Erstellt am: 20. 10. 2010 - 11:00 Uhr
Weder Terror-Sympathisantinnen noch Unterdrückte
Über die Stellung der Frau im Islam sind in den letzten Jahren viele Worte verloren worden. In Europa zumeist von Menschen, die dem Islam nicht angehören, aber davon ausgehen, dass er vielfach frauenverachtende und gewaltbereite Tendenzen berge, und das Kopftuch als Symbol patriarchaler Unterdrückung betrachten. Oft wird das umstrittene Stück Stoff im gleichen Atemzug noch politisch aufgeladen und als Bekenntnis zu einer radikal islamistischen Gesinnung verurteilt. Viele rechtspopulistische PolitikerInnen - wie auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache mit seinem Slogan "Wir schützen freie Frauen" - konservative KatholikInnen, Ex-MuslimInnen und auch manche FeministInnen argumentieren so.
Den jüngsten Beitrag zur Diskussion stellt Alice Schwarzers neues Buch "Die große Verschleierung - Für Integration, gegen Islamismus". Ein Sammelband, der größtenteils die relevanten Emma-Artikel der vergangenen Jahrzehnte neu auflegt, und mit Aussagen provoziert wie, das Kopftuch sei "weltweit die Flagge der Islamisten", und seine Haare zu verbergen, "ein Akt der Unterwerfung".
© Amdela Wartenberg
Es wird nicht mit uns geredet, sondern über uns.
Nun mischt sich Sineb El Masrar, eine junge deutsche Autorin, in die Debatte ein. Mit ihrem Buch "Muslim Girls - Wer wir sind, wie wir leben" hält sie dem theoretischen Diskurs einen Einblick in die Lebenswirklichkeiten von Musliminnen der zweiten und dritten Generation entgegen und wirft RechtspopulistInnen, FeministInnen und Gesellschaft schon im Vorwort Folgendes an den Kopf:
Wir wollen uns nicht vorschreiben lassen, wie wir unsere Rechte einfordern und auch nicht wie wir unsere Religion zu "reformieren" haben. (...) Wenn dieser Gesellschaft wirklich daran gelegen ist, dass wir unabhängige junge Mädchen und Frauen werden, dann hört auf uns zu sagen, was wir zu tun haben.
El Masrar erteilt also keineswegs theologische Lektionen über den Islam. Gebete, Fasten oder Anekdoten von Pilgerfahrten erwähnt sie nur am Rande. Stattdessen verschiebt sie den Fokus von der religiösen Praxis zum familiären und gesellschaftlichen Alltagsleben junger Musliminnen, das sich kaum von dem der deutschen (und vermutlich auch österreichischen) Durchschnittsjugendlichen unterscheidet. So beschreibt sie z.B. das Konsumverhalten muslimischer Mädchen und Frauen genauso wie ihre Motive für die rituelle Waschung vor dem Gebet. Sie macht migrantische Wohnverhältnisse spürbar und enthüllt, was sich in Punkto muslimischer Mode tut. Sie erklärt, warum eingewanderte MuslimInnen arabische oder türkische TV-Programme konsumieren können, ohne davon radikalisiert zu werden, und entkräftet anhand von Erfahrungsberichten und zahlreichen Studienergebnissen gängige Vorurteile: Denn ja, die meisten Musliminnen nehmen sehr wohl an Schullandwochen, dem Schwimm- und Sexualkundeunterricht teil. Und nein, niemand kontrolliert sie auf ihre Jungfräulichkeit.
Und in Österreich?
Amani Abuzahra
Amani Abuzahra (27) ist als Tochter palästinensischer Einwanderer in Amstetten geboren, studiert Philosophie und Interkulturelle Kompetenzen in Wien und Salzburg und engagiert sich für die Jungen Musliminnen Österreich. Sie ist Mutter von zwei Kindern, betet fünf Mal am Tag und trägt seit sie 19 ist ein Kopftuch, um ihre Beziehung zu Gott zu stärken.
Wir haben zwei Musliminnen aus Wien zu Sineb El Masrars Buch befragt. Im Folgenden nehmen Amani Abuzahra und Esra Özmen zu einigen Thesen aus "Muslim Girls" Stellung.
Wer hat wem das Gehirn gewaschen?
Allen voran zu El Masrars Kritik an dem von Medien und Politik gezeichneten Bild "der muslimischen Frau". Zu hartnäckig, schreibt sie, habe sich das Bild des "traurigen, gequälten Kopftuchmädchens in den Köpfen festgeklebt. Immer abrufbar bei den Stichworten Muslima, Islam, Integration." Musliminnen würden fast ausschließlich als Opfer im Zusammenhang mit Zwangsverheiratung, Zwangsverschleierung, Ehrenmord, Steinigung oder Genitalverstümmelung dargestellt:
Sineb El Masrar In der Mehrheitsgesellschaft entsteht der Eindruck, dass unsere Lebensrealität allein aus derart schrecklichen Ereignissen besteht. Die schlechte Stimmung und die Vorbehalte uns gegenüber sind damit auch ein Resultat dieser Berichterstattung.
Amani Abuzahra Ich sehe das auch so. Zum Einen ist es natürlich die Aufgabe der Medien die Vorkommnisse in der Gesellschaft abzubilden, die Menschen zu benachrichtigen, das verstehe ich. Nur, was bei mir Unverständnis hervorruft, ist wenn diese Einzelschicksale und negativen Berichte über den Islam so gepusht werden, dass keine positiven Bilder mehr vorkommen. Das Verhältnis passt einfach nicht. In Österreich kommen Zwangsverheiratungen oder Ehrenmorde extrem selten vor. Und da fragt man sich, wo bleibt die positive Berichterstattung.
Elisabeth Krimbacher
Esra Özmen (20) ist als Tochter türkischer Einwanderer in Wien geboren, hat gerade die Matura hinter sich und möchte nächstes Jahr Jus studieren. Sie ist Rapperin, kommt nicht regelmäßig zum Beten und trägt kein Kopftuch, weil sie sich noch nicht bereit dafür fühlt. Sie schließt aber nicht aus, eines Tages vielleicht eines zu tragen.
Esra Özmen Es gibt Muslime, die Frauen unterdrücken, das kann ich nicht leugnen. Aber das ist nicht die Schuld der Religion, sondern es sind die Menschen, die das machen. Viele Leute können das nicht unterscheiden. Das heißt, diese Leute nützen den Islam aus. Sie formulieren den Koran um, und rechtfertigen so die Unterdrückung. Aber im Koran steht nicht, dass man Frauen unterdrücken sollte.
Jungfräulichkeit war einfach ein Gesetz
El Masrars Kritik verschließt ihr aber sicher nicht die Augen vor der Realität. Sie leugnet an keiner Stelle, dass muslimische Mädchen und Frauen im Namen des Islams die brutalsten Misshandlungen ertragen müssen. Sie weiß, dass gerade islamische Länder wie Iran und Afghanistan großen Aufholbedarf bei Frauen- und Menschenrechten haben, und dass die politische Radikalisierung ihrer Religion auch westliche Demokratien mit Terror bedroht.
Über all diesen Dingen dürfe man aber nicht vergessen, dass die Musliminnen in Europa mit struktureller Unterdrückung zu kämpfen haben. Nachteile am Wohnungsmarkt, bei Arbeits- und Bildungschancen erfahren sie eher durch europäische Rechtsgrundlagen, und nicht durch ihre Ehemänner, Väter oder Brüder. Anstatt aber nur die Fehler der anderen anzuprangern, scheut sie sich nicht vor Religionskritik:
Sineb El Masrar Die wenigsten Koranlehrer waren in ihrer Didaktik so professionell, dass sie uns die nötigen Hintergründe des Islam vermittelten. Unsere Eltern verwiesen bei ihrer Erziehung zwar oft auf angebliche Gebote des Islam, doch in Wirklichkeit wussten sie selber nicht, von was sie sprachen.
Esra Özmen Das stimmt schon. Den Koran interpretiert jeder für sich selbst, und Jugendliche übernehmen oft die Position ihrer Eltern. Aber natürlich hört der Einfluss der Eltern irgendwann auf. Jeder sollte den Koran also für sich lesen und selbst interpretieren. Wenn man das macht, kann man von niemandem beeinflusst werden.
Amani Abuzahra Es ist für alle Religionen und Gesellschaften typisch, dass bestimmte Traditionen unhinterfragt übernommen werden. Das passiert bei christlichen Eltern genauso wie bei muslimischen. Aber hier ist momentan sehr viel im Umbruch, gerade durch die zweite und dritte Generation in Österreich. Muslimische Jugendliche gehen viel mehr in die Tiefe. Warum? Weil ihre islamische Identität total in Frage gestellt wird. Sie müssen sich immer wieder rechtfertigen, bzw. teilweise auch zurecht näher erklären, worum es ihnen, und worum es im Islam geht. Aber dadurch haben sie auch gleich einen viel kritischeren Zugang als ihre Eltern. Bei den Eltern wird durch die Kinder vieles in Frage gestellt.
Man unterscheidet Burka, Niqab, Hidschab und Tschador.
Burka (arab.) ist die blaue Ganzkörperverhüllung mit Sichtgitter vor den Augen aus Afghanistan. Niqab (arab.) ist ein schwarzer Gesichtsschleier, der einen Schlitz für die Augen frei lässt. Bei Hidschab (arab.) und Tschador (pers.) ist zumindest das Gesicht zu sehen.
Es sieht also fast so aus, als könnte die Islam-Debatte auch etwas Positives bewirken. Vorausgesetzt die so genannte Mehrheitsgesellschaft tritt in einen wirklichen Dialog mit ihren muslimischen MitbürgerInnen. Daher hält El Masrar auf den letzten Seiten ihres Buches ein flammendes Plädoyer für gegenseitigen Respekt und Unterstützung statt Diskriminierung und Verboten. Das Kopftuchverbot nämlich, wie es Alice Schwarzer für öffentliche Einrichtungen in ganz Deutschland (in einigen Bundesländern ist es für Lehrerinnen bereits verboten) und die FPÖ in Österreich fordert, halten alle drei "Muslim Girls" für kontraproduktiv.
Sineb El Masrar Für eine tatsächlich unter die Burka [Das Zitat bezieht sich auf das Burkaverbot in Belgien, entspricht aber El Masrars Meinung zum Kopftuchverbot.] gezwungene Frau wird ein Verbot voraussichtlich nur bewirken, dass sie das Haus nicht mehr verlassen darf. Für alle anderen Muslimas, die sie tatsächlich freiwillig tragen, bedeutet das Verbot eine sinnlose Kleiderordnung und vor allem verstärkte Aggressionen gegen die muslimische Religion und ihre Anhänger.
Eichborn Verlag
Esra Özmen Ich weiß nicht, was die FPÖ gegen den Islam hat oder was sie daran stört, dass Frauen Kopftücher tragen. Ich finde jedes Land sollte viele Kulturen repräsentieren. Das ist Vielfalt, das ist schön. Und das Kopftuch ist kein Zeichen der Unterdrückung. Hier wird niemand dazu gezwungen. Deswegen ärgert es mich, dass die FPÖ "Wir schützen freie Frauen - Die SPÖ den Kopftuchzwang" plakatiert hat. Ich glaube aber nicht, dass das Österreich das Kopftuchverbot einführt, nur weil die FPÖ es fordert.
Amani Abuzahra Das Kopftuchverbot ist total widersprüchlich, gerade wenn es um das Verbot in öffentlichen Einrichtungen wie in Schulen und Ämtern geht. Dadurch schließt man viele Musliminnen aus Berufs- und Arbeitswelt und aus dem Bildungsbereich wie Schule und Uni aus. Zugleich beschwert man sich aber, dass die muslimische Frau ach so ungebildet ist, dass sie sich nicht integriert und nicht an der Gesellschaft teilnimmt. Nochmal, das ist total widersprüchlich. Man versperrt ihnen damit den Weg zur Gesellschaft, zu Öffentlichkeit und Bildung.
Islam-Schwerpunkt in Connected von 15 bis 19 Uhr am 20. Oktober:
- Wo beginnt Islamismus?: Alice Schwarzer gibt darauf in dem von ihr herausgegebenen Buch "Die große Verschleierung" eine klare Antwort. Und macht es sich sehr einfach.
- Weder Terror-Sympathisantinnen noch Unterdrückte: Was sagen muslimische Mädchen und Frauen zu Kopftuchdebatte und Islam(ismus)kritik?
* Muslimische Frauen werden unterdrückt und zwangsverhüllt. Ein nicht zwangsläufig zutreffendes Klischee, dem nicht zuletzt Alice Schwarzers neues Buch "Die große Verschleierung" Vorschub leistet. Michael Fiedler hat mit Alice Schwarzer gesprochen
* Mit "Muslim Girls - Wer wir sind, wie wir leben" hält die junge deutsche Autorin Sineb El Masrar dieser Sichtweise die vielschichtige und oft völlig autonome Lebenswirklichkeit junger Musliminnen in Deutschland entgegen. Barbara Köppel stellt das Buch vor, und spricht mit zwei Musliminnen aus Wien über ihren Alltag.
* Islamisches Gymnasium: Die Debatte rund um die Verschleierung muslimischer Mädchen hat zuletzt durch Alice Schwarzers Buch neuen Aufwind erhalten, aber auch Widerstand regt sich, wie im Buch Muslim Girls. In Wien gibt es ein Islamisches Gymnasium. Hier gehen besonders viele muslimische Mädchen in die Schule. Irmi Wutscher war dort und hat herausgefunden, was an der islamischen Schule anders, und was gleich ist wie an anderen öffentlichen Schulen.