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5. 11. 2010 - 11:34

Festivalitis und Kompostis

Eine Replik zur Programmkino-Diskussion von Votivkino/Filmladen-Geschäftsführer Michael Stejskal.

Am 2. November 2010 schreibt Markus Keuschnigg in seinem Viennale-Blog über eine Podiumsdiskussion zur Lage der Programmkinos, über große Worte und fehlende Visionen über die "grauen Herren" in der Diskussionsrunde, Verleihpolitik und das Gespenst der Digitalisierung. Der ganze Beitrag ist hier zu lesen. Erfreulicherweise geht die Diskussion weiter; hier eine Replik von Michael Stejskal (Geschäftsführer Filmladen/Votivkino.

Als einer der "grauen Herren" am Podium und als Mitglied der "visionslosen Altherrenpartie" mag ich das nicht ganz unkommentiert stehen lassen, auch wenn mein Greisengehirn gegen soviel juvenilen Scharfsinn wahrscheinlich nicht bestehen kann:

Der Votivkino Blog gibt Einblicke in den Verleiheralltag

1) Auch ich hätte mir einen lebhafteren Diskussionsverlauf mit größerer Beteiligung des Publikums gewünscht. Aber als Diskutant auf dem Podium kann man das nur schwer beeinflussen.

2) Titelgebender Anlass der Veranstaltung war die Gründung der "IG Programmkino" und die derzeitige Unfinanzierbarkeit der Digitalisierung. Das mag inhaltlich "visionslos" wirken – ist im Moment aber für uns alle eine Frage von Sein oder Nichtsein und war daher auch das Thema des Podiumsgesprächs.

Kino

kinthetop.at

Votivkino, Wien

3) Selbstverständlich ersetzt die Digitalisierung der Leinwände keine Diskussion über inhaltliche Fragen und löst erst recht keines der Probleme im Bereich der Programmierung. Aber ohne ein rasches und entschlossenes Finanzierungskonzept, das es den Programmkinos ermöglicht, technologisch Schritt zu halten, erübrigt sich jede weitere inhaltliche Diskussion. Weil es dann diese Kinos nicht mehr geben wird.

4) In der Anamnese der Probleme gebe ich Dir, Markus, weitgehend recht. Deine Schlussfolgerungen greifen jedoch zu kurz. Gerade weil den interessieren MediennutzerInnen eine stetig wachsenden Bandbreite an Möglichkeiten zur Verfügung steht, sich Filme in den unterschiedlichsten Zusammenhängen anzuschauen, gerade weil sich die Aufmerksamkeit in sehr viele verschiedene Richtungen zerstreut, wird es immer kostspieliger, unvorhersehbarer (und potentiell verlustträchtiger) kleine Nischenprodukte ins Programm zu hieven. Zumal es zunehmend eine Frage von Glück und Zufall wird, ob man von den FilmjournalistInnen die nötige Aufmerksamkeit bekommt oder auch nicht. Denn jenseits der großen Weltfilmfestivals und der Viennale ist gerade die anspruchsvolle Filmkritik erstaunlich konformistisch in ihrem Geschmack. Und man muss bei einem kleineren Film inzwischen mächtig Glück haben, wenn sich überhaupt noch irgendjemand in die Pressevorführung bemüht und sich nicht stattdessen eine DVD im schnellen Vorlauf anschaut.

5) Je leichter es für die privaten Consumer wird, sich auf legalen, halblegalen und illegalen Wegen nahezu den gesamten Reichtum der Filmgeschichte und ein großes Spektrum des Gegenwartskinos zu erschließen, desto teurer und aufwendiger wird es für die Kinos an Inhalte jenseits der aktuell gestarteten Filme heranzukommen. Das beginnt bei der Programmierung von Filmen, die älter als zwei Jahre sind und endet noch lange nicht bei neuen Filmen, die keinen Verleih haben. Die Weltvertriebe sind schon längst nicht mehr unsere Verbündeten, wenn es darum geht, auch kleine und kommerziell wenig aussichtsreiche Filme ans Publikum zu bringen. Mit ihrer prohibitiven Preispolitik machen sie es nahezu unmöglich, diese Filme außerhalb der üblichen Auswertungswege zu zeigen. Aus ihrer Sicht sogar verständlich. Verdienen sie doch mit der inflationär anwachsenden Zahl an Festivals weitaus einfacher und sicherer ihr Geld.

6) Die rapide zunehmende Festivalitis und Eventisierung des Filmabspiels erschließt einerseits ein neues Publikum und zerstört auf der anderen Seite in zunehmendem Ausmaß das Publikumsinteresse an kleinen Filmen im regulären Kinobetrieb. Ursprünglich als Lösung des Problems gedacht (und von der öffentlichen Hand dafür subventioniert), werden die Festivals zunehmend zu einem Motor des Problems.

7) Die Begriffe "jung" und "alt" mögen sich ja durchaus eignen, in holzschnitthafter Vereinfachung die Kompostis am Podium einem vermeintlich jugendlichem Publikum gegenüberzustellen, als Kriterium zur Klassifizierung eines Kinoprogramms eignen sie sich aber wenig. Stattdessen wäre die Frage zu stellen, warum es innovative Inhalte europaweit nicht mehr in die Kinos schaffen. Und ob die Kinos überhaupt noch der richtige Ort sind, diese Art von Content zu zeigen.

8) Das alles soll nicht als selbstmitleidiges Herumjammern am Status Quo missverstanden werden, auch nicht als Ausrede, die Hände in den Schoß zu legen und schon gar nicht als Ausflucht, sich selbst und das eigene Tun in Frage zu stellen. Aber es ist nötig, das Umfeld in dem wir uns bewegen, illusionslos zu skizzieren. Auch deshalb um dem außenstehend Interessierten verständlich zu machen, wieso viele Programm-Maßnahmen unterbleiben, die sich dem normalen Hausverstand als sinnvoll und notwendig aufdrängen.

9) Ich gebe Dir, Markus, recht, dass inhaltliche Diskussionen in den letzten Jahren dünn gesät waren. Es ist allerhöchste Zeit, sie verstärkt zu führen. Ich bin dazu bereit. Zu jeder Zeit. An jedem Ort.

Michael Stejskal