Erstellt am: 25. 10. 2010 - 18:09 Uhr
Weltall. Erde. Mensch.
Ich könnte ein Fitnessstudio leiten
Oder Rentner beim Sterben begleiten
Ich könnte Lebensmittel produzieren
Oder mit so einem Tuch rumwedeln vor Stieren
Ich könnte mal ins Grüne fahren
Und mich mit einer Grünen paaren
Ich könnte Fliegen zu Tode quälen
Oder meine Treppenstufen zählen
Ich könnte mich für Tennis interessieren
Oder irgendwas mit Tieren
Ich könnte eigentlich soviel machen
Aber ich muss ja immer was schreiben zum Lachen
(Auszug aus "Alternativen zum Schreiben")
Jochen Schmidt lebt in Berlin. Er tritt jeden Donnerstag in der Lesebühne "Chaussee der Enthusiasten" auf, die er mitbegründet hat. 2007 erschien: "Meine wichtigsten Körperfunktionen" (C.H. Beck) und "Schmidt liest Proust".
Außerdem übersetzt Jochen Schmidt Comics. Etwa aus dem Französichen: Pjöngjang erschienen bei Reprodukt
Er wisse zig Alternativen zum Schreiben, umso dankbarer muss man Jochen Schmidt sein, dass er all das links liegen lässt und stattdessen schreibt. Texte, deren Traurigkeit mit schwarzem Humor verwaschen wurde, die dabei aber immer klug bleiben und bei deren Färbung man oft nicht weiß, ob man denn lachen oder weinen will. Wenn er etwa von kleinen Gänsen schreibt: "deren Herz wie wild pochte, wenn man sie aufhob, dabei hatte ihnen noch niemand etwas getan. Aber die Natur hatte ihnen eine Angst mitgegeben, die so groß war, dass sie einem in die Hände schissen als Lohn für die Zärtlichkeit."
Die besten Texte, die Jochen Schmidt in den letzten Jahren geschrieben hat, sind nun gesammelt erschienen: "Weltall. Erde. Mensch." Ein großer Titel, der alles enthält: 34 Texte, teilweise bereits erschienen in der Süddeutschen Zeitung, in der FAZ, der Titanic oder in Literaturen, davon zwei Comics (deren Zeichnungen leider viel zu klein sind), ein Dia-Vortrag, ein Dialog und ein Gedicht. "Dafür habe ich auf eine Widmung, ein Motto und ein Vorwort verzichtet", bloggt Jochen Schmidt.
"Weltall. Erde. Mensch."
voland & quist
Jochen Schmidt: Weltall. Erde. Mensch. Voland & Quist 2010
Ein berühmtes Buch in der DDR - bis 1975 habe jeder Jugendliche dieses Buch zur Jugendweihe erhalten - zur Initiation mit 14 Jahren. "Für viele war das wahrscheinlich ihr erstes Buch," meint Jochen Schmidt. "Und für einige auch ihr Letztes."
Sein Buch zur Jugendweihe hat Jochen Schmidt längst weggeworfen, wie zu viele andere Dinge, aber einige gibt es noch: "Mein Fahrrad ist noch aus der DDR, genau wie ich", heißt es da in einem Text – und so scheint die DDR immer wieder mal in den Alltagsbeobachtungen durch – in denen schreibt Jochen Schmidt über seine Todesängste ebenso wie über die ideale Kneipe. Über Gedanken in der Badewanne genauso wie über die Aufkündigung der Gastfreundschaft oder Fußballschauen mit Freunden: "Genausowenig kann man ein auf Video aufgezeichnetes Spiel mit der Vorspultaste zusammenfassen und 'die interessanten' Stellen ansteuern. Es ist wie mit dem Leben, man muss es durchleiden und rückwirkend betrachten, damit sich einem ganz unerwartet die Poesie des beiläufig Erlebten offenbart."
Irgendwann kommt der Roman
Tim Jockel
In dem Text "Die Stellen zwischen den Stellen" schreibt Jochen Schmidt: "Eines Tages werde ich ein Buch schreiben, in dem dauernd etwas passiert, aber nichts Interessantes steht, doch so weit bin ich noch nicht, es macht mir noch zu viel Spaß zu berichten, dass U-Bahnen eisenbahnrechtlich Straßenbahnen sind. Nicht so viel Spaß, wie wenn wir als Kinder beim Trinken aus unseren gepunkteten Plastetassen im Tee unser eigenes Spiegelbild betrachteten, aber mehr Spaß, als an meinem neuen Roman zu arbeiten. Wenn ich das leugnen wollte, müsste ich lügen!"
Dass er derzeit noch nicht an einem Roman schreibt, hat vornehmlich einen Grund: "Im Moment reicht die Zeit nicht für mehr. Ich hab ja ein Kind und da kann man immer nur ne Kurzgeschichte schreiben, dann muss man es schon wieder von der Schule abholen. Ich weiß nicht, wie andere das machen. Für mich ist es unvereinbar - Familienleben und Schreiben."
Jochen Schmidt in Wien
Umso schöner, dass Jochen Schmidt Zeit für eine Wienreise gefunden hat: Am Mittwoch, 27. Oktober liest er in der Hauptbücherei in Wien. Beginn ist um 20 Uhr. Der Eintritt ist frei.