Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Der Song ist obsolet."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

15. 12. 2010 - 17:12

Der Song ist obsolet.

Über das Verschwimmen von Privat- und Berufsselbst, Intensität und Identität, und was das mit dem Zustand der Popmusik zu tun hat. Und ein Self-Promotion-Hinweis.

Der nebenstehende Text ist die Ausgangs-Basis für die Bonustrack-Sendung am 15. Dezember in der FM4-Mitternachtseinlage am Mittwoch.

Thema diesmal: die Verflüchtigung der Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit und was das mit aktueller Popmusik-Produktion zu tun hat.

Dazu sind zwei Selbstreferenzen nützlich/nötig: das schöne Pamphlet Kreativer Musiker sein und davon leben können? War nur ein kurzer historischer Zufall. Vergiss es. zum Ende einer Ära in der Produktion von Popmusik. Und der daran anschließende Versuch Musik-Fordismus vs. Autoren-Prinzip: Unentschieden.

Themen, die ich im heutigen Club 2 zum Thema "Yesterday - 50 Jahre Beatles: Die revolutionäre Macht der Popmusik" versucht habe anzusprechen, gegen Ende der (diesmal voraufgezeichneten) bis dahin von freundlicher Nostalgie gezeichneten Sendung. Mittlerweile ist die Sendung bereits in der TVthek gelandet.

Die Kurzversion für Dummies folgt live in der Bonustrack-Sendung.

Mit Popmusik beschäftige ich mich seit Jahren letztlich nur noch auf der Meta-Ebene, wegen der Redundanz-Gefahr einerseits und dem bewussten Vermeiden der Mojo/Uncutisierung andererseits. Weil das aber, vor allem hierzulande, sonst eh kaum jemand unternimmt, bekomme ich auf Texte wie den Mitte September eh hier erschienenen (Grundthese: mit von Musikerseite selbstbestimmter Pop-Produktion isses nach 40 interessanten Ausnahme-Jahren vorbei. Leitkultur, das war einmal. Jetzt: Rücksturz in die von Mäzenen definierte Ära von davor, in die regionale Privatheit) dann Reaktionen, vor allem von Menschen aus dem Musik-Bereich, die Begriffe wie "augenöffnend" beinhalten.

Mit Popmusik beschäftigt mich dann seltsamerweise auch das ORF-Fernsehen, das aus unerfindlichen Gründen dachte, ich hätte etwas zum (etwas schwammig formulierten) Thema "50 Jahre Beatles" zu sagen. Weil es da jede Menge Bessere gibt. Wie jeder gute Thesenreiter hab ich die Einladung angenommen - nicht um am Anekdoten-Schleudern teilzunehmen (bis auf eine in der Anfangsrunde erzählte hätte ich auch keine) sondern um die auch hier nochmal in ihren ökonomischen Zusammenhängen präsentierte Grundthese anzubringen.

Mit Popmusik beschäftigt sich ein einziger mir bekannter Nachdenker und Thesenaufsteller. Und zwar immer wieder und dann auch oft in überraschenden Zusammenhängen und nicht um sich daran distinktionsgewinnbringend entlang zu räkeln: Diedrich Diederichsen.
Etwa in einem Gespräch mit der hierzulande nicht mehr am Kiosk erhältlichen linken Wochenzeitung Jungle World, die den entsprechenden hoch-papierenen Austro-Wannabies zeigt wie das geht mit schlau gemachter Provokation.

The innere Schweinehund does not live here anymore

Diedrichsen (und das ist hier nachzulesen in einem schlauen Interview, das wie ich erst später überrascht festgestellt habe FM4s Michael Schmid geführt hat) setzt bei einem meiner Lieblingsthemen der letzten Jahre an: der aufgeweichten Grenze zwischen Freizeit und Arbeit, dem Privat- und dem Berufsselbst.
Das führt ganz von selbst zum offensiven Nachdenken über Prekarisierung, Selbstausbeutung, Fordismus und Post-Fordismus; aktuell etwa auch an Mad Men abzuhandeln, weil die Serie den Beginn dieser Entwicklung skizziert und auch analysiert.

Im Gegensatz zu vielen anderen gibt es bei Diedrichsen kein mitschwingendes Gut/Böse-Richtig/Falsch-Schema, auch wenn bei ihm eine Sympathie für eine deutlichere Trennung durchschimmert. Bei mir schimmert tendenziell das Gegenteil, die völlige Verflüssigung, was weniger mit Ideologie als mit Persönlichkeits-Konstruktion zu tun hat; nur damit ihr wisst woran ihr seid, im Folgenden.

Im Folgenden, wo dann auch, für mich hochverblüffend, eine Brücke zur Popmusik geschlagen wurde. Aber dazu kommen wir noch.

Diedrichsen legt zuerst einmal klar, dass die alten Strukturen (nach denen vor allem in Österreich immer noch gedacht und gehandelt wird) letztlich eben doch nur "eine lebensweltliche Banalität aus der Folklore des alten Kapitalismus" sind: die im Beruf Angepassten, die in der Freizeit die Sau raus lassen oder sie aus Erschöpftheit verdösen.

Eine Arbeitswelt, die (siehe Mad Men) zusehends Produkte schafft, die nicht aus sich selbst, sondern aus ihrer Intensität schöpfen, braucht Mitarbeiter, die sich zur Gänze einsetzen. Nur an der Assembly Line stehen ist zu wenig - Postfordismus.

Der verhandlungslose Post-Fordismus

Es geht also darum ein intensives Leben zu führen, wie DD sagt "die nötige Kreativität so zu verdinglichen wie ein Schauspieler das Weinen."
Das heißt aber auch: "wer diese Trennung zwischen Freizeitselbst und Arbeitsselbst aufgibt, kriegt eben dafür das, was die Leute so gerne haben, nämlich eine Identität. Eine widerspruchsfreie, holistische Existenz. Man ist die ganze Zeit ganz bei sich."

Die Folge: klassische Verhandlungen, die davor mit einer Arbeitgeber-Persona geführt wurden, führt man jetzt mit sich selbst. Wer in seinem Arbeitsfeld abstürzt, stürzt auch als Person ab, meint Diedrichsen und relativiert diese Gewerkschafts-Überhöhung auch gleich wieder: "Das kontinuierliche Verhandeln zwischen den beiden hatte natürlich auch etwas Elendes. Beide Konstruktionen von Subjektivität sind nicht besonders glorios."

Er sieht trotzdem einen großen Haken: Man wäre nicht mehr gesprächsfähig, in Bezug auf sich selbst.

Und da kommt dann Pop ins Spiel.
Dort gibt es ja die ganzheitlichen Spielarten, in der die Intensität, die holistische Gesamtheit, benötigt wird. Improvisation, egal wo, Freejazz, Psychedelik, Techno, andere Clubmusik, die gesamte Rauschmusik halt.
Die andere Abteilung, die songorientierte Popmusik, gehört, sagt DD eher zum geteilten Selbst alten Stils (Fordismus und so): "Da gibt es ständig Verhandlung, Selbstbeobachtung und einen Konflikt mit sich selbst: Das ist ja das Slash zwischen Singer und Songwriter."
Die dort stattfindende Intensität wird beschrieben, gezeichnet, wie in Literatur, sie findet nicht in der Form statt. Sie ist gleichzeitig intensiv und distanziert.

Und jetzt kommt's:

"Deswegen ist der Song heutzutage auch so obsolet,

oder sagen wir: Er tendiert dazu, das zu sein."

Die Distanzlosigkeit zwischen den Teilen des Selbst (dem Arbeits-Ego, dem Privat-Ego) bringt zwar sowas wie verbesserte Authentizität, aber um die geht es (vor allem im Pop, der damit vorrangig nur hantiert und spielt) letztlich nicht mehr.

Dieser Artikel ist die Ausgangs-Basis der Bonustrack-Sendung vom 15. Dezember.
Phone-In Möglichkeit unter 0800- 226 996; von außerhalb Österreichs unter 43-1-503 63 18. Lines offen ab Mitternacht, wie immer erst nach der Kurzversion für Dummies.

Die Musik zum Thema kommt von den Beatles, eh logisch. It's only a northern Song und It's all too much.

Der Club 2 ist hier nachzusehen.

Nachdem ich diese Diedrichsen-Aussage gelesen hatte, sind mir wieder die vielen fruchtlosen Debatten rund um die aktuelle Krise der Musik-Produktion, der Musik-Industrie eingefallen, in denen durchwegs planlose Menschen die virtuellen Hände überm Kopf zusammenschlagen und keine Ahnung haben wie alles kommen wird, und wie man das alles auflösen kann.
Was durchaus auch damit zu tun hat, dass man sich im alten, engen, durch die eigenen Regeln geschützten Bereich verortet, und weder an einen Meta-Bereich andockt noch sich dazu durchringen kann die Musik-Produktion als Teil des gesamten ökonomischen Systems zu sehen und da ein wenig weiter zu denken.

Keine Angst, das ist durchaus auch eine Selbstkritik. Vor allem angesichts einer Streichelweich-Performance im Club 2, heute ab 23 Uhr nachzusehen, die sich mit zu engen Analysen begnügt, wo es doch gerade jetzt, am Ende einer Ära, wichtig wäre hier ceterumcenseomäßig zu nerven. Aber womöglich ist das zu viel verlangt. Weil es nämlich Beschäfigung mit Musik vorraussetzt, die hierzulande nicht (mehr) existiert - Musik wird (und da ist man entschieden modernistischer) nur noch als wertloses Anhängsel empfunden, keineswegs mehr als wesentliche Kultur-Äußerung; dementsprechend dezent ist die Rezeptions-Kultur.
Mein Fehler ist es vielleicht dem allzu pragmatisch Rechnung zu tragen.