Erstellt am: 21. 1. 2011 - 17:35 Uhr
Journal 2011. Eintrag 18.
Das Jahr 2011 bietet wieder ein Journal, ein fast tägliches, wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009.
300 Einträge werden zusammenkommen, vielleicht auch mehr. Dazu komplettieren 60 oder 70 Einträge ins Fußball-Journal '11 die diesjährige Blumenau-Show im Netz.
Meist wird es hier Geschichten/Analysen geben, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo gefunden habe; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einem Zufallsbuch, über das ich zu wenig gehört habe; kein Wunder, es ist "nur" ein Krimi. Aber wie jeder gute Krimi sagt es mehr über gesellschaftliche Strukturen, schieflaufende Systeme und missglückte Ansätze aus als die allermeiste hohe Literatur.
Der Kriminalroman hat (genauso wie seine diversen dramaturgischen Umsetzungen, vor allem die für TV und Kino gestalteten) so viel mit Journalismus zu tun, dass oft schon Deckungsgleiche herrscht.
Im Krimi geht es um Investigation, um Untersuchungen, die von Fakten-Forscher und Zusammenhangs-Erhellern betrieben wird - und die moralische Mitfühlsamkeit oder die kühle Distanz der Protagonisten zum Geschehen macht den Reiz aus; ganz wie im Journalismus, wo es ja auch vielerlei Ansätze gibt.
Die guten Krimis nehmen sich semiaktueller Geschehnisse an, spiegeln neue Entwicklungen und Realitäten wider, machen aus Nachrichten Fälle - bleiben aber (egal mit welchem Zugang) eng an dieser phänomenologischen Betrachtung. Wenn das funktioniert, dann kann der Krimi so dicht dran sein an der Wirklichkeit, dass er fast schon weh tut.
Die noch besseren Krimis brauchen diesen News-Wert nicht: sie klinken sich in einen Meta-Diskurs ein, den sie dann ohne Rücksicht auf den letzten Schrei durchdeklinieren. Wenn das funktioniert, dann kann der Krimi so dicht dran sein an einer Wahrheit hinter der Wirklichkeit, dass er so richtig weh tut. Und das ist grandios.
Das Regenmädchen
Auf Gabi Kreslehners Buch bin ich über eine Kulturzeit-Empfehlung gestoßen - die kurze Zusammenfassung/Beschreibung klang gut, und als dann auch noch von einer österreichischen Autorin die Rede war, hab ich beim nächsten Buchhandlungs-Besuch nachgeschaut. Ich wusste nicht, dass Eva Rossmann so viele Krimis geschrieben hat - und direkt daneben lag dann das Regenmädchen.
Viel Presse hat sie noch nicht bekommen - hat wohl auch damit zu tun, dass die Ottensheimerin bis jetzt als Kinder- oder besser Jugendbuch-Autorin galt.
Und, ja, ein bisschen darf sich auch die FM4-Wortlaut-Gang auf die Schultern klopfen die Autorin mitentdeckt/gefördert zu haben. Das hab ich allerdings erst bemerkt als ich schon am Lesen war.
Der angesprochene Meta-Diskurs, in den dieser Krimi-Roman eindringt, spielt in einem sehr wenig beachteten Bereich, und zwar in der Beziehung der Eltern-Generation der aktuell 40jährigen mit ihren gerade ins Erwachsenen-Alter eintretenden 20jährigen Kindern.
Die Verantwortung der 40jährigen für die 20jährigen
morawa
Das Regenmädchen, der erste Kriminalroman von Gabi Kreslehner, ist erstaunlicherweise bei Ullstein erschienen.
Die Mangel-Beachtung hängt unter anderem mit der Tatsache, dass 40 heute kein Alter ist, in dem man seine Verantwortung groß rausstreicht - von wegen Jugendwahn und so. Auch mit der Digital Divide, die sich hier recht schlüssig aufgebaut hat. Aber auch damit, dass gerade die 40jährigen den 20jährigen genau gar nichts anbieten können, ökonomisch und was den Generationen-Vertrag betrifft. In beiden Bereichen spielen die Lobbies der zahlenmäßig wesentlich bedeutenderen Über-50jährigen die erste Geige.
Weil sie sich beide in einer Minderheiten-Position befinden, lassen sich die 40jährigen und die 20jährigen auch gern gegeneinander ausspielen. Wiewohl dann doch wieder das recht stumme Aneinandervorbeileben die allerbeliebteste Kommunikations-Form ist.
In Kreslehners Regenmädchen geht es um genau das. Die - oft auch durchaus sprachlose - Sorge, die aktive Verantwortungs-Übernahme für die Nachfolger. Um die Sehnsucht danach, sich wieder wirklich zu kümmern.
Das beginnt bei der leitenden Kripo-Beamtin Franza und ihrem Kollegen Felix und deren Umgang mit den jungen Kollegen und endet in den vielschichtig erzählten Elternschaften der diversen Proponenten - nicht ohne auf die Untiefen im Bildungs- und Sozial-System zu verzichten.
Wenn man so will, dann sind die Versuche gegen die Abgebrühtheit im Umgang mit den Jungen das Gegenmodell zum ganz alltäglich und fast wie nebenbei und extrem unspekulativ geschilderten Mix aus Missbrauch, vernachlässigten Sozialeinrichtungen und dem Ausnutzen von Abhängigkeits-Verhältnissen. Dass die Autorin Lehrerin ist, merkt man an ihren ungeschönten Beschreibung dieses Topos.
Die anderen Lehrer
Das Regenmädchen spielt in einer Art Linz, das sich aber in einer polyglotten Kunstsprache versteckt, in einer deren Knappheit und Qualität das Österreichische an der Garderobe abgegeben hat. Schließlich geht es eben (siehe oben) nicht um einen Schlüsseltext zu einem konkreten Vorfall mit klarer moralischer Zuweisung, sondern um eine größere Geschichte, die durch saubere Perspektivwechsel, die sehr genaue Beobachtung der altersbedingt unterschiedlichen Zugänge zu Sex und Intimität und die sehr engen Dialoge angetrieben wird.
Da ist ein sehnsüchtiges Ziehen, Zerren und Drängen um Verantwortung zu spüren, das sich - wenn man die aktuelle von den Nöten des Alltags überfahrene Lehrerschaft vor Augen geführt bekommt, die sich im öffentlichen Auftreten auf Neugebauerein der defensivsten Sorte reduzieren lässt, sehr neu anfuehlt.
Das sind andere Töne, die Kreslehner da anschlägt.
Wo sich die 40jährigen im öffentlichen Diskurs ihrer Verantwortung für die Jungen völlig entschlagen, dort schreit dieses Buch auf jeder Seite "Hier!", ohne in Sozialromantik abzurutschen.
Das passiert tendenziell ja nur Krimis, die sich an ein aktuelles Topic anhängen und keine darüber hinausgehende Geschichte erzählen wollen.
Etwas, was im Übrigen auch dem Nachbar-Genre, dem vorhin angesprochenen Journalismus ganz gut tun würde.