Erstellt am: 22. 12. 2010 - 18:41 Uhr
Wutbürger und Schnutenbürger.
Der nebenstehende Text ist die Ausgangs-Basis für die Bonustrack-Sendung am 22. Dezember in der FM4-Mitternachtseinlage am Mittwoch.
Thema diesmal: Warum es in Österreich keine ernsthafte Entsprechung des deutschen Wutbürgers gibt, und der zivile Widerstand hierzulande (nach dem Abflauen des Audimaxismus) aus beleidigten Altpolitikern besteht.
Die Kurzversion für Dummies folgt live in der Bonustrack-Sendung.
Österreichs Wort des Jahres (im Vorjahr mit Audimaxismus fesch unterwegs) ist recht lächerlich: fremdschämen. Erstens ist das weder ein neuer Begriff noch eine heuer wichtiger gewordene Handlung; und zum zweiten zeigt sich angesichts des deutschen Pendants die Peinlichkeit in vollem Licht.
Der Deutsche hat den Wutbürger erkoren, der die Castor-Transporte blockiert, die Mitbestimmungs-Bewegung rund um die Gauck-Kandidatur bei der Bundespräsidenten-Kür und natürlich die zutiefst bürgerliche Erregung rund um Stuttgart 21 getragen hat, und trotz heftiger Bekämpfung durch die Machtelite ein wichtiger politischer Faktor wurde.
Eine folgerichtige Entscheidung, die eine wesentliche Tendenz hin zu einer Teil-Verschweizerung als zukunftsträchtig bewertet.
Österreich hat in dieser Hinsicht zwar eine passable Geschichte (1848, Zwentendorf, Hainburg...) - setzt aktuell aber seit schon ein paar Runden aus. Die Gründe dafür sind (auch hier) oft beschrieben worden - zentral ist die historisch bedingte Abwesenheit eines Citoyen-Bewußtseins.
Der wütende österreichische Schlechtmensch
Aus der aktuell vorherrschenden stillen Wut des österreichischen Schlechtmenschen ist außer Empörung, Erregung, Skandalisierung und der entsprechenden Bewirtschaftung durch speziell darauf zugeschnittene Medien (Armin Thurnher nennt sie seit neuestem "das diabolische Dreiblatt" und meint Krone, Österreich und Heute) und politische Bewegungen mit handfesten Machtinteressen nämlich nichts zu machen.
Weshalb dieses Wüten auf der Stelle tritt und folgenlos bleibt.
Andererseits war heuer so stark wie noch nie die Rede von Volksbegehren, breit gesetzten Initiativen die allesamt auf die Stärkung des Plebiszits, also der aktiven Bürgermitbestimmung, rauslaufen; Einiges davon wird wohl auch umgesetzt werden, 2011.
Die Träger dieser Bewegungen sind allerdings keine lokalen und betroffenen Initiativen (wie im Fall Gorleben) oder eine breite Basis politischer Laien (wie der stark theater-unterfütterte Stuttgarter Protest), sondern erst recht wieder die politische Machtelite. Oder, besser gesagt, die ehemalige.
Hinter den Begehren zu den Themen Bildung, Verwaltungsreform und den im Gefolge herumflirrenden zusätzlichen Ideen stehen keine Basisgruppen oder von einem konkreten Projekt Entrechtete oder Angepisste.
Deshalb sind die Initiativen auch ein wenig schwammig und schlagwortig.
Denn das Konkrete, das Momentum des Wutbürgers, der sich mit seiner Sache verquickt, fehlt.
Beleidigt über verfehltes Berufsleben
Was überbleibt sind die Ehemaligen, die vormaligen Machtpolitiker, die sich nunmehr, im Abend ihrer Karriere, Unabhängigkeit genießen und deshalb können wie sie wollen, was trauen.
Natürlich hätten sie sich das auch schon lange Jahre davor trauen können, als sie im politischen Amt samt Macht und Würden waren und Einfluss hatten, direkten und indirekten. Hannes Androsch etwa als Finanzminister und mächtiger SP-Realo, Claus Raidl als ÖIAG-Boss und DeFacto-Wirtschaftsminister der VP, die Liste ließe sich problemlos fortsetzen.
Das hat irgendwie (Stichwort: Machtpolitik zu betreiben ist kein Wunschkonzert) nicht funktioniert, weshalb jetzt, im Alter das schlechte Gewissen daherkommt und einen antreibt. Männer fortgeschritteneren Alters, mit viel Tagesfreizeit ausgestattet, sind da anfällig.
Mich nicht falsch verstehen: mir ist der Kritische-Blick-Zurück-Ex-Machtmensch der Marke Busek tausendmal lieber als die Alles-war-super-Betonköpfe der Schüssel-Schule.
Trotzdem und so sehr die Anliegen richtig und wichtig sind - es riecht ein wenig angebrannt.
Weil es nicht die Wutbürger sind, die sich, aus berechtigter Beteiligungs-Emphase eines sie berührenden Themas, auf das sie bislang keinen Einfluss hatten, annehmen.
apa
Weil es im Gegenteil die Schnuten-Bürger sind, die beleidigten Ex-Politiker und Alt-Mächtigen, die ihren verfehlten Berufsleben hinterherhampeln und sich Projekt-Mausoleen setzen wollen.
Oldies, die "auf an'grührt" machen, eine Schnute ziehen weil sie/ihre Ideen nicht gewürdigt wurden, und es im Nachhinein besser wissen und können als die "Jungen", die jetzt am Ruder sind.
Die Schnutenbürger als Top Down-Figuren
Sie, die Schnutenbürger, sind der ehrliche Traum jeder nachfolgenden Generation: Der gutmeinende Opa, der dir (in seinem oft quälend langsamen Tempo) erzählt wie du's machen solltest, nein, machen musst, und auf die Frage nach dem "Warum hast du das nicht umgesetzt, als du es konntest, wenn du's so gut weißt?" dann eingeschnappt von Realpolitik, Zwängen und intriganten Gegnern erzählen.
Auch hier, zur Klarstellung: better now than never. Jeder Paulusgewordene Saulus - yeah! Wer es schafft von Anneliese Rohrer prä2000 zu Anneliese Rohrer post2000 zu werden - gratuliere! Und natürlich sind erfahrene Praktiker, die wissen wie's geht, durchaus wichtig wenn es um die Umsetzung geht, um die politische Praktikabilität.
Wenn diese Schnutenbürger aber die Einzigen sind, und sich das Wutbürgertum nach deutschem Vorbild nicht und nicht konstituieren will (oder kann) - dann wird auch das nix nützen. Denn irgendwann wird die politische Erfahrung der eitlen Alten auch die gutgemeintesten Ansinnen und Initiativen wieder in den altbekannten politischen Klüngel-Diskurs zerren und verwässern.
Dieser heuer bei uns erfolgte Top-Down-Versuch den Wutbürger-Hit der Deutschen zu covern, muss misslingen.
Imperiale Handlungsanleitungen
Solange es die angry old men der politischen Kaste sind, die eine Protestkultur anführen, die tief in einer gesunden Zivilgesellschaft drinstecken sollte, wird diese in der Nomenklatura versickern.
Dieser Artikel ist die Ausgangs-Basis der Bonustrack-Sendung vom 22. Dezember.
Phone-In Möglichkeit unter 0800 226 996; von außerhalb Österreichs unter 0043 1 503 63 18. Lines offen ab Mitternacht, Entgegennahme wie immer erst nach der Performance der "Kurzversion für Dummies".
Die Musik zum Thema kommt wieder von Fred Schreiber - Grösser als wir.
Das zentrale Motiv der in Deutschland protestierenden Citoyens (und die Exkurse nach Frankreich, England oder anderswohin wo lebendige Demokratie samt Bürger-Protesten Geschichte und Gegenwart hat, erspare ich uns besser) steckt im Wort des Jahres so deutlich drinnen: die Wut eben; die noch dazu - ganz im Gegensatz zum eingangs zitierten wütenden Schlechtmenschen österreichischer Prägung - positiv kanalisiert wird.
Und die ist ein besserer (inhaltlicher) Aufmunitionierer als die nicht stark versteckte Beleidigtheit der älteren Herren Schnutenbürger, denen es um einen besseren Abgang aus dem öffentlichen Bewusstsein geht, um einen nachträglichen Heldenstatus. Das schmeckt alles ein wenig nach einer imperialen Handlungsanleitung: Fürsten oder Senatoren, die nach gequälter Selbstaufforderung ihr Wirken entfalten müssen, weil der Plebs und vor allem die Patrizier zu faul/dumm dazu sind.
Ewig schade, dass der Kampf für die richtigen Themen durch eine verkorkste Herangehensweise und einen falsch verstandenen Top-Down-Ethos schwerstbeschädigt wird. Aktives und positives Wutbürgertum wird dadurch definitiv nicht entstehen.