Erstellt am: 17. 11. 2010 - 20:02 Uhr
Die uninformierte Demokratie.
Der nebenstehende Text ist die Ausgangs-Basis für die Bonustrack-Sendung am 17.November, in der FM4-Mitternachtseinlage am Mittwoch.
Thema diesmal: die bestmöglich erhältliche Beschreibung zur Lage der Medien-Kultur. Eine Präsentation/Analyse eines Textes den der Schweizer Kurt Imhof, Professor für Publizistik und Soziologie in Zürich für die Zeitschrift Texte der Public Value
Die Kurzversion für Dummies:
Demokratie = die immer noch beste Staatsform. Wichtig dafür: Kontrolle durch Medien. Und eine schlaue Balance zwischen öffentlich kontrollierten und privaten.
Das sind die alten Merksätze. Aber die neue Zeit putzt dieses System, das lange funktioniert hat, weg.
Die neue Zeit, das ist:
1) von niemandem kontrollierbare globalisierte Multis, die auch Medien/Verlage besitzen. Weil die nationalen Regierungen da nix machen können, entwerten sich Politik und auch die Berichterstattung darüber.
2) die durchgehende Kommerzialisierung aller Medien bringt es mit sich, dass die billiger und flacher produzieren, es keine Vielfalt und eine Gratis-Mentalität gibt. Guter Journalismus is einfach nix mehr wert.
Der Schweizer Professor Imhof hat acht Effekte erkannt.
a) weniger Fachredakteure und Spezialisten -> die Fähigkeit das viele vorhandene Wissen einzuordnen geht verloren. Blöd, wenn man eigentlich Anschluss an die große globale Welt sucht.
b) zuviel Personalisierung und Skandalisierung; Erregung statt Diskurs, das macht auch doof und unsensibel.
c) nicht mehr nur die Alten und die Dummies, sondern auch fast alle Jungen sehen die Welt als Abfolge von Krisen und Skandalen, alles ist Human Interest, nix ist wichtig.
d) die Medien (nicht mehr nur der Boulevard, fast alle) beuten diese Haltung aus, indem sie diese Empörungs schüren und gewinnbringend bewirtschaften.
e) wo die Medienqualität sinkt, steigen die Erfolge der Populisten, das eine beflügelt das andere, weil der Transport von hohlen Aktionismus besser fährt.
f) Wirtschafts-Berichterstattung, eh immer schon scheisse, wird noch angepasster.
g) die Branche redet sich krank, der Nachwuchs will lieber PRmachen statt journalisteln.
h) das Publikum, das alles nur noch billig und gratis will, verliert das Vertrauen - selffulfilling.
Dazu kommt: keine Medienkritik, null Kultur seit jeher, nur Verlags- und Machtpolitik.
Der Schweizer Professor glaubt nicht durch Selbstheilung übers Internet - sondern an drei Punkte.
1) öff.-rechtlichen Journalismus stärken.
2) sowas wie eine Konsumenten-Information einrichten, als Wegweiser, whatever that means.
3) endlich Medien-Kompetenz in der Schule einführen.
Alles nichts Neues, aber in dieser Deutlichkeit und Dichte so noch nie zusammengefasst; und vor allem wichtig, weil das der Standard ist, von dem aus man weiterdenken muss.
Was aktuell so gut wie niemand tut. Was aber - zumindest ich - ab sofort als Messlatte einziehen muss.
Ich mag den Schweizer Professor Kurt Imhof weil er mir vor ein paar Wochen den Begriff "Empörungsbewirtschaftung" geschenkt hat. Mir und ein paar anderen, die bei einer der vielen, mäßig interessanten Diskussionesrunden zum großen Thema Qualitätssicherung in den Medien oder so, zugegen waren.
Das Wort klingt nicht nur schön, wenn man es mit schweizerischem Bedacht ausspricht, es trifft auch viel besser als Skandalisierungs-Journalismus, den Begriff, den ich bis dato verwendet habe. Weil es präziser ist: Medien (und es ist bei weitem nicht mehr nur der Boulevard, das ist bis ganz tief in die Qualitäts-Presse hineingedrungen) hecheln ja nicht mehr nur hinter allem her, was wie ein Skandal aussieht oder sich aufbauschen läßt, sie instrumentalisieren und schlagen zusehends Kapital aus der, genau, Bewirtschaftung der Empörung, die sie miterzeugen oder, manchmal, gänzlich allein vorgeben.
Der Erfinder der Empörungsbewirtschaftung
Imhof, ein international gefragter Experte hat im Public Value-Heft Texte eine Kurz-Variante seiner aktuellen Analyse zur Lage der Medien publiziert. Und dieser Blick auf die Dinge ist die meiner Meinung nach bestmögliche Zusammenfassung des Status Quo. Eines Status Quo, über den in der an Medien interessierten Öffentlichtkeit ein verheerend geringes Bewusstsein herrscht, den aber auch der Großteil der hauptamtlichen Medienmacher in seiner Gänze und Tragweite noch nicht überrissen haben. Behaupte ich einmal.
Letztlich ist das, was Imhof da in seiner klaren sachlichen Sprache so knapp wie möglich, aber so wissenschaftlich beredt wie erforderlich zusammenfasst, das Große Einmaleins, also das unabdingbare Rüstzeug für alle, die mitreden oder zumindest mitdenken wollen.
Deshalb, jetzt hier, der Versuch einer journalistischen Aufarbeitung des Textes:
Zum Systemrisiko der Demokratie
Der Anfang ist ein ganz klein wenig sperrig, weils ohne die Basics nicht geht, später wirds spannend wie ein Krimi.
Auch der Titel klingt sperrig, weil Imhof fest in die Geschichte der politischen Massenmedien reingeht, und in etwa bei der Aufklärung ansetzt.
Voraussetzung: ohne funktionierende Medien keine Demokratie. Wichtig: die Balance zwischen öffentlich kontrollierten und privat organisierten Interessen. Grundsätze, die von praktisch allen getragen werden. Die, die sich da nicht angesprochen fühlen, sind dorten besser aufgehoben.
Nur: die Gesellschaft hat sich seit der Aufklärung gewandelt - nur sind die Änderungen noch nicht angekommen, zumindest nicht in den alten medialen Denkmustern.
Imhof spricht von aktuellen Risiken, denen die Demokratie ausgesetzt ist und meint damit zum einen politische Institutionen ohne Öffentlichkeit, zum anderen die Kommerzialisierung des Medienwesens und das daraus entstandene Phänomen der Privatisierung der Öffentlichkeit.
1) Was sind "politische Institutionen ohne Öffentlichkeit"?
Supranationale Machtzentren, die sich im Gegensatz zu den politischen Institutionen des Staats öffentlicher Kritik entziehen können. Globale Player, die die Weltökonomie diktieren und den Handlungsspielraum für Regierungen massiv einschränken. Weiß man allerspätestens seit der letzten Weltwirtschaftskrise.
Die Öffentlichkeit, sagt Imhof, wäre der Globalisierung von Politik und Wirtschaft nicht nachgewachsen (zur Schuldfrage später) - die Folgen wären verheerend: das Status politischer Ämter wird weitgehend entwertet, kein Bürger will sie mehr übernehmen.
2) Was meint er mit der "Kommerzialisierung des Medienwesens"?
Die Balance zwischen Privatheit und Staatlichkeit stimmt nicht mehr, die diversen Krisen (neben der ökonomischen eben auch die inhaltliche, siehe Punkt 1) führen zu einer Reduktion der Vielfalt. Imhof meint das führe zu einer Durchdringeung der Medieninhalte mit dem, was intensive Beachtung findet und mit wenig Aufwand produziert und in möglichst vielern Kanäle abgefüllt werden kann. Und er meint das, im Gegensatz zu den Medien-Managern, die genau das als positive Entwicklung verkaufen, nicht positiv. Zudem wurde auf Konsumentenseite durch die neue Gratis-Kultur (im Netz und dem, was Imhof Pendler-Zeitungen nennt, also die Gratis-Tagesblätter) das Preisbewusstsein für Journalismus zerstört.
3) Was ist die "Privatisierung der Öffentlichkeit"?
Zunächst ist alles wie immer: Öffentlichkeit über Medien mit Definitionsmacht erzeugt Druck auf die Mächtigen und kontrolliert das politische System und die demokratische Praxis.
Weil aber die supranationalen Player auch im Verlags/Medien-Biz mitspielen, sind sie so gut wie nie Adressat dieses Drucks. Imhof spricht in diesem Zusammenhang von einem Verlust demokratischer Regulierung.
Natürlich haben auch die Medien auf die geänderten Verhältnisse reagiert und ein "marktabhängiges System" geschaffen. Imhof: Indem die Medien den Staatsbürger durch den Medienkonsumenten ersetzen, verwandelten sich die medialen Aufmerksamkeitslandschaften unter dem Druck der Kosten und der Nachfrageoptimierung. Und die Politik passt sich der neuen Medien-Logik an.
Imhofs acht Schätze
Imhof sieht da, ganz konkret (und damit steigen wir in die Praxis ein) acht Effekte.
- a) Abbau von Ressorts und Spezial-Wissen. Der Fachredakteur wird zugungsten des Alleskönners und Auf-allen-Kanälen-Spielers ersetzt, was das Niveau klarerweise und deutlich senkt. Siehe auch: Abbau von Korrespondenten-Netzen. Siehe auch, weiter oben, das Nichtnachwachsen der öffentlichkeit in der neuen politischen und ökonomischen Globalisierung. Gerade jetzt wo Wissen über "das Andere" wirklich wichtig wäre, wird (in antizyklischer Verblendung) vermehrt auf Lokales und Nabelschauen gesetzt.
b) zunehmende Personalisierung, Privatisierung, Konflikt-Stilisierung und Skandalisierung der Berichterstattung - meines Erachtens der allerwichtigste Punkt, gerade in Österreich.
Verlust der Auseinandersetzung um die Bewertung und Bedeutung von Ereignissen, und Anpassung der Politik an die neue Medien-Logik
Themen werden nicht mehr behandelt, sondern per scheinausgewogener Sachverhaltsdarstellung sofort auf eine moralisch-emotionale Ebene gezerrt (siehe: Umgang mit dem Tezcan-Interview).
- c) Anpassung der Medien an die soziale Schichtung der Gesellschaft - Spaltung in elitäre Erklärungs-Medien und spaßieg Performer. Imhof sagt das wunderbar: Medien für niedrige Bildungs- und Einkommensschichten und für jüngere Alterskohorten betreiben einen Informationsjournalismus, in dem sich die Welt in Human Interest auflöst. Die Welt als Kette von Krisen und Katastrophen. Was früher den alten Leuten passierte, diese "ois gonz fuachtboa!"-Mentalität der HeilenWelt-Suche, - wofür sie von einer weltläufigen jungen Generation aus vollem Hals ausglelacht wurde, ist heute jugendlicher Mainstream; und das nicht nur in der Unterschicht.
d) Der gnadenlose Kampf um die Aufmerksamkeit, in dem einander Politik und Medien dauerüberholen, die gezielte Empörungs-Bewirtschaftung findet flächendeckend, in allen Medien, statt. Die Agenda der Innenpolitik, in Österreich auch die der Medienpolitik, funktioniert mittlerweile ausschließlich darüber.
- e) Wo die Medienqualität schnell erodiert ist und die Gratiskulut floriert (Belgien, Niederlande, Österreich) oder nie Medien mit Qualitätsanspruch aufgebaut werden konnten (Osteuropa) feiern populistische radikale Bewegungen gewaltige Wahlerfolge. Der politische Populismus, sagt Imhof, wird durch den Medien-Populismus beflügelt, auch weil populistische Akteure dort bessere (weil hohlere) Resonanzräume für ihre Aktionsformen finden.
f) Die Wirtschaftsberichterstattung passt sich all dem an. In diesem Bereich ist Österreich ohnehin Entwicklungs-Land, und da der Großteil der Verlage im direkten Einfluss-Bereich von mittlerweile global agierenden Global Players stehen (sofern sie ihnen nicht direkt gehören) war hierzulande nie europäisches Niveau vorhanden.
- g) Die Branche verliert sich in Unbehagen. Früher Unvorstellbares passiert: der Nachwuchs (auf Unis oder FHs) interessiert sich mehr für Marketung oder PR als für den Journalismus.
h) Starker Vertrauensverlust beim Publikum, dem gleichzeitig das Bewusstsein, dass guter Journalismus kostet, verlorengegangen ist (siehe das Dauer-Gejammer um GIS-Gebühren, das Geschnorre bei Qualitäts-Zeitungs-Abos etc). Der quasi haptische Bezug zum Medium, dem täglichen Gewohnheits-Gut, verliert sich.
... und dann noch das mit dem Medien-Magazin
Imhof geht da, in seiner Konsumenten-Kritik noch einen guten Schritt weiter. Außerhalb unserer persönlichen Wahrnehmung, sagt Imhof, entsteht unser Bild der Welt aus den Medien (und ein wenig word of mouth, darf ich ergänzen).
Wir wissen aber nicht, ob sich nun die Welt ändert oder nur die medienvermittelte Kommunikation über sie. Imhof spricht es nicht aus, aber er impliziert, dass oft zweiteres passiert und als ersteres angesehen wird.
Und er kritisiert, dass es hier, im Bereich eines Vertrauensguts, keine ernsthafte Medienkritik mehr gibt. Der Medien-Journalismus, den es in Deutschland oder der Schweiz tatsächlich gab, wird ja abgebaut wie (siehe Punkt a) die meisten Spezial-Ressorts.
Sonderfall Österreich: hier gab und gibt es keinen Medienjournalismus, nur armseligen Parodien drauf und gezielt gesteuerte Ausflüsse der Strategie-Abteilungen der Konzerne hinter den Verlagen. In diesem Zusammenhang darf ich auf ein Ceterum Censeo des Wiener Publizistik-Professors Hausjell verweisen, der ein Medien-Magazin im ORF-TV fordert.
Was tun?
... fragt Imhof und hat eine ganze Latte an möglichen Antworten.
Da der Schweizer Prof nicht an die Rettung durch das Netz, die Blogger/Bürgerjournalisten etc glaubt und die "Organisationsform fluider Stämme" nicht gerade als zivilisatorischen Fortschritt sieht (schade), bleibt der klassische Rückzug auf das, was er eine professionelle Expertenkultur nennt.
Und da sagt er dann: "Wenn den Demokraten die Demokratie lieb ist, dann gilt es den wichtigsten 'Service Public' liberaler Rechtsstaaten, einen guten Informationsjournalismus zu retten, denn er ist am Sterben."
Nach dem Weltanschauungs-Journalismus der späten 20. Jahrhunderts und den kurzzeitig florierenden Geschäftsmodellen der alten Schule, die aktuell durch die Medien-Konvergenz weggefegt werden, wär das der bereits dritte Todesfall.
"Das gefährlichste Systemrisiko ist die uninformierte Demokratie", sagt Imhof, und ist damit beim Ausgangspunkt. Und beim Status Quo in Österreich, wie ich meine. Diese "uninformierte Demokratie", die haben wir bereits. Überdeutlich.
Drei Forderungen
Dieser Artikel ist die Ausgangs-Basis der Bonustrack-Sendung vom 17. November.
Phone-In Möglichkeit unter 0800- 226 996; von außerhalb Österreichs unter 43-1-503 63 18. Lines offen ab Mitternacht, wie immer erst nach der Kurzversion für Dummies.
Die Musik zum Thema kommt von Ja, Panik - Die Luft ist Dünn.
Imhof ist optimistischer und hat drei Forderungen.
1) ein Grundangebot öffentlich-rechtlicher Medien mit gutem Informations-Journalismus.
2) eine mediale Qualitätsbeurteilungsstelle, ein Art Konsumentenschutz. Keine Ahnung, wie er sich das vorstellt, ehrlich, sowas geht in der Schweiz mit vielen hunderten Jahren Demokratie-Geschichte, nicht in Österreich mit verhatschten und kaum seriös durchgeführten 65.
3) ernsthafte Medien-Kompetenz in den Schulen einführen - anstatt dem ewigen Gerede drüber.
Imhofs PS: über den Nationalstaat hinausdenken, also das bereits ein paar mal zitierte Hinterher/Nachwachsen der Öffentlichkeit, was die Globalisierung von Politik und Wirtschaft betrifft.
Richtig und wichtig, aber in Österreich aktuell denkunmöglich.
Trotzdem: ich finde, Imhofs Rebooting eines vor allem in Österreich viel zu simplen Medien-Denkansatzes (der aktuell nie über die Lippenbekenntnisse des dualen Systems hinauskommt, weil er sich den Veränderungen verschließt) muss ab spätestens jetzt Standard fürs Weiterdenken im Medienbereich sein.