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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

2. 11. 2010 - 13:47

Vlog #12: Keine Träume mehr

Auf der Viennale wurde gestern über die Zukunft der heimischen Programmkinos gesprochen. Mit großen Worten. Ohne Visionen.

Festivalitis und Kompostis: Eine Replik zur Programmkino-Diskussion von Votivkino/Filmladen-Geschäftsführer Michael Stejskal.(5.11.2010)

Um alles sollte es gehen. Erwartet wurde wenig. Gekommen ist nichts. "Schluss mit Halblustig!" lautete der, naja, halblustige Übertitel einer angekündigten Diskussion "Zur Lage der heimischen Programmkinos". Nicht die geografische war gemeint (obwohl dieser Faktor nicht unbedeutend ist), sondern freilich die wirtschaftliche und soziopolitische Befindlichkeit der, wie man international sagen würde, "arthouse-theatres". Obwohl es, bevor man jetzt überhaupt über deren Performanzen und Probleme redet, Sinn machen würde, den Begriff des Programmkinos einer Neubetrachtung zu unterziehen: die bedeutsame Abgrenzung zum "Mainstream"-Kino, die entspringt einer anderen Film- und vor allem auch Filmverleihkultur, als es heute der Fall ist. Das war von den 1960ern bis in die 80er-Jahre hinein auch identitätstiftend, das gemeinsame Bewundern von künstlerisch hochwertigen, aber kommerziell unverwertbaren modernistischen Filmen, Underground-Arbeiten, Avantgardekino und dergleichen. Die Programmkinos machten unabhängiges Programm, grenzten sich eindeutig und vehement ab von den anderen Häusern mit ihrer kommerziellen Ausrichtung; und sie konnten dafür auf ein treues Publikum, vielfach aus einem studentischen Umfeld, bauen, das bereit war, sich auf diese Entdeckungsreisen einzulassen und dafür zu bezahlen.

Kino

kinthetop.at

Das ist heute nicht mehr so, die Situation hat sich radikal geändert. Zum einen sind auch die Wiener Programmkinos schon allein aus Überlebensgründen nicht mehr in der Lage, ein Kontrastprogramm zu offerieren, sondern setzen auf einen Film-Mix, in dem kassenkräftige (kommerzielle) Filme mit bekannten Gesichtern oder von etablierten Regisseuren das eine oder andere programmatorische Wagnis mittragen müssen. Das ist auch vollkommen in Ordnung so. Zum anderen hat man es, jedenfalls im Jahr 2010, mit einem empanzipierten Publikum zu tun: mit Leuten, die zuhause einen Rechner stehen haben, angefüllt mit alten und neuen Film-Preziosen in zumeist hervorragender oder zumindest ansehbarer Qualität. Die Exklusivität eines Hauses, einen Film zum ersten Mal überhaupt ins Land zu bringen, die Neugierde des Publikums darauf, das ist mittlerweile selten geworden - und trifft, jetzt wird’s paradox, häufig vor allem auf die großen kommerziellen Filme zu, die aufgrund der faschistisch-paranoiden Großstudiopolitik zwangsweise vom digitalen Datenstrom weg gehalten werden. Ja, die Angst ist groß. Auf allen Seiten.

Allerheiligen

moviemento

Der Standard

Gestern also, zu Allerheiligen, dem Tag der Friedhöfe, eine Diskussion zu heimischen Programmkinos. Im Rahmen der Viennale. Am Podium im Badeschiff sieht man zuerst mal Grau: so viel Seriosität auf einmal, alles fest entschlossene Herren mittleren Alters, Kinobetreiber aus Wien, Linz, St. Pölten, Innsbruck. Publikum ist reichlich gekommen, zu Großteilen rekrutiert aus der Branche, die sich logischerweise dafür interessiert, teilweise auch, da es um ihre Jobs geht. Aber worum geht’s bei dem Gespräch? Da muss man dazu sagen, dass die Diskutanten vorwiegend mit sich selbst gesprochen haben, die anderen Anwesenden sozusagen tatsächlich nur Zuhörer waren (obwohl ab und an das Mikrofon vom Podium hinunter gereicht worden ist, wo dann andere Kinobetreiber und Mitarbeiter des Bundesministeriums hinein geredet haben). Diskussion hätte ich all das nicht genannt, vielleicht eher eine öffentliche Präsentation. Wovon? Von einem Schulterschluss, genannt Arbeitsgemeinschaft, zwischen einigen grauen Eminenzen der österreichischen Programmkinoszene, während andere nicht einmal gewusst haben, dass es so etwas überhaupt gibt. Es ging dann gestern auch um eine Demonstration, immer getragen von dem Verlangen nach einer Erhöhung der jährlichen Förderbeträge für Programmkinos aus dem Bundesministerium.

Kino

vienna.unlike.net

Der Teufel an der Wand und einziger Leitfaden in einem ansonsten ziemlich befindlichkeitsorientierten Gespräch, bei dem halt jeder erzählt hat, wie es seinem (keine Frau war auf dem Podium) Kino geht, war selbstverständlich die Digitalisierung. Ein Gespenst, das seit mehreren Jahren durch die Programmkinolandschaft spukt und immer wieder zu Unkenrufen einlädt. Es kann und darf nicht verschwiegen werden, dass von der zwangsweisen Umstellung von analoges auf digitales Kino eine Gefahr ausgeht: die technischen Neuanschaffungen und Anpassungen (pro Leinwand rechnet man mit guten 80.000 Euro) können sich viele Programmkinobetreiber einfach nicht leisten.

Das ist ein Problem, keine Frage. Erklärt wurden dann diverse Knebelverträge, bemängelt wurde unter anderem das Desinteresse der kritischen Öffentlichkeit, vor allem der Journalisten am drohenden Untergang, gefordert wurden Rettungsleinen von der öffentlichen Hand. Lasst euch sagen, es war insgesamt eine sehr, sehr österreichische Angelegenheit. Ohne die Gravität der strukturellen Wandlungen in irgendeiner Weise bagatellisieren zu wollen und ohne die kulturelle Wertschöpfung all dieser verdienstvollen Häuser zu schmälern, sitzen diese Herren auf dem Podium und präsentieren keine Visionen, keine neuen Ideen, scheinen sich nicht mal sonderlich zu interessieren für die Zeichen der Zeit. Es wird verlangt, kritisiert, aber nicht analysiert, vor allem nicht geschaut, was man vielleicht insgesamt falsch gemacht hat, wieso die Lage der Programmkinos in der gesamten westlichen Welt gar nicht mal so gut ist. Die Digitalisierung ist vielleicht das dringlichste Problem, aber es ist bei weitem nicht das Einzige.

Das Programm

Ein Programmkino macht unabhängiges Programm, kann nach eigenem Ermessen spielen, was gefällt, was funktioniert, wofür es ein Publikum gibt. Wieso, verdammt noch mal, und ich fühle mich schon wie ein mp3-Track im Dauerloop, versteht es dann bis auf ganz, ganz wenige Ausnahmen kein einziges Haus, ein profiliertes Programm anzubieten? Die Titel von jenen Kinos, denen ein Verleih angeschlossen ist, sind für das Publikum ununterscheidbar. Als Resultat gibt es kaum eine emotionale Bindung mehr zu den einzelnen Kinos, jedenfalls in Wien nicht. Statt ins Multiplex geht man ins Artplex, wobei einige Artplex-Filme auch in Multiplexen laufen und einige Multiplex-Filme in Artplexen.

Es gibt also, jedenfalls aus Kinogängersicht, nur mehr ein Multiartplex. Keine Widerhaken: freilich, immer wieder mal gibt es Initiativen, Filmreihen, Spezialprogramme, Wiederaufführungen. Aber, Überraschung, das machen die Multiplexe auch, locken ihre Kunden mit Screenings etwa von türkischen Filmen (die ohnehin verbannt sind in die Großkinos am Stadtrand) oder mit Genreprogrammen oder mit Franchise-Triple- oder Quadruple-Features. Ich selbst bewege mich in einem ziemlich film-affinen Kreis: für keinen meiner Bekannten macht es allerdings einen großen Unterschied, wo man den Film sieht. Es kommt auf die Filme selbst an und wenn die nicht funktionieren, wenn die nicht schreien und aufregend und neu und spannend und intelligent sind, dann wird auch das Kino nicht funktionieren. Dieser Förderfilmpudding, der muss endlich mal weg. Davor ist an ein Weiterkommen nicht zu denken.

Kino

kultur-online.net

Das Publikum

Denn, und das ist der zweite Punkt, man hat es eben heute mit einem weitaus aktiveren Publikum zu tun als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Das Internet füllt die Menschen da draußen (= das Publikum) mit Wissen an: mittlerweile weiß man, wann ein Film wo läuft, liest Kritiken, freut sich darauf - und muss dann fallweise ein, zwei Jahre warten, bis er hierzulande irgendwo auftaucht. So etwas kann man sich abschminken. Das interessiert niemanden mehr, denn, wenn ich den Film wirklich sehen will, dann habe ich ihn mir zu dieser Zeit schon längst auf einem digitalen Trägermedium, eben DVD oder Blu-ray, importiert. Gerade auch das junge Publikum ist es mittlerweile gewohnt, zu entscheiden. Sich eben nicht demütig in einen Saal voller Menschen zu setzen und dann einen Film vorgesetzt zu bekommen, der in vielen Fällen und nach heutiger Definition "alt" ist und bei dem irgendwann, irgendwo, irgendwer entschieden hat, ihn zu spielen. Die Diktatur Kino wird sich, jedenfalls teilweise, zur Partizipativ-Demokratie bekennen müssen, wie das in den USA mit Internet-Plattformen wie Demand it! schon längst der Fall ist.

Da stimmen die User einer Stadt ab, ob sie einen Film sehen wollen: gibt es genug "Demand", dann läuft der Film an - und das Publikum wird kommen. Denn man hat selbst mitgearbeitet daran, selbst entschieden. Auch deshalb war das Bild der grauen Herren am Podium für mich gestern so wachrüttelnd: die Lösung des Digitalisierungsproblems wird alle anderen Probleme nicht lösen. Wenn der Film schlecht ist oder die Leute nicht interessiert, dann werden sie ihn nicht ansehen, vollkommen egal, ob er analog oder digital vorgeführt wird. Und das Publikum, das ist auch fauler geworden: zu Hause steht die Heimkino-Anlage, daneben die digitale Bibliothek. Wie wichtig eine funktionierende Programmkinolandschaft auch für urbane Ballungsräume ist, davon machen sich die wenigsten ein Bild. Erst wenn es sie mal nicht mehr gibt, wird das Gezeter groß sein. Ich würde ja empfehlen, das Publikum aufzustacheln, ihm vorzuspielen, wie es wäre, gäbe es das Votiv, das Filmcasino und dergleichen nicht mehr. Leute, schließt euch zusammen, entwerft eine Kampagne, macht einen programmkinolosen Tag, an dem eure Häuser zugesperrt sind. Die Medien werden mitspielen, es geht was weiter.

Die Vergangenheit

Man kommt einfach nicht umhin, sich auch einen Generationswechsel herbei zu sehnen. So gut wie alle Herren, die gestern auf dem Podium saßen, sind zirka zwanzig Jahre älter als jener Publikumskern, für den sie ihr Programm machen sollten, der immer wieder ins Kino kommt. Und so sieht es dann auch aus. Wie ein Kino aus den Mittachtzigern bis Mittneunzigern, das verqueren und überholten Definitionen von "guten" Regisseuren und "anspruchsvollen" Filmen nachhängt, das jetzt darauf wartet geupdatet zu werden, damit man auch in der modernen Zeit gut funktioniert. Und da muss man mal sagen: wenn ihr es jetzt nicht schafft, euch zu verändern, ein feistes Programm anzubieten, zu dem auch junge bis sehr junge Leute kommen (wann hab ich das letzte Mal einen Teenager in einem Programmkino gesehen?), dann wird das Ganze sowieso irgendwann ein Ende finden.

Die heutige Jungendlichengeneration, die hat das Kinogehen nicht mehr wirklich am Radar (abgesehen von großen Event- oder Spektakelfilmen), die sehen sich ihre Serien und die Filme, die sie sehen wollen, nicht selten auch in Originalversionen am Computer oder am Handy an. Da jetzt kulturpessimistisch oder volksbildnerisch agieren zu wollen, ist der falsche Weg: es ist eine Realität, damit muss man sich auseinander setzen, sich jedenfalls damit abfinden. Wenn ich dann von neuen Visionen höre, die Tanztheaterveranstaltungen, Lesungen und dergleichen in den Kinoräumen umfassen, dann höre ich schon, wie der Grabstein gemeißelt wird. Nix für ungut, das braucht Platz, aber dann bitte auch nicht beschweren, wenn man untergeht. Bitte, holt euch junge Leute an Bord! Leute, die aus dem Jetzt kommen und die euch helfen können, eure wunderschönen Häuser ins Morgen zu führen. Da reicht keine französische Komödie und kein toskanisches Drama, da müssen ordentliche Veränderungen her, damit ihr wieder attraktiv werdet.

Ich weiß, vieles von dem, was ich geschrieben habe, mag sich ungerecht anhören. Einiges davon wird auch nicht stimmen. Es sind Ideen, weil mir das Thema nahe geht, weil ich auch in zwanzig, dreißig Jahren noch ins Filmcasino oder Votiv oder Stadtkino oder Schikaneder gehen können will. Weil es diese Häuser braucht, weil sie wichtig sind für die kulturelle Vielfalt, für die Textur, für die Gefühle. Wir brauchen euch. Aber ihr braucht auch uns. Also macht gefälligst was.