Erstellt am: 21. 10. 2010 - 10:25 Uhr
Protest im Netz
Print, Funk und Fernsehen regieren medial nicht mehr allein. Blogs, aber vor allem das so genannte Social Media sind maßgeblich an der Produktion von Meinung beteiligt. Was früher nach dem Prinzip top-down streng hierarchisch und mit jeder Menge politischer Einwirkung produziert wurde, scheint jetzt völlig antihierarchisch und basisdemokratisch zu funktionieren.
Das zieht nicht nur Unternehmen ins Social Media, sondern immer mehr auch politische Organisationen und NGOs. Aber wie haben sich Protest und basisdemokratisch organisierter politischer Aktivismus mit dem Social Media verändert?
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#unibrennt
Im Herbst 2009 brennen Europas Universitäten. Zumindest symbolisch, denn im Rahmen einer Mahnwache gegen die Umstellung auf das Bachelor-Master-System wird die Akademie der Bildenden Künste in Wien besetzt. Zwei Tage später folgt der Audimax an der Universität Wien. Die TU Wien, die Klagenfurter, die Linzer und die Grazer Universitäten schließen sich an. Innerhalb weniger Tage sind in ganz Österreich Hörsäle in Hand der Protestierenden, und das widerständische Feuer beginnt über Deutschland auf Europa überzugreifen. Es sind weniger die bereits politisierten Gruppen mit erfahrenen Aktivistinnen und Aktivisten, die den Protest führen, sondern Studierende mit unterschiedlichsten politischen Kontexten, wie die Kulturwissenschaftlerin Jana Herwig es beschreibt. Im Buch unibrennt spricht sie gemeinsam mit Max Kossatz und Viola Mark von einer sich ändernden Protestqualität. Vor allem das Internet hat die Möglichkeiten von politischer Beteiligung radikal verändert.
Jana Herwig ist Kulturwissenschaftlerin und fortscht am Institut für Theater, Film und Medienwissenschaft zu digitalen Online-Medien. Sie twittert und bloggt unter dem Pseudonym digiom.
Von niedrigschwelliger politscher Beteiligung, etwa über Facebook-Gruppen, bis hin zu aktiver Mitarbeit in den besetzten Hörsälen reichte die Bandbreite der aktivistischen Arbeit. Ein Zentrum des Protests suchte man vergeblich, Pressesprecher_innen bleiben anonym und wechselten täglich, über Livestream konnte man an den Diskussionen im Audimax teilnehmen. Die entscheidende Rolle spielten aber Social Media Plattformen wie Facebook oder Twitter. Im Unterschied zu konventionellen Medien bieten sie die Möglichkeit einer vielseitigeren und vernetzteren Kommunikation. Musste man etwa vor zehn, zwanzig Jahren noch die Telefonnummer von Gleichgesinnten kennen, um sich zu organisieren, so wird man heute eher über Twitter-Hashtags kritische Massen bilden. Wie stark sich die Studierendenproteste im Internet abspielten, zeigt die Tatsache, dass der Hashtag #unibrennt zum Namensgeber einer europaweiten Bewegung wurde. Aber auch Begriffe wie Permanently Beta, der immer wieder in Zusammenhang mit den Uniprotesten genannt wurde, zeigen die enge Verbindung zum Internet.
Aber hat diese Öffnung hin zu einer enthierarchisierten und basisdemokratischen Form von Kommunikation auch Nachteile? Ja, meint Jana Herwig. Sie merkt an, dass die politische Gegnerschaft sehr genau beobachten kann, was der Protest gerade plant und macht. Prinzipiell haben wir es aber jetzt mit „einer medialen Situation zu tun, in der wesentlich geringere finanzielle Ressourcen notwendig sind, um überhaupt an die Öffentlichkeit zu treten.“ Marginalisierte Gruppen können sich besser vernetzen, Protest scheint effizienter möglich zu sein.
Permanent Campaining
Gleichzeitig kommt es aber zu einer neuen Unübersichtlichkeit, die sehr schnell in politische Verdrossenheit kippen kann. Der Medien- und Kommunikationswissenschafler Jeffrey Wimmer von der TU Ilmenau leitet daraus einen großen Unterschied zu Protestbewegungen in den 60er und 70er Jahren ab. Politischer Protest war früher effizienter, meint Wimmer. Seiner Meinung nach leben wir in einer Zeit eines "permanent campainings". Politischer Aktivismus ist zu "einer Art Hintergrundrauschen" geworden, das die Leute zwar sensibilisiert, der Grad der Überzeugung und der Aktivierung war aber in den vorherigen Jahrzehnten höher.
Jeffrey Wimmer ist Junior Professor am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der TU Ilmenau und dort für die Fachgebiet Virtuelle Welten/Digitale Spiele zuständig. Er beschäftigte sich intensiv mit dem Begriff der Gegenöffentlichkeiten.
Der Maßstab des Protests scheint immer noch die Student_innenbewegung von 1968 zu sein. Dort wurden die prototypischen Aktionen für zukünftige Bewegungen vorgegeben. Dabei spielt sich der Protest der aktuellen Generation auf einer ganz anderen Ebene ab: Zum Beispiel bei politischen Flashmobs, wie etwa den Carrot Mobs. Die Aktivist_innen suchen sich dabei Geschäfte mit hohem ökologischen und sozialen Bewusstsein, um dort ihre Solidarität mit Konsum zu bekunden. Die Spaß-Guerilla wird so zur "Nachhaltigkeits-Guerilla", wobei sich die aktionistische Arbeit nicht mehr jenseits einer Mainstream-Öffentlichkeit, wie das früher der Fall war, abspielt, sondern innerhalb dieser. Auf Plattformen wie Facebook gibt es ein Nebeneinander zwischen etablierten Playern und alternativen Aktivist_innen. Einen Begriff der Gegenöffentlichkeit kann man hier nicht mehr anwenden. Es handelt sich viel mehr um unzählige fragmentierte Teilöffentlichkeiten.
Slacktivism
Nur zehn bis dreizehn Prozent der Menschen im Netz sind auch wirklich aktiv, so Wimmer. Der Rest sind die so genannten Lurker, die ganz im Sinne traditioneller Medienrezeption eher zurückhaltend konsumieren. Schaut man sich dann die Soziodemografie der aktiven Nutzer_innen an, sieht man eine Kluft, die man auch aus anderen Bereichen der Mediennutzung kennt. Es sind vor allem höher gebildete Menschen und Menschen, die auch in anderen Lebensbereichen aktiv sind. Die Annahme also, dass im Internet ein Großteil der Bevölkerung sensibilisiert werden können, trifft nur in Ausnahmefällen zu.
Das Que[e]r Beisl veranstaltet am Mittwoch, 27.10. eine Diskussionsrunde zum Thema: Social Media & Activism? Ja geht das denn?
Den Mausklick für die gute Sache ohne politische Folge und Aktion nennt man auf neudeutsch "Slacktivism". Die Wortfusion aus Slacker und Activism, beschreibt politische oder soziale "feel-good" Maßnahmen, die nur wenig oder gar keinen praktischen Effekt haben, außer dass sie das Gewissen der Aktivistinnen und Aktivisten beruhigen. Darunter fallen in erster Linie Internetpetitionen, politische Armbänder, Teilnahme in Facebookgruppen oder Tage wie der "buy nothing day". Für Jana Herwig ist Slacktivism ein eher unbrauchbarer Begriff, da er von einer strikten Trennung zwischen virtuell und real ausgeht. Für sie ist die Annahme von zwei Sphären - der des Virtuellen und der des Realen - obsolet. Man weiß mittlerweile, dass Menschen auf Plattformen wie Facebook nicht mit wildfremden Anderen in einem Raum im Cyberspace verbunden sind, sondern dass die meisten ihrer Kontakte auf sozialen Netzwerkseiten den Kontakten entsprechen, die sie aus Offline-Kontexten kennen.
Insofern haben die politischen Aktivitäten im Virtuellen natürlich auch Auswirkungen auf die so genannte reale Welt.
Taktische Subjekte
Kritik am politischen Aktivismus im Internet formiert sich vor allem rund um das Problem der Datensicherheit. War noch in den 1980er Jahren der/die Hacker_in der Prototyp des widerständischen Subjekts im Netz, der die Anonymität für seine politischen Zwecke zu nutzen wusste, so sind es jetzt Menschen, die sich als reale Existenzen mit Namen und Adresse zu erkennen geben. Die Daten sind öffentlich zugänglich.
Ramón Reichert lehrt am Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien.
Der Medienwissenschaftler Ramon Reichert wirft in seinen Analysen eines kritischen Blick auf diese Entwicklung. Utopische Diskurse, wie der, dass das Internet ein Netzwerk aus lokalen, emanzipatorischen und alternativ organisierten Initiativen sei, haben sich spätestens nach 2000 radikal verändert. Seit dem Boom des E-Commerce Business und seinem verstärkten Drängen in das Web 2.0 sind die Sozialen Netzwerkseiten dabei, eine Monopolstellung anzusteuern. „Facebook, Youtube, Flickr und wie sie alle heißen, scheinen unverzichtbar zu werden“, so Reichert, „auch wenn es darum geht kritische Massen zu produzieren.“
Trotz dieser Monopolstellung ortet Ramón Reichert aber auch subversives Potential in den sozialen Netzwerken. Im Iran etwa, wo es im vergangenen Jahr mit Hilfe von Twitter gelungen ist, die Zensur der klassischen Medienkanäle des Regimes zu unterlaufen. Der logistische Vorteil der Echtzeitübertragung spielte auch hier eine große Rolle. Als Transversale Nutzung bezeichnet die Wissenschaft einen solchen Umgang mit Medien.
Der Verlust von Anonymität spielt aber auch in einem anderen Zusammenhang eine Rolle. Bei der Herstellung von Regierbarkeit etwa. Wenn es früher darum ging statistisches Wissen über den "Volkskörper" und die "Untertanen" herzustellen, dann passierte das meistens per Meinungserhebung "von oben nach unten". Jetzt wird ein Großteil dieser Arbeit freiwillig geleistet. Wir selbst sind es, die dieses Wissen herstellen, um in Folge effektiver regiert werden zu können, so Reichert.
Die großen ökonomischen und politischen Strukturen des Internets sind nicht so einfach zu ändern. Der politische Aktivismus muss sich mit dieser Tatsache auseinandersetzen. Es geht darum, "taktische Subjekte" zu werden. Niemand bewegt sich souverän und autark durch das Netz. Das heißt für Reichert: „Nicht in diese naive Authentiziätsfalle hineingehen. Nicht annehmen, dass diese Medien einfach nur neutrale Medienkanäle werden. Und vor allem ein Gespür dafür haben, in welcher Tiefendimension diese Medien sämtliche Details, Intimitäten und Persönlichkeiten von uns absorbieren.“
#unibrennt 2.0
Die FM4 Homebase widmet sich am Donnerstag, 21. Oktober, ab 19 Uhr dem Protest im Netz.
Taktische Subjekte, die sich auch in diesem Herbst wieder an den österreichischen Universitäten zu formieren beginnen. Die Kanäle @unibrennt, unsereuni.at und die Facebookgruppe Audimax Besetzung in der Uni Wien - Die Uni brennt! sind längst breit ausgetrampelte Informationspfade, die den Protest der Jetztzeit nicht nur organisieren, sondern auch sehr schön abbilden.