Erstellt am: 1. 12. 2010 - 21:15 Uhr
Insubordinationen.
Der nebenstehende Text ist die Ausgangs-Basis für die Bonustrack-Sendung am 1. Dezember in der FM4-Mitternachtseinlage am Mittwoch.
Thema diesmal: die durch die Wikileaks-Veröffentlichung der diplomatischen Cables losgetretene Diskussion um die Rechtfertigung von Freilegung von Geheim-Dokumenten und die paternalistische und pharisäerhafte Haltung die Mainstream-Media, in Österreich auch die sogenannte Qualitäts-Presse dazu einnimmt.
Die Kurzversion für Dummies:
Diese Wikileaks-Sache ist ja nicht nur geil wegen Tratsch und weil die Welt der Geheimdienste und die Welt der Diplomaten da aufgeblattelt wird. Die kann auch deswegen was, weil sie ein komisches Ungleichgewicht wieder geraderückt. Denn: im eigenen engeren Umfeld, da gabs gibts viele Whistleblower, also Leute, die "Geheimes" offenlegen um die Mächtigen zu zwicken. Aber in der neuen vereinigten globalisierten Welt der Cooperations und Konzerne und der sie unterstützenden/der ihnen unterstellten Regierungen hat das bislang gefehlt.
Bislang.
Jetzt schäumen die Betroffenen und die Mächtigen (die dem Wikileaks-Boss mit dem Polanski-Trick ans Bein pissen wollen) - ist ihr gutes Recht; sie haben sich in einer verlogenen Welt eingerichtet und brauchen diese Fassade. Wer das einreißt ist ihr Feind.
Komisch nur, dass die Medien da mitschäumen. Denn die haben eigentlich die Aufgabe genau diese Unwahrheiten und Verlogenheiten aufzuklären. Aber bis auf die, die von Wikileaks an Bord geholt worden sind (der Spiegel, der Guardian, die New York Times, die Großen und Guten also) sind alle ganz entsetzt und schreien Skandal.
Komisch ist das, weil die, auch die scheinheiligen Qualitäts-Medien sonst jeden Furz weitaus stärker aufblasen und auf Persönlichkeitsrechte oder Anstand genau Null Rücksicht nehmen.
Das hat einen guten Grund: diese Medien, die alten Medien, fühlen sich von allem, was an potentieller Konkurrenz aus dem Netz kommt, superbedroht. Deshalb ist Wikileaks ein Pfui und die Veröffentlichungen böse, aus keinem anderen Grund. Die Erregung ist also künstlich und verlogen - eh so, wie die meisten Leser/User, vor allem die Jungen die Medien aktuell eh einschätzen - als edbenso unglaubwürdig wie die Politik, als Erfüllungs-Gehilfen von Lobbyisten und Mächtigen.
Das pseudomoralische Gegreine ist also ein Indikator für die Angst der alten Medien: das jetzt ihr letztes Reservat, der qualitativ hochstehende Investigativ-Journalismus auch noch wegbricht.
Wer da aber giftspritzt und sich künstlich empört statt seriös und offen drüber zu diskutieren, hat dieses Match auch schon verloren.
Der italienische Außenminister Franco Frattini hat die Veröffentlichungen der Plattform Wikileaks, die mittlerweile als Cablegate die erste globale diplomatische Krise ausgelöst haben, wie folgt kommentiert: "Wikileaks möchte die Welt zerstören." Mit dieser Ansicht steht der Berlusconi-Gefolgsmann nicht alleine da - eine riesenhafte Koalition zwischen Demokraten und Dikatoren sieht das genauso.
Im Umkehrschluss heißt das jedoch: die Welt ist auf Lüge aufgebaut. Eine Erkenntnis, die so schlimm nicht ist.
Fatal ist nur der implizierte Denkfehler: dass dieser Weltenaufbau (sofern die Analyse überhaupt richtig ist) strikt und um jeden Preis zu verteidigen sei.
Da wird es moralisch und argumentatorisch nämlich eng.
Und: eine andere Begründung für die Unartigkeit der Veröffentlichungen gibt es nicht. Denn letztlich ist der Handel mit Informationen und Einschätzungen, den die Cables, die Depeschen des weltweiten diplomatischen Informationsnetzes transportieren, ein Handel mit virtuellen Werten. Und die Offenlegung dieser Aktien zieht keine Gefahr nach sich, die nicht bereits bestehen würde - sie legt bloß bloß, sie seziert und erklärt Abläufe und Handlungen.
Wikileaks rückt eine Schieflage gerade
Letztlich sorgt auch das vielerort als Tratsch abgetane Material dafür, dass die Währung der Nachrichtendienste entzaubert werden. Das ist kein Verbrechen, sondern ein Geraderücken, ein gerade noch rechtzeitiges Nachziehen.
Denn in der Entwicklung der globalisierten Welt ist die Entwicklung einer globalisierten Insubordination durch Aufblattler und Offenleger, die es im regionalen und nationalen Maßstab immer gegebenhat, bislang zu kurz gekommen.
Wikileaks hat keine Ungeheuerlichkeit begangen, sondern die notwendige Balance zwischen dem Geheimwissen der Mächtigen und der Investigation durch Aufklärer nachjustiert.
Dabei kommt es allerdings zu einem auch in Österreich erstaunlichem Phänomen: dem durchgehenden Versagen der Medien, vor allem der sogenannten Qualitäts-Medien. Alle, die nicht wie New York Times, Guardian oder Spiegel Wikileaks-Partner sind und deshalb um die Bedeutung dieses Spiels wissen (also auch die Philosophie dahinter verstanden haben) drücken jetzt wie der Pawlowsche Hund auf den roten Reflex-Knopf und schreien "Skandal!".
Paternalistisches Mediengehabe
Auch die sonst schlauesten. Florian Klenk vom Falter etwa, Österreichs vorderster Investigativer zieht die Debatte am Gatekeeping auf: Sorgfältige journalistische Abwägung wäre besser gewesen als die blanke Veröffentlichung von allem Rohmaterial. Abgesehen davon, dass die drei genannten Leitmedien diese Rolle ohnehin übernommen haben: die prinzipielle Annahme, dass der größte Feind des Informanten sein Gutmeinertum wäre, also der mangelnde Profi-Blick, der dann auch gefährliche, juristisch inkorrekte und widerliche Veröffentlichungen zulassen würde, ist nur unter einer Bedingung tatsächlich zulässig - dass das alles innerhalb einer funktionierenden Medienlandschaft stattfindet.
Was aktuell weltweit sicher nicht, in Europa nicht durchgängig, ist Österreich kaum der Fall ist.
Letztlich führen die Mainstream-Medien hier nur die alte Journalismus vs. Blogger-Angstcampagne weiter. Weil - aus traditionalistischen, fast schon rein gottgebenenen Gründen - nur alseingesessene Medien über die visionäre Gabe der moralischen Einschätzung verfügen würden, die vergleichsweise junge Web-Szenerie aber eher mit dem Digi-Teufel im Bunde sei, geht das alles eben gar nicht, ist aus einem über die Art des Mediums abgeleiteten Automatismus ein Pfui.
Gaddafis Nurse und der Vertrauensverlust
Schönes Beispiel: das Gejammer über ein aktuelle Wikileaks-Opfer, die Nurse von Gaddafi. Hier jammern die Scheinqualitäts-Medien über furchtbare Vorverurteilungen die a) nicht durch die auf WL veröffentlichten Cables passieren, sondern durch das Gezerre und Gezeter im Nachfeld, und die sie b) wenn sie die Dokumente selber zugespielt bekommen hätten, deutlich grauslicher und menschenverachtender inszeniert hätten.
Das wirft nicht nur der Glashäusler mit Steinen, da schreit fast schon der liebe Kinderschänder (um da aktuell den Kaiser ohne Kleider zu zitieren) wenn er youporn entdeckt.
Der Journalismus, zumal der heimische hat seine ureigenste Aufgabe, nämlich die der Erhellung und Aufklärung seines Publikums völlig aus den Augen verloren. Statt zu informieren, gatezukeepen, nach Relevanz zu sortieren und die Informationen analytisch zusammenzuführen, wird zurückgehalten, Herrschaftswissen geschaffen, einem imaginären Publikum, gefühlten Mehrheiten und hochgerechneten Umfrage-Lächerlichkeiten hinterhergelaufen.
Der Vertrauensverlust in die Politik wird massiv, umd vor allem auch bei den Jungen, mit einem Vertrauensverlust in die Medien begleitet (hier eine aktuelle Analyse/Studie dazu). Selbst die Heute-Leser, die sich über das Warum nicht im Klaren sind, sind sich in signifikanter Anzahl über die Gängelung durch Interessen hinter den Medien, und deren Auftraggeber und Einflußnehmer bewußt.
In der Platzhirschigkeit beleidigt
Für Österreichs Medien-Mainstream heißt das: die einen blocken aus wirtschftlichen Interessen, die entweder von Besitzern, Förderern oder den Marktmächten vordefiniert werden und auch noch unter Gewinn-Druck stehen; die anderen blocken aus moralischen Gründen, weil sie Angst vor der Gemeinheit des Publikums haben und die durch die Auslassung von anzusprechenden Topics schonen und dergestalt bilden möchten.
Beides ist fatal. Und beides wird durch die Leaks, die Wikileaks schleusenweit öffnet, durchaus deutlich offengelegt.
Denn die gekünstelte und in seiner Platzhirschigkeit beleidigte Empörung über die Gemeingefährlichkeit von veröffentlichten Dokumenten, die man selber (je nach Gehabe) deutlich unsensibler behandelt hätte (auch weil man nicht über die Expertise von NYT, Guardian oder Spiegel verfügt, ist Gejaule im finsteren Wald.
Und ein Vorgeschmack auf das, was folgen wird: die zunehmende Unwichtigkeit von herkömmlich agierenden Medien was ihren letzten Zufluchtsort, den der Ivestigation, betrifft - wobei diese Zuflucht in den meisten Fällen bloss eine Fiktion, eine schon längst nicht mehr gebrauchte Möglichkeit ist.
Die Insubordination gehört jetzt dem Netz
Dieser Artikel ist die Ausgangs-Basis der Bonustrack-Sendung vom 1. Dezember.
Phone-In Möglichkeit unter 0800- 226 996; von außerhalb Österreichs unter 43-1-503 63 18. Lines offen ab Mitternacht, wie immer erst nach der Kurzversion für Dummies.
Die Musik zum Thema kommt von Fred Schreibers neuer Single Größer als wir.
Deshalb ist das paternalistische Naserümpfen über die "unprofessionelle" Herangehensweise der Whistleblowers auch so unsympathisch: weil sich eine ganze Branche durch dieses undiffenzierte Geplapper selber der Möglichkeit enthebt sich die wichtigen Gegenwarts- und Zukunfts-Fragen zu stellen.
Denn für die Insubordination, für den zivilen Ungehorsam ist ab jetzt, was die Welt der Medien betrifft, nicht mehr die alte Nomenklatura (mit Ausnahme von ein paar wenigen Muster-Betrieben) zuständig, sondern die neue Medien-Welt, das ohne Sinn und Maß attakierte Feindbild.
Hasspredigertum (und mehr sind die Äußerungen der Old-Media, auch und vor allem die der meisten sogenannten Qualitäts-Medien definitiv nicht) allein wird nichts nützen um den Turnaround in dieser Entwicklung zu schaffen.