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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

1. 11. 2010 - 15:28

Vlog #11: A Man named Larry

New Yorker, I love you: das Kino-Universum von Larry Cohen wird von der diesjährigen Viennale tributiert. Ein Liebesbrief an einen der wichtigsten Regisseure des 20. Jahrhunderts.

Wenn man Larry Cohen einmal persönlich erlebt hat, dann singt die Vergangenheit für einen. Wahnsinn, wie ein Artefakt aus einer anderen, auch besseren Zeit, in der das Filmemachen noch Ein-Mann-Show sein durfte und konnte, in der sich sämtliche Stadien der Entwicklung eines Projekts im Kopf und Bauch eines Menschen treffen. Larry Cohen ist Drehbuchautor, Produzent, Regisseur, Werbemaschine, Anekdotenkaiser und Sympathienkönig. Hätte die Viennale in diesem Jahr nichts außer seinen Filmen gezeigt, wäre es trotzdem ein großartiges Festival gewesen.

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Cohen ist New Yorker, das sieht man seinen Filmen an. Die Stadt und ihre Menschen, die Straßenzüge, die Texturen, Gerüche, Bewegungen und Lichter; all das findet sich wieder in seinem Kino als Weltspiegel. Geboren 1941 ist seine Kindheit und Jugendzeit angefüllt mit Kriegsbildern: er kennt sie aus den Wochenschauen und Filmen, die damals jeder sieht. Faszination und Ekel, ein Bewusstsein dafür, dass unter den glatten Oberflächen die eigentlichen Wahrheiten schlummern, und ein Vertrauen darin, dass man Geschichten und das Erzählinstrumentarium des Kinos dazu verwenden kann, diese "hidden truths" an die Oberfläche zu zerren, Zusammenhänge und Paradoxien klar zu machen.

Harter Knochen

Mann

Viennale

In den Sechzigern arbeitet Larry Cohen als Drehbuchautor, schreibt Episoden für populäre Fernsehserien, kurze, knackige Moralgeschichten, nicht zuletzt beeinflusst von seiner Liebe zu Comics und ihren Schlusspointen im finalen Panel. Blue Light ist seine Idee, eine reichhaltig ausgestattete Spionageserie über einen amerikanischen Korrespondenten auf europäischem Boden, der während des Zweiten Weltkriegs vorgibt, zu den Nazis übergelaufen zu sein, eigentlich aber Informationen für die US-Regierung sammelt. Herausragend und vielsagend etwa die Episode "How to Kill a Toy Soldier" (geschrieben von Merv Bloch, einem College-Freund von Cohen), in der Hauptfigur David March ein Nazi-Kind entführt, ihm irgendwann den vorlauten Mund mit einer Hakenkreuz-Armbinde (!) zuschnürt und dem Balg schlussendlich den Wert von Gnade und Mitmenschlichkeit beibringt.

Humanistisch ist Cohens Kino bis in den letzten Kader hinein: er, der im Verlauf seiner außergewöhnlichen Regiekarriere mit so ziemlich allen Genres von Horror über Thriller, Science-Fiction bis Fantasy hantiert, will eigentlich über das Menschsein, über das Monströse innerhalb der Gesellschaft erzählen. Einfache Lösungen, die gibt es in seinem Kino nur als dramaturgisches Instrument. Der Überbau verrät aber, dass die eigentlichen Konflikte, der Kern des Problems, nicht mit Kopfschüssen gelöst werden können. Eher noch: dass man damit weiter wird leben müssen. Der utopische Gedanke darin ist eher das Aufzeigen und Sichtbarmachen, als der Wunsch nach Veränderung: die Wirklichkeit wiegt schwer in Cohens Kino. Das beweist er bereits mit seinem Debüt "Bone" eindrucksvoll: was als weiterer Eintrag in das Exploitation-Subgenre der "Home Invasion"-Thriller beginnt, mit einem farbigen Mann, der sich Zugang in die Beverly Hills-Villa eines ziemlich unerträglichen Mittelklassepaars (er sprücheklopfender Autoverkäufer, sie dauerbesoffene Blondine) verschafft, unterwandert und erfüllt die Publikumserwartungen gleichermaßen.

Mann, Frau

Blue Underground

Bone, 1972

Eine versuchte Vergewaltigung scheitert, da sich das Opfer nur ungenügend wehrt, die so gusseisern scheinenden sozialen Statusordnungen erodieren den Figuren unter den Hintern weg. Bald trägt "Bone" die Polohemden des Einbruchsopfers und düst mit dessen Frau im Cabrio durch die Stadt. Das Ende erhellend in der Einsicht, dass alle gleich viel Schwein sind und ohnehin niemand mehr zu retten ist. Unter ihnen saust die Stadt vorbei, geht gelassen ihren Weg; ganz so, als wäre nichts passiert.

Es lebt!

Monster, Mann, Fau

Viennale

It's Alive, 1974

Cohens Kino ist blitzgescheit, immer wieder deutet er Insignien des Glücks, des Erfolgs, des Vertrauens um. 1974 gelingt ihm mit It’s Alive ein Welterfolg. Das Horrordrama wird von Edel-Komponist Bernard Herrmann vertont und vom Warner-Studio in die Kinos gebracht. Wieder ein vollkommen zeitgeistiges Werk, in dem sich die Generations-Grabenkämpfe und die Irritationseffekte auf beiden Seiten in einen reißerischen Plot gießen, der dann vollkommen unspekulativ, fast zärtlich umgesetzt wird. Eine Familie gebiert ein Monstrum, das gleich die Ärzte und Schwestern im Kreißsaal meuchelt, bevor es auf Mordsjagd geht, mitten durch Los Angeles. Die Familie zerbricht, weniger an sich selbst, als vielmehr an der Öffentlichkeit und der Schande.

Immer wieder gräbt Larry Cohen den amerikanischen Traum um, Polizisten etwa kommen in seinen Filmen nie gut weg, stehen der Erlösung eher im Weg, befördern sie sogar. Für seinen Freund, die Sleaze-Ikone William Lustig, schreibt er gleich mehrere Drehbücher: am bekanntesten ist vermutlich Maniac Cop, der, wie der Titel schon sagt, von einem geisteskranken Polizisten handelt, der sich durch New York City schlachtet.

Mann

deeperintomovies.net

Maniac Cop, 1988.

Cohen selbst gelingen in den 80er-Jahren noch einige zentrale Stücke amerikanischer Unterhaltungskultur. Unantastbar etwa sein Monsterfilm Q - The Winged Serpent, in dem ein Kult den zornigen Aztekengott Quetzalcoatl wieder erweckt: ein bissfreudiger Drachen, der im Chrysler Building sein Nest inklusive Ei untergebracht hat; ein Gelegenheitsdieb (erster Auftritt von Cohens Lieblingsschauspieler Michael Moriarty, ein entrückter Everyday Man), der das Nest entdeckt und versucht, die Information für sich nutzbar zu machen; schließlich auch großartige Luftaufnahmen vom geflügelten Biest. 1985 folgt The Stuff, einer von Cohens hinterhältigsten und aufklärerischsten Filmen, über aus dem Boden sickernde (vielleicht außerirdische) Eiscreme, die gesamt Amerika abhängig macht und ihr Wesen verändert. Eine knallharte Bestandsaufnahme der westlichen Welt während der Reaganomics, wo Produkte Träume erfüllen mussten, die Geburt der "plastic people".

Monster

Viennale

Q - The Winged Serpent, 1982
The Stuff

andanotherthing.chucklehound.com

The Stuff, 1985

2006 legt Larry Cohen mit dem Einstünder Pick Me Up seine bisher letzte Regiearbeit vor: seine Drehbücher verkaufen sich aber nach wie vor wie warme Semmeln, sogar bis nach Hong Kong. Es ist unanzweifelbar, dass dieser Mann wie wenig andere das Genrekino geprägt und für sich nutzbar gemacht hat. Cohen ist ein pragmatischer Visionär, dessen Werk der Gesellschaft einen Spiegel vorhält. Vielleicht ist auch seine schneidende Intelligenz der Grund, weswegen er nie vom Studiosystem umworben worden ist, weswegen er nie in die abgeriegelte Regisseursoberklasse aufgenommen worden ist. Das hat ihm ermöglicht, weiter sein Kino zu machen: von wenigen beobachtet, von vielen wahrgenommen. Ein Meister aller Klassen, der sein Imperium zwischen den Stühlen errichtet hat.

Mann, Puppen

Viennale

Empfehlungen für den Viennalemontag

Uncle Sam

02.11. 15:30 Uhr Stadtkino

Der letzte Film von Sleaze-Meister William Lustig, eine hundsgemeine, hinterhältig komische Satire auf den "American Way of Life". Ein Soldat fällt im Ersten Golfkrieg, kehrt als Zombie zurück in die Vorstadtwelt und beginnt den republikanischen Feuchttraum auszuleben. Als "Uncle Sam", Symbol der Plastik-USA, bestraft er unamerikanische Aktivitäten mit größtmöglicher Härte. Subversionskunst, geschrieben von Larry Cohen.

Mann, Feuer

Viennale

El sicario, Room 164

02.11. 15:30 Uhr Gartenbaukino
03.11. 18:30 Uhr Künstlerhaus

Ausgehend von den Artikeln des Investigativjournalisten und Drogenkartellkenners Charles Bowden kontaktiert der italienische Regisseur einen mexikanischen "Henchman" und bittet ihn zum Interview: das Gesicht verhüllt, der Körper explosiv, führt das eineinhalbstündige Gespräch tief über die Pragmatik der Folter und Vernichtung (inklusive handgemalter Skizzen!). Ein kurzer, gewaltiger Film über das Töten, ein Zentralstück der diesjährigen Viennale.

Mann

Viennale

Tournée

02.11. 18:00 Uhr Gartenbaukino
03.11. 23:30 Uhr Urania

Der französische Star-Schauspieler Mathieu Amalric klemmt sich erneut hinter die Kamera und erzählt eine so fehleranfällige wie grundsympathische Geschichte von einer Handvoll amerikanischer Neo-Burlesque-Tänzerinnen, die durch Frankreich touren. Großartige Frauen in einem rauschhaften, optimistischen Film, angefüllt mit und angetrieben von der unbändigen Liebe Amalrics zu ihren Körpern und Lebensentwürfen. Massives Empowerment-Kino.

Frau

Viennale