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Sammy Khamis

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5. 2. 2011 - 14:57

Perspektiven für Ägypten

Der Tahrir-Platz gehört den Leuten und den Ideen von Freiheit und Menschenrechten.

In den letzten 12 Tagen, in denen sich in Ägypten und in der arabischen Welt alles zu verändern schien, gab es kaum einen Moment, um darüber nachzudenken, was eigentlich geschah. Keine Zeit für Reflexion, keine Zeit zum Zurückblicken.

Samstag Abend, nach Sonnenuntergang, als ein bisschen Platz auf dem Medan a-Tahrir war, wurde einem klar, was die Menschen hier erreicht haben: Vor einer Woche haben sich die Ägypter ihre Freiheit erkämpft. Haben die Polizei vertrieben. Haben das Regime und die ganze Region erschüttert und die Welt begeistert.

Die ägyptische Bastille

Der Platz im Herzen Kairos, der als Verkehrsknotenpunkt in den letzten Jahren seine Bedeutung als Ort der Aufstände 1977 fast verloren hatte, ist wieder ein Platz des Volkes. Die ägyptische Bastille. Der Medan a-Tahrir gehört den Leuten und den Ideen von Freiheit und Menschenrechten.

Was in den letzten Wochen ein Moment war, eine Vermessung der menschlichen Gefühlswelt und ein gelebter Traum, wird in den kommenden Wochen und Monaten zur Geschichte werden. Wer heute über den Platz geht, sieht wieder Zuversicht, Freude, Stolz und Entschlossenheit. In den Gehwegen klaffen große Löcher. Die Platten wurden letzten Mittwoch daraus entfernt, zerschlagen und gegen die gekauften Unterstützer Mubaraks geworfen. Auf der einen Seite Leidenschaft, Vision und Glaube, auf der anderen Seite Leute, die für 50 ägyptische Pfund (7 Euro) und ein Happy Meal von Kentucky Fried Chicken gegen ihre eigenen Landsleute kämpfen.

Neben den Löchern im Gehsteig haben Ärzte mobile Versorgungsstationen aufgebaut. Sie haben in der letzten Woche unzählige Verwundete behandelt und unglaubliche Arbeit geleistet. Gespendete Medikamente wurden zum Teil von Mubarak-Anhängern abgefangen und in den Nil geworfen. Es gibt Essensstationen, an denen Nahrung verteilt wird. Es gibt Handy-Ladestationen, wo man sein Telefon abgibt und nach drei Stunden aufgeladen wieder abholt. Es gibt für das Funktionieren dieser Revolte Erklärungen. Für die Revolution in den Köpfen gibt es nur Anerkennung.

Natürlich stellt sich nun die Frage, wie es weitergeht. In der westlichen Welt, von wo aus die Geschicke des Landes seit 30 Jahren beeinflusst werden, wird man nicht müde, in einer gewissen Überheblichkeit diese Themen zu diskutieren. Wird Ägypten wie der Iran? Ist die Moslembruderschaft wie die Hisbollah? Wird sich die Beziehung zu Israel verändern? Wird man je wieder im Winter nach vier Flugstunden Sonne tanken können?

Zum einen ist es nicht unsere Aufgabe darüber zu diskutieren. Auch wenn die Lage im Nahen Osten Einfluss auf unser Leben hat. Die westliche Diplomatie, und die westlichen Medien haben eine einmalige Chance verpasst ihre Reputation im Nahen Osten wiederherzustellen. Hätte man sich darauf besonnen, dass es unsere moralische Pflicht ist (Österreich erlebte im letzten Jahrhundert eine, Deutschland zwei Diktaturen) jegliche Art von Streben nach Freiheit und Selbstbestimmung zu unterstützen, hätte sich der Westen sofort hinter die Menschen und deren Forderungen gestellt. Die Möglichkeit die eigene Glaubwürdigkeit wieder zu gewinnen wurde verpasst. Wer sich nun daran macht, Ägypten zu warnen, zu beraten oder zu verurteilen, muss sich dessen bewusst sein.

Schaut man sich aber an, welche Möglichkeiten in der Demokratisierung Ägyptens stecken, erscheinen die Ängste fast nichtig. Bisher gab es in der Geschichte der Menschheit keinen einzigen Fall, in dem zwei demokratische Staaten gegeneinander Krieg geführt haben. Israel ist auch eine Demokratie, Demokratien sind stabiler als autoritäre Systeme. Ägypten hat kein gewalttätiges Volk. Alle Toten in den letzten Wochen verloren ihr Leben aufgrund von Polizeigewalt. Als am Mittwoch, den 2. Februar 2011, die Gewalt auf den Platz zurückkehrte, ging sie wieder von der Polizei und der Nationalen Demokratischen Partei aus. Während der ganzen Proteste wurden keine Israel- oder USA-Flaggen verbrannt. Auch wenn der Großteil der Ägypter Muslime sind, so sind sie tolerant gegenüber anderen Glaubensrichtungen. Und in Ägypten hat sich eine politische Kultur entwickelt. Diese Kultur funktioniert wie jede andere auch über ein moralisches System von Verboten oder Tabus. Israel zu schaden ist Tabu. Sollte damit gebrochen werden, stehen entsprechende Sanktionen zur Verfügung.

Hochhaus mit Riesentransparent in arabischer Schrift mit den Forderungen der Bewegung

Mariam Mekiwi

Foto: Mariam Mekiwi

All diese Spekulationen werden auf dem Platz wenig diskutiert. Gestern wurde auf einem Gebäude ein riesiges Transparent mit den sieben Forderungen der Demonstranten aufgehängt. Mubarak muss abtreten, eine Übergangsregierung nachkommen, eine neue Verfassung ausgearbeitet, das Parlament aufgelöst, die Verbrechen der letzten Tage aufgedeckt und die Notstandsgesetzgebung aufgehoben werden. Nur wenn diese Forderungen erfüllt sind, wird diese Gruppe den Platz verlassen. Die Forderung nach Leben (im Arabischen heißt das Wort für Leben gleichzeitig auch Brot) hört man immer wieder.

Ägypten ist ein Land, das wie kaum ein zweites gesegnet ist. Es gibt den besten Boden für Landwirtschaft, es gibt Öl und Gas für den inländischen Verbrauch, es gibt zwei Ernten im Jahr, freie Bildung, ein funktionierendes Gesundheitssystem, den Suez-Kanal, den Tourismus und ein unglaubliches menschliches Potential. Wenn es nach dem Willen der Bevölkerung geht, dann wird sich der wichtigste Staat im nahen Osten in den nächsten Monaten zu einer Demokratie entwickeln. Nachbarstaaten werden folgen. Wir müssen diese Entwicklung unterstützen. Ägypten steht vor vielen Herausforderungen, die es vielleicht nicht alleine bewältigen kann. Um Frieden sicherstellen zu können, ist Freiheit die einzige Lösung.