Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Gegen Hörgewohnheiten und Herbstdepression"

Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

13. 11. 2010 - 14:36

Gegen Hörgewohnheiten und Herbstdepression

FM4 Soundparknacht: Von emotionalen Reisen der Linzer Tensalomi und dem Sprengen von Vorurteilen und Hörgewohnheiten mit dem Quartett Tupolev und ihren "Towers Of Sparks".

Diese Jahreszeit, die sich nach dem bunten Farbenspiel der herabfallenden Blättern oft durch die nebelige grau in graue Atmosphäre auszeichnet, wird meist mit Melancholie und nicht selten mit Depression verbunden. Das dem nicht so sein muss, zeigt sich vor allem in der heimischen Musiklandschaft. Denn der stete Fluss an großartigen Veröffentlichungen reißt weder ab, noch wird er zu einem Feldzug der Trauer und Verzweiflung. Vielleicht werden die Töne leiser und die Songs gefühlvoller, trotzdem gibt es genug hoffnungsvolles und aufrüttelndes Klangmaterial in der kommenden FM4 Soundparknacht von Sonntag auf Montag zu hören.

Der Mythos des perfekten Popsongs

Du sitzt im Zug und fährst durch eine unbekannte Landschaft. Nach der nächsten Haltestelle sitzt dir plötzlich eine Person gegenüber, die dir auf Anhieb sympathisch ist. Etwas zögerlich beginnst du ein Gespräch und merkst schnell, dass dieser Mensch etwas in deinem Inneren in Schwingung gebracht hat. Die Begegnung dauert nur wenige Minuten und doch kannst du in den darauffolgenden Jahren nicht anders, als immer wieder daran zu denken...

Tensalomi

Tensalomi

Es geht hier nicht etwa um ein Konstrukt, wie das von Jesse und Celine, die ihre zufällige Begegnung eine Nacht lang in Wien vertiefen, sondern um die wahre Begebenheit, die sich für Bernhard Riegler, den Sänger der Linzer Band Tensalomi zugetragen hat. Nur sieben Minuten hat die Situation gedauert, die der Linzer Singer/Songwriter in den letzten sieben Jahren immer wieder in seine Songs einfließen hat lassen. Das Schöne dabei ist, dass die Songs von Tensalomi nie in depressive Selbstbemitleidungsballaden abdriften, sondern von einer mit Melancholie ausgestatteten und dennoch hoffnungsvollen Grundstimmung geprägt sind.

Zusammen mit Gitarrist Werne Jirosch bildet Bernhard Riegler den Kern einer luftiken, folkinspirierten Band, die das Reisen in jedem Harmoniewechsel mit sich trägt. Egal ob ein Trip nach Australien oder die für das Proben notwendige Pendelbewegung innerhalb Österreichs, Tensalomi sind eine sich ständig verändernde Größe, was geographische Basis und Besetzung betrifft.

CD-Hülle von tensalomi: Stay Stay, ein Aufklappbild von einem Bahnhof

Radio FM4

Mit "Stay Stay" haben die hauptsächlich aus Oberösterreich stammenden Musiker neben zwei EPs das dritte Album veröffentlicht. Das mit aufklappbarem Bahnhof liebevoll gestaltete 3D-Werk ist auf jetzt auf TRONrecords, dem Label von Bernhard Eder erschienen, wobei sich durch alle Veröffentlichungen auch die Reise wie ein roter Faden zu ziehen scheint. Es ist die Suche nach dem heiligen Grahl des Musikbusiness. Denn Bernhard und Werner spüren unentwegt dem Mythos des perfekten Popsongs nach. Wie nahe sie diesem vielleicht utopisch erscheinenden Ziel gekommen sind, könnt ihr selbst entscheiden, wenn Bernhard und Werner uns durch ihr neues Album führen werden.

Die Türme der musikalischen Sprühfunken

Es ist eine ganz besondere, eigenwillige und unvergleichliche Welt, die sich die Wiener Band Tupolev in den letzten Jahren aufgebaut haben.

Tupolev Bandfoto

David Murobi

In harter, zeitaufwendiger Kleinstarbeit haben Pianist Peter Holy, Bassist und Cellist Alexandr Vatagin, Elektroniker und Soundforscher Lukas Scholler und Schlagzeuger David Schweighart einen Soundkosmos geschaffen, der im ersten Augenblick verstört, bricht das Quartett doch mit jedem Ton mit den herkömmlichen Hörgewohnheiten. Die abstrakten, avandgardistisch anmutenden Instrumentalstücke des neue Albums "Towers Of Sparks" fordern uns zuzuhören und sind derart ausgeklügelt und clever arrangiert, dass man gar nicht anders kann, als nach dem ersten Klavierakkord gespannt seine Ohren zu spitzen, um zu hören, wie sich die Harmoniebögen weiterentwickeln und stetig gespannt werden, um kurz vor ihrem Zerreißen die Komplexität eines Stückes in ein wundervolles Gesamtklangbild aufzulösen.

Mit Jazz hat das ganze nichts zu tun, wie David, Alexandr und Peter bekräftigen. Es mag wohl mit meinem "Vorurteil" und vereinfachter Genre-Zuweisung zu tun haben, dass ich irrtümlich Tupolev beinahe in diese große Schublade gesteckt hätte. Und das wiederum liegt nicht zuletzt daran, dass der Eindruck, "Towers Of Sparks" habe etwas mit Improvisation zu tun, vollkommen falsch ist. Jeder einzelne Schlag und jeder Ton ist komponiert und ausnotiert. Deshalb hat die Vollendung des einen oder anderen Stücks auch schon mal bis zu einem halben Jahr dauern können.

Tupolev Albumcover "Towers Of Sparks"

Tupolev

"Towers Of Sparks", der mittlerweile zehnte Release von Alexandr Vatagins eigenem Label Valeot Records, ist ein meisterliches Werk, selbst wenn man so wie ich beim ersten Durchhören manche Momente der harmonischen Komplexität "aushalten" muss, um im Verlauf der Komposition den dahinter- oder darüberliegenden, gesamten, kunstvollen Melodiebogen herauszuhören. Hat man sich erst einmal auf dieses Musikuniversum von Tupolev eingelassen, wird man auch reich belohnt. Tracks wie "lts" oder "Petroleum" erzeugen eine magische Tiefe durch die dezent gemasterte Produktion, die sich dem Zeitgeist der "race of loudness" entziehend die ausgeklügelte Dynamik transparent und hörbar macht. Was sonst noch hinter den Türmen des Sprühfunken steckt, verraten uns vielleicht David, Alexandr und Peter im nächtlichen Interview.

Weiters in der FM4 Soundparknacht zu hören

"Back To My 90ies Mix" von Clemens Fantur:

artist song  
Texta Nachtmensch  
Waxolutionists Freifach Musik  
Das dampfende Ei Naturwaach  
The Moreaus Waikiki  
Aphrodelics Rollin' On Chrome  
DJ DSL L.O.V.E.  
HP Zinker I Am Down  
Urbs'n'Chaoz Closer To God (Thievery Corporation Remix)  
Schönheitsfehler Ich Dran  

Die FM4 Soundparkausgabe startet diesen Sonntag, 14. November 2010, um 01:00 Uhr nachts und endet am Montag, 15. November, um 06:00 Uhr früh!

Alle Herbstschläfer, die sich die Sendung lieber untertags anhören wollen, können ab Montag Mittag alle fünf Stunden eine Woche lang hier nachhören.