiere", wie Alfred Höller sagen würde. Eine Katze, ein paar Vögel. Unten, wo der Tierpräparator mit seiner Tochter wohnt, gibt es noch viel mehr davon. Die beiden leben zwischen unzähligen Augen. An die tausend Tiere, vom Waldvögelchen zum Nashorn stehen dicht gedrängt in den Räumen, in denen es nach Präparationschemie riecht. "Polyester", wie Alfred Höller aufklärt.

Eine Enge

Dass wir die Tiere fotografieren, will er nicht. Da ist er streng, auch wegen der Behörde. Immer wieder kommt es zu Anzeigen, die Gesetze ändern sich immer so schnell, manche Techniken sind nicht erlaubt, was weiß man schon. Hier oben, in der Dachkammer ist es tatsächlich so dunkel, wie "Korrektur" vermuten lässt. Das Höllerhaus steht zwischen zwei Felswänden, ist in die eine davon hineingebaut, damit es nicht noch enger ist in der Stube. Daneben führt die Straße vorbei, daneben rauscht die Aurach. Mehr Platz ist hier nicht. Die Enge in den österreichischen Bergen, die den Horizont einschränkt und die Bernhard stets beschäftigt hat - hier fühlen wir sie.

kahle Bäume, dahinter ist ein Bach zu erkennen.

Johannes Rigal

Der Blick aus der Höller'schen Dachkammer.

Die Aurach ist mittlerweile reguliert worden. "Das Badewehr", erklärt Alfred Höller, der Tierpräparator, "gibt es nicht mehr seit dem Hochwasser." So wie jetzt die Mittelstreifen auf dem Weg von Pinsdorf ins Nirgendwo seien damals die entwurzelten Bäume auf der überschwemmten Straße getrieben. "Den Baum da vorn hab ich ungefähr zu der Zeit gepflanzt", sagt Alfred Höller und deutet auf einen mittlerweile stattlichen Nadelbaum, der Schatten auf das Haus wirft, das ohnehin schon wenig Sonne abbekommt.

Ein paar Jahre lang, manchmal mehrmals in der Woche, ist Thomas Bernhard hierhergekommen und hat aus der Dachkammer auf die Aurach geschaut, hat geschrieben und nachgedacht. Zwei, vielleicht drei Mal hat er mit Höller und seiner Familie Tee getrunken. "Er hat nicht viel von sich erzählt. Er wollte immer wissen, wie die Dinge funktionieren. 'Höller, wie geht das?' 'Höller, wie macht man das?' So."

Ein Besuch

Höller macht immer wieder Pausen. Beim Sprechen gestikuliert er viel und lacht, selbst wenn gerade keine Pointe erkenntlich ist. "Er ist ja auch in Salzburg aufgewachsen, so wie ich", versucht er Gemeinsamkeiten herauszustreichen. "Aber er ist ja aus einem sehr schlechten Viertel gekommen. Mein Freund, der Maler, hat gesagt, von dort würde er nicht einmal ein Dienstmädchen nehmen", erzählt Höller, als müsse er sich für den eigenartigen Besucher aus den Siebzigern rechtfertigen. Er lacht.

Zur Zeit bereitet Höller gerade eine Ausstellung in seinem Schauraum im ersten Stock vor. Für interessierte Besucher möchte er die dreizehn europäischen Eulenarten ausstellen. Wer dann, so wie wir, bei der alten Haustür mit dem vergilbten Schild "Fam. Höller" läutet, kann sich die Eulen im dunklen Zimmer anschauen. Und bekommt vielleicht auch eine Führung hinauf in die Dachkammer.

Zwei einsame Bäume in einem verschneiten Feld.

Johannes Rigal

So hat Thomas Bernhard aus seinem Haus in Obernathal die Welt gesehen. Im Hintergrund: die Westautobahn. Alle Fotos: Johannes Rigal

Eine Erinnerung

Dort, an den Wänden der schmalen Linoleumtreppe hat der Tierpräparator Erinnerungsbilder aufgehängt. Hannelore, die Exfrau von Schlagersänger Heino, posiert mit einem großen Stoßzahn, den sie als Trophäe von einer Safari mitgebracht hat. Höller hat das Tier vermutlich dann präpariert. Der Unterwasserfotograf Hans Hass war zu Gast im Höllerhaus, und auch ein deutscher Forscher. "Eine Koryphäe im Gebiet der Hummeln und der Bienen", versichert uns der Hausherr. Von Thomas Bernhard gibt es kein Foto. Dafür sind "deutsche Professoren" auf das Höllerhaus aufmerksam geworden. Jedes Jahr finden seitdem im Herbst Lesungen im Höllerhaus statt. Literatur in der Naturwissenschaft. Bernhard zwischen ausgestopften Tieren.

Wir verabschieden uns und lernen, dass es hier unhöflich ist, wenn der Gastgeber die Tür zum Hinausgehen öffnet. "Ihr Menschen vom Land seid von den Städtern kaum mehr zu unterscheiden", hat sich Thomas Bernhard einmal echauffiert. In Obernathal, in Ohlsdorf und in Pinsdorf hat sich zumindest eine Bernhard'sche Verallgemeinerung als falsch erwiesen.