Erstellt am: 29. 9. 2010 - 10:20 Uhr
Führer und Verführung
Daran, dass Oskar Roehler immer noch als der Wilde unter den deutschen Filmemachern gilt, als enfant terrible, das gern "Buh!" macht und sich dann diebisch freut, wenn sich das Publikum (oder eher: die Kritiker) ein wenig echauffieren, erkennt man, wie gezähmt und glücklich im Genrekäfig der deutsche Film ist. Roehlers aktueller Film "Jud Süß - Film ohne Gewissen" wurde auf der Berlinale ausgebuht, das Feuilleton wachelte sich hektisch Luft zu, um nicht in Ohnmacht zu fallen, tat es aber dann doch, der Zentralrat der Juden, der den Film verhindern wollte und ihm antisemitische Tendenzen unterstellte, milderte sein Urteil nach Sichtung: Der Film sei "sicher nicht antisemitisch, aber grottenschlecht".
"Jud Süss" aus dem Jahr 1940 gilt in Österreich und Deutschland als Vorbehaltsfilm und darf nur mit begleitendem Kommentar und anderen Auflagen vorgeführt werden
Roehlers Film, der erste, bei dem nicht auch das Drehbuch von ihm stammt, erzählt von der Entstehung des perfiden Propagandafilms "Jud Süß", den Regisseur Veit Harlan 1940 im Auftrag Joseph Goebbels drehte. Hetze verpackt in einen Ufa-Kostümfilm, Propaganda im Mantel der narrativen Erzählung mit Stars sollte ein großes Publikum erreichten. Und das tat er. An die 20 Millionen Menschen haben Harlans "Jud Süß" im Kino gesehen. Goebbels ist zufrieden und notiert "Harlan Film 'Jud-Süß'. Ein ganz großer, genialer Wurf. Ein antisemitischer Film, wie wir ihn uns nur wünschen können. Ich freue mich darüber" in sein Tagebuch.
Thimfilm
Roehler rückt Schauspieler Ferdinand Marian in den Mittelpunkt seines zwischen Groteske, Melodram, Klamotte und Schmierentheater schwankenden Films. Genrekäfige waren noch nie was für Roehler.
Tobias Moretti gibt den mäßig berühmten Wiener Schauspieler Marian, ein eitler Geck, ein Vorstadtcasanova und wie die meisten Charaktere Roehlers nicht ganz Herr seines Sexualtriebs. Gerade noch die Hand unterm Rock des Dienstmädchens Britta, dann schon im Bett einer Frau, die sich langweilt, seit ihr Mann an der Front ist. Marian ist ein wenig schmierig und das nicht nur wegen der Pomade im Haar. Seine Frau Anna (Martina Gedeck) wird bei Oskar Roehler zur Halbjüdin, eine Fiktion, die ihm allerorts vorgeworfen wird und die tatsächlich ein vielleicht allzu billiger Drehbuch-Kniff ist, um Marians Entscheidung, die Rolle in "Jud Süß" nach anfänglichen Protesten doch anzunehmen, nachvollziehbarer zu machen. Damit wir auch wirklich Marians Lage verstehen, lässt Roehler zweimal Johannes Silberschneider als Hans Moser drum bitten, dass seine Frau nach Wien zurückkehren darf; Mosers jüdische Frau Blanca Hirschler musste 1939 nach Ungarn emigrieren. (Der stets souverän agierende Silberschneider schlägt sich erwartungsgemäß wacker in der Hans-Moser-Nachahmung, ein schwieriges Unterfangen, weil ja gefühlt 3/4 der österreichischen Bevölkerung darin ein Diplom zu haben glaubt).
Marian hat Angst um seine Frau, aber auch davor, mit Annahme der Rolle in "Jud Süß" zukünftig auf "jüdische Rollen" festgelegt zu sein. Opportunismus und ein Pakt mit einem teuflischen System, die Geschichte des Ferdinand Marian ist auch ein wenig die Geschichte von Höfgen in Klaus Manns "Mephisto".
Thimfilm
Tobias Moretti ist eindringlich in seiner Darstellung des schnurrbärtigen Ferdl, der Goebbels Aschenbecher vor die Füße knallt und dessen Eitelkeit ihn auch eine Zeitlang blendet, was die wahren Absichten von "Jud Süß" angeht. Zuerst kommt aber s'Fressen, dann die Moral: Bei der Berlinpremiere schwebt die Kamera rauf vom frenetisch klatschenden Publikum zu Marian am Balkon und anhand eines einzigen Gesichtsausdrucks macht uns Moretti klar, dass Applaus das Brot des Künstlers ist und Marian einen Mordshunger hat.
Goebbels als Kasperlmephisto
Morettis Spiel kommt das Theaterhafte von Roehlers Inszenierung sehr gelegen, nicht nur beginnt der Film mit Marian als Iago auf der Bühne, auch der Rest der Inszenierung sucht das Theater als Anknüpfungspunkt. Das Licht ist von einer fantastischen Künstlichkeit und erinnert in einigen Szenen an den Fotografen Gregory Crewdson. Ein Licht, das es so nicht gibt leuchtet auf eine Geschichte, die es genau so auch nicht gegeben hat. Roehler verweigert die Authentizität, die so vielen Filmemachern als die einzige Herangehensweise bei der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus gilt. Eine Authentizität, die aber nie im Leben erreicht werden kann und so oft zu einer Anekdotisierung von Geschichte beiträgt, die auch keinerlei weitere Auseinandersetzung fordert. Da wird Geschichte zu einer leicht erzählbaren Ursache-Wirkung-Nacherzählung. Bei Roehler steckt alleine in der Figur von Goebbels soviel Karikatur, Übertreibung und natürlich auch biografische Fakten, dass man als halbwegs mündiger Kinobesucher sich nach dem Film damit beschäftigen wird. Moritz Bleibtreu gibt einen Reichspropagandaminister zwischen jovialem Kasperl und perfidem Mephisto. Karneval-Frohnatur, die ihre Gesprächspartner in die Seite knufft, humpelnder, stets Zeigefinger oder gleich den ganzen Arm schwingende Charakter- und Rampensau in Personalunion, von der eine konstante Bedrohung ausgeht.
Thimfilm
Sex und Faschismus
- Holocaust und Hollywood (Artikel vom 2. März 2009)
Roehlers Nazis sind allesamt Karikaturen - egal ob mephistopehlische Kasper wie Goebbels, brüllende, glatzköpfige Bulldoggen oder joviale, witzerzählende Monster wie Ex-TV-Schönling Ralf Bauer als Fritz Hippler. Sie sind gestelzt schreitende, grelle Gestalten, die keine zwei Stechschritte gehen können, ohne sich schon wieder den Hosenschlitz zu öffnen. Sind Roehlers Charaktere ohnehin meist mit der Stereowatschn "Permantenter Geilheit/Destruktiver Sex" geplagt, so bettet er sie hier in die Beschäftigung mit der Verbindung von Sexualität und Faschismus ein. Bereits in der ersten Szene, in der Goebbels und Hippler die Proben zu "Othello" besuchen und Marian in einer engen. ärmellosen Lederkluft auf der Bühne steht, das Gesicht voll verwischtem Lippenstift, treffen sich Fetisch und Faschismus. Entartet, flüstert Hippler, angeekelt und fasziniert sogleich in Richtung Goebbels. Sex und Faschismus, das gab es bei italienischen Filmemachern wie Visconti und Pasolini sowie im Genre des "Sadiconazista", der Nazi-fetischistischen Softpornografie der 1970er Jahre. Selten aber griffen deutsche Filmemacher diese Verbindung auf.
In der meisbebuhten Szene schnappt sich Gudrun Landgrebe als SS-Offiziersgattin Marian zum Sex am offenen Fenster. Und während Bomben über Berlin niedergehen, will sie, dass Marian die Vergewaltigungsszene aus "Jud Süß" mit ihr nachspielt. Roehler doppelt hier eine Szene gleichermaßen wie er sie umkehrt. Und mit genau solchen Szenen, absurd, überhöht, an der Grenze zur Geschmacklosigkeit schrammend, wie es Roehler gerne macht, verweigert sich "Jud Süß - Film ohne Gewissen" auch der Rezeption als Tatsachenfilm.
Die Greueltaten der Nazis sind weitgehend unsichtbar, ein schleichender Horror ist trotzdem manchmal spürbar, nur sucht sich Roehler dafür neue Bilder: Marians 10jährige Tochter Maria (Fanny Altenburger mit nachtmahriger Ausstrahlung) singt abends im Bett mit Kleidmädchenstimme Lieder von marschierenden Soldaten und sagt artig die antisemitischen Gedichte auf, die sie in der Schule gelernt hat. Die korrumpierte Unschuld eines Kindes, das die eingeimpfte Hetze stolz deklamiert, ist ein gern genommenes Bild, auch Roehler weiß es einzusetzen.
Thimfilm
"Jud Süß - Film ohne Gewissen" läuft bereits in den österreichischen Kinos
Die "Nummer Sicher" gibt es in Roehlers Zahlenwelt nicht, er riskiert, verzettelt sich oft, ist aber dann selbst im Scheitern weitaus interessanter als andere Regisseure im Gelingen. Mit "Jud Süß - Film ohne Gewissen"
zelebriert er Theaterhaftigkeit und Übertreibung, lässt seinen Film schwanken zwischen Melodram, Klamotte und Groteske und inszeniert mit dem grandiosen Dreiergespann Bleibtreu-Gedeck-Moretti eine Abhandlung zu Mechanismen des Faschismus, künstlerischer Eitelkeit und Kunst als politischer Waffe. Das ist teilweise unfassbar daneben, stilistisch schwankend und alles andere als geschmackssicher, machen den Film aber zur arschtretenden Aufforderung zur Auseinandersetzung. Die wird auch Roehlers nächster Film fordern, der kolportierterweise "Der kleine Doktor - Der unaufhaltsame Aufstieg des Joseph Goebbels" heißen soll.