Erstellt am: 3. 11. 2010 - 14:03 Uhr
Vlog #13: Copy Control
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Gerade da in der letzten Zeit so viel vom digitalen, also vom kopienlosen, serverbasierten Kino die Rede gewesen ist, muss ich hier jetzt mal auf eine der Schlüsseltätigkeiten bei jedweder Filmfestivalorganisation hinweisen: die Kopienbeschaffung. Wenn man das selbst mal ein wenig miterlebt hat, dann weiß man, wie anstrengend und Nerven zerreißend das ist. Das Problem dabei lässt sich mit dem marktwirtschaftlichen Grundsatz von Angebot und Nachfrage illustrieren: je größer das Festival ist, auf dem ein Film Premiere hat, desto schwieriger wird es, eine Kopie für das eigene Festival zu sichern. Die Rechteinhaber, also entweder diejenigen "World Sales Companies", die sich die Welt-Rechte für einen bestimmten Titel gesichert haben, oder eben kleinere, nationale Unternehmen, die Rechte für ein abgegrenztes Territorium halten, haben nur einen beschränkten Kopiensatz zur Verfügung.
Wichtige Festivals (zu denen die Viennale schon gehört) werden für gewöhnlich schneller ins System eingebucht als Kleinveranstaltungen, was auch durchaus Sinn macht. Denn immerhin haben gar nicht wenige Filme überhaupt nur mehr Filmfestival-Screenings, das heißt, das ist für die Produzenten und/oder Sales Companies die einzige Möglichkeit, damit ein wenig Geld zu verdienen. Meldet man sich zu spät an, oder ist man eben nicht wichtig genug, um eine der wenigen (englisch untertitelten) Kopien zu bekommen, dann bleibt die Leinwand leer und der Wunschfilm ungespielt.
Cohen, extrascharf
Im Besonderen bei der Kopien-Recherche für Spezialprogramme, in denen auch Klassiker laufen sollen, ist Vorsicht und viel halboffizielles Wissen unabdingbar. Beinahe detektivisch muss man die eigenen Datenbanken und etablierten Kontakte analysieren, die potenziellen Kopienbesitzer abklappern, sich nach dem Zustand des Filmmaterials erkundigen, sich beim Rechteinhaber eine Vorführlizenz erkaufen und vieles mehr. Diesbezüglich ist die Viennale jedenfalls eines der besten Festivals weltweit, zumindest soweit ich das beurteilen kann: von den Filmen selbst kann man halten was man mag, aber die Kopien sind für gewöhnlich in hervorragendem Zustand. Besonders auffällig wird das beim diesjährigen Tribute an Larry Cohen, einem Regisseur, der vorwiegend in den 70ern und 80ern gearbeitet hat, noch dazu in Genres, die bis vor kurzem so gering geschätzt wurden, dass das Filmmaterial selten adäquat archiviert wurde und sich daher oft in einem erbärmlichen Zustand befindet.
Bis auf eine Ausnahme habe ich alle Vorstellungen dieses Tributes besucht und was soll ich sagen: es war ein Fest. Katja Wiederspahn, die für die Viennale die Kopien recherchiert und organisiert, hat wie in den Jahren zuvor außergewöhnliche Arbeit geleistet: es ist eben keine Selbstverständlichkeit, dass man einen Slasher wie William Lustigs Uncle Sam in einer kaum verschmutzten, glasklaren Qualität zu sehen bekommt; dass man Larry Cohens Regie-Debüt Bone mit leuchtenden Farben und dynamischen Kontrasten erleben darf. Bei denjenigen Vorstellungen, bei denen die Kopien nicht besonders gut waren (Q - The Winged Serpent, God Told Me To), kann ich mir bei diesem Festival sicher sein, dass tatsächlich keine Alternative verfügbar oder auffindbar gewesen ist.
Gut-splattered banner
Gestern also "Uncle Sam", ein von Larry Cohen verfasster und von Sleaze-Großmeister William Lustig mit großer Lust an der Ikonenzerstörung umgesetzter Slasher: ein Soldat fällt im Ersten Golfkrieg, wird im Sarg ins Haus seiner Schwester in einer typisch-amerikanischen Vorstadtsiedlung transportiert und erwacht dort zu neuem Leben. Schlüsselfigur für diese fantastische Entwicklung ist sein Neffe, der zu seinem "Uncle Sam" (er heißt tatsächlich Sam) als Kriegshelden aufsieht, seinen liberalen Klassenlehrer für dessen Hippietum verachtet und liebend gerne mit Plastikfiguren Holocaust spielt. "Wer nicht an den American Way of Life glaubt, dem muss in den Arsch getreten werden", schreibt Sam in einem Brief an seinen Neffen. Und tatsächlich: während sich die Vorstadt auf die Feierlichkeiten zum amerikanischen Unabhängigkeitstag vorbereitet, findet "Uncle Sam" die ersten Opfer.
Viennale
Aufmüpfige Jugendliche, Systemzersetzer, Parasiten: sie alle fallen im Krieg um die Americana. Ein Bursch wird von einer Fahnenstange aufgespießt, ein groteskes Stillleben in weiß, blau und blutrot, ein korrupter Politiker, der den guten Namen der Regierung in den Dreck zieht, endet als lebendes Feuerwerk und geht schließlich in Flammen auf. Lustig und sein Autor Cohen verschleppen die amerikanische Patriotismus-Ikone des Uncle Sam ins Reich der Psychopathologien: in ihrem Drehbuch wird er zu einem ideologisch motivierten Scharfrichter, einem Serienmörder, der vor nichts halt macht. Großartig-subversive Unterhaltung, wie gesagt in hervorragender Kopienqualität.
Living in America
Universal
Was "Uncle Sam" mit den Jackass-Jungs machen würde, ich kann es mir vorstellen - und vielleicht hätten Johnny Knoxville, Steve-O, Bam Margera und der Rest der Bagage auch ihren Spaß daran. In ihrem jüngsten Kinoeinsatz (in 3D!) hagelt es jedenfalls wieder Ein-Minuten-Sketche, formuliert als halsbrecherische und nicht selten auch gefährliche Stunt-Parade. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Jackass 3D war nicht auf der Viennale zu sehen, sondern läuft seit fast einer Woche in den österreichischen Kinos. Ich bin gestern allein ins Kino gegangen, keinen meiner filminteressierten Freunde konnte ich dazu bewegen, sich "das anzutun". Das liegt vielleicht daran, dass es dabei gar nicht mehr um einen Film geht, sondern um das mittlerweile dritte Leinwand-Spin-Off des Fernsehphänomens "Jackass". Es gibt keine Handlung, keinen dramaturgischen Bogen, sondern lediglich eine Abfolge an irrwitziger Körper-Komik zwischen Daredeviltum und Furzwitzen.
Universal
Zehn Jahre ist es her, dass das Fernsehformat - entwickelt von Johnny Knoxville, Jeff Tremaine und Spike Jonze aus dem Mindset des damals schon erfolgreichen "Big Brother Magazine" heraus - auf MTV auf Sendung ging. "Jackass 3D", das meint auch wieder ein Ausscheren aus der Vernunftwelt, ein Verweigern von Produktivitäts- und Leistungskriterien, reinen Blödsinn also ohne Rücksicht auf Verluste. Wobei natürlich schon anzumerken ist, dass sämtliche Mitglieder der Bande mittlerweile so viel Geld haben, dass ihre Aktionen auch als Freizeitprogramm für Neureichensöhne durchgehen könnten. "Jackass 3D" lockt unter anderem damit, dass einem Typen ein Zahn von einem Lamborghini gezogen wird, dass die Jungs einen Parcours voller Elektroschocker durchlaufen müssen und, jetzt wird’s eklig, dass sie den gesammelten Schweiß von Jackass-Mitglied Preston Lacy trinken - was zu dreidimensionalen Kotzorgien führt.
Universal
Skater-Aktionismus
Der Tod des Kinos, schreien die einen. Feistes Körperkino, brüllen die anderen. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen, vor allem, wenn man eben davon ausgeht, dass es sich bei "Jackass 3D" wie schon bei den beiden vorangegangenen Teilen um keinen Film im klassischen Sinn mehr handelt, vielleicht um Avantgarde im Sinn der Wiener Aktionisten, vielleicht um eine Sketch-Parade. Das Establishment jedenfalls regt sich nimmermehr auf, das hat es jahrelang gemacht, versucht den schädlichen Einfluss der TV-Serie auf die Jugend zu beweisen. Ohne Erfolg. "Jackass 3D" ist wie "Trash Humpers": eine neue Form von Kino für die Aufmerksamkeitsdefizitgeneration, allerdings durchzogen von subversiven Strömungen, die sich zwischen den pubertären Kalauern verstecken.
Universal
Wann sieht man schon, wie ein Mann versucht einen Tischtennisball, den ein anderer Mann gerade mit seinem Penis berührt hat, mit dem Mund aufzufangen? Oder wie Knoxville eine Knopfkamera an seinem "weener" befestigt (Resultat: Sequenzen aus der Schwanz-Perspektive) und beginnt, seine "Jackass"-Kollegen aus dem Hinterhalt anzupinkeln. In 3D! Jackassness oder Bromance 2.0, kein Wunder, dass "Jackass" eine vitale Folgschaft von schwulen Fans hat. Wen das alles noch nicht überzeugt, dem sei gesagt: die professionell inszenierten Anfangs- und Schlusssequenzen, aufgenommen mit einer Hochgeschwindigkeitskamera sind die mitunter besten 3D-Bilder, die ich seit der Renaissance der Technologie gesehen habe (Avatar inklusive) und die Gastauftritte von Will Oldham und Seann William Scott erfreuen das Herz.