Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Holocaust und Hollywood"

Pia Reiser

Filmflimmern

2. 3. 2009 - 12:46

Holocaust und Hollywood

Sprödheit versus Wucht: "The Reader" und "Adam Resurrected" brechen mit den Genrekonventionen des Holocaust-Films.

“God, do we need another film about the holocaust? It was grim. We get it. Move on. (...) if you do a film about the holocaust, you get an Oscar. Schindler’s List. The Pianist. Oscars coming out their arse", so Kate Winslet als sie selbst in einer Episode von Ricky Gervais Serie "Extras". Gervais hat hier visionär geschrieben, für ihre Rolle als ehemalige KZ-Aufseherin in "The Reader" wurde sie dieses Jahr mit einem Oscar als beste Hauptdarstellerin geehrt. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit oder dem Bedarf eines weiteren Holocaust Films wird bei jedem Film dieses Genres (ja, es ist tasächlich ein Genre) aufgeworfen.

Fiktionalisiserung

Einig ist man sich einzig in der Undarstellbarkeit des Grauens, dem Ausmaß des Greueltaten, nichtsdestotrotz wendet sich auch Mainstream Hollywood immer wieder dem Thema zu. Filmemacher wie Claude Lanzmann, der mit seiner neuneinhalbstündigen Dokumentation "Shoah" ein Werk geschaffen hat, das als wichtigste filmische Auseinandersetzung mit dem Holocaust gilt, spricht sich immer wieder gegen eine Fiktionalisierung des Holocaust aus, vor allem auch gegen Bemühungen, die Taten der Nationalsozialisten verstehen zu wollen. "There is an absolute obscenety in the very project of understanding. Not to understand was my iron law during all the eleven years of the production of "Shoah", so Lanzman in "Trauma".

Meryl Streep und Karlheinz Hackl in "Sophie's Choice"

artisan

Meryl Streep und Karlheinz Hackl in "Sophie's Choice"

Die Karikatur des Bösen

Das Vorstellungsvermögen fehlt einem - trotz all der Erzählungen, Bücher, Filme und Geschichtsstunden - ja nicht nur nicht nur für das Ausmaß der Greueltaten sondern auch, wie es dazu kommen konnte, dass sie möglich waren. Der Zivilisationsbruch ist schwer zu begreifen und entzieht sich einer Darstellungsweise, die der Zeitgeschichte gerecht werden würde. So mussten Filme, die sich mit dem Holocaust auseinandersetzen die Frage nach dem "Wie war das möglich?" weitgehend ignorieren und uns Nazis vorsetzen, die wirkten, wie vom Planeten "Hitler" auf die Erde gefallen: Im Stechschritt-schreitende, stets schreiende, jeglichen Mensch-Seins beraubte Figuren. Und so wurden Nazis im Film schließlich über die Jahre zur Karikatur, bis zwischen der Darstellung des Bösen in ganz unterschiedlichen Filmen wie "LaVita é bella", "Sophie's Choice" oder auch "Indiana Jones" nicht sehr voneinander unterschied. Der Nazi als Figur wurde wenig variabler Bestandteil des Hollywood'schen Erzählkinos. Und alles, was in Genrekonvention erstarrt, entzieht sich irgendwann der kritischen Rezeption.

Hitler inmitten einer Menschenmenge, Szenebild aus Ernst Lubitschs "To Be or Not To Be"

UA

Szene aus Ernst Lubitschs "To be or not to be"

Wahrhaftigkeit vs. Zumutbarkeit

Während die Komödie Variantenreichtum aufbringen konnte - von Lubitschs "Sein oder Nichtsein" über "Zug des Lebens" zu Helge Schneiders "Mein Führer", war das Drama festgefahren war in seinen selbst geschaffenen Konventionen und der Bemühung, das Publikum nicht allzu sehr zu verstören. Denn selbst beim Holocaust suchte das Hollywoodkino einen Funken Hoffnung, Katharsis oder Beruhigung. Bei all der Wahrhaftigkeit in der Darstellung, muss ein Film natürlich auch noch ein Publikum anziehen, muss bei aller Wahrhaftigkeit auch noch zumutbar sein. (Deswegen setzen viele Filme nach dem Krieg an und erzählen in Rückblenden, so hat das Publikum die Rahmenhandlung als Rettungsring; die Rückblende - so schlimm sie auch sein mag - ist ja bereits vorbei und überstanden.)

Bruch mit Konventionen

Das aktuelle Kino ist dabei, mit diesen Regeln langsam zu brechen - und ist dabei unterschiedlich erfolgreich. Stephen Dalrdys "The Reader", basierend auf Bernhard Schlinks Bestseller "Der Vorleser", verzichtet weitgehend auf das Bebildern des Grauens. "The Reader" entwirft anhand der Beziehung zwischen dem 15-jährigen Michael (David Kross) und der Mitte-30-jährigen Hanna (Kate Winslet) ein Generationenbild Deutschlands nach dem Krieg. Nachdem Hanna eines Tages verschwunden ist, sieht Michael sie als Jus-Student auf der Anklagebank wieder; Hanna war KZ-Wärterin. Weil Michael während des Prozesses etwas klar wird, was den Plan der anderen angeklagten Wärterinnen durchkreuzen könnte, Hanna die Hauptschuld zur Last zu legen, schweigt er und hadert ein Leben lang damit. Und mit der Tatsache, eine Frau geliebt zu haben, die für den Tod zahlreicher Menschen verantwortlich ist und keine Reue zeigt. Die Erzählhaltung, Hanna als jemanden zu charakterisieren, der nicht nur über das "Täter-Sein" definiert wird, ist im aktuellen Kino neu.

Kate Winslet und David Kross liegen auf einem Bett, Szene aus "Der Vorleser"

Senator

Verkopft und kraftlos

Abgesehen davon, dass er interessante Anknüpfungspunkte für Diskussionen aufwirft, ist "The Reader" eine Enttäuschung. Akribisch sich an die Romanvorlage haltend und mit verschiedenen Zeitebenen Dynamik vortäuschend, ist es ein Film, der einem trotz seiner Thematik erstaunlich kalt lässt - trotz gutem ersten Drittel, das die Beziehung zwischen Hanna und Michael zum Thema hat, Nachmitttage zwischen Sex und Vorlesen, Badewannesitzen und Radausflügen. Speziell die Uni-Szenen, in denen Michael in den 60er Jahren mit ein paar Mitstudenten und Professor Moralfragen diskutiert sind von kaum auszuhaltender pathosbeladener Theaterhaftigkeit. Kate Winselt und David Kross sind beide fantastisch besetzt und auch Ralph Fiennes trägt als erwachsener Michael souverän sich zurücknehmend die grambepackte Miene durch den Film, doch "The Reader" bleibt ein verkopftes, kraftloses und sprödes Lehrstück in banalen Bildern und einem nervtötenden Score, der durchzududeln scheint. In der Originalfassung, in der Kate Winslet wohl dazu angehalten wurde, ihr Englisch mit einem deutschen Akzent zu versehen und der Rest des - durchwegs mit deutschsprachigen Schauspielern besetzten - Casts es ihr gleichtut, führt diese künstliche Sprachwelt zu einer weiteren Barriere, die Identifikation verhindert.

Grell und ergreigend

Vielleicht ebenfalls lehrstückhaft und auch der Theaterhaftigkeit nicht ganz frei ist Paul Schraders "Adam Resurrected", der ebenfalls momentan in den österreichischen Kinos läuft. Darin ist Jeff Goldblum der Varietekünstler Adam Stein, der im KZ von Lagerkommandant Klein (Willem Dafoe) als Hund gehalten wird. In den 60er Jahren verbringt er die meiste Zeit in einem Sanatorium mitten in der Wüste, wo er eines Tages auf einen Jungen trifft, der sich für einen Hund hält.

Joachim Krol und Fell Goldblum sitzen auf einem Bett, Szene aus "Ein Leben für ein Leben"

3L Filmverleih

Der König der Irren

Goldblums Stein ist Lebemann, Liebhaber, Magier und Clown und im Sanatorium der König der Irren - auch die Darstellung der Opfer der Nazi-Verbrechen erfährt mit "Adam Resurrected" eine Wandlung im Vergleich zu früheren Auseinandersetzungen. Schraders Verfilmung des Romans "Hundesohn" von Yoram Kaniuk ist die erste deutsch-israelisch-amerikanische Produktion zum Thema, die sich auch besetzungstechnisch nicht an alte Konventionen hält. Den sadistischen Lagerkommandanten gibt Willem Dafoe und deutsche Schauspieler wie Joachim Krol Insassen des Sanatoriums. Vorbei die Zeiten, in denen in amerikanische Produktionen gern deutsche Schauspieler als Nazis besetzt wurden, eine Verzweiflungstat beim Ringen um Authentizität.

Statt auf um Genauigkeit bemühte Geschichtsabbildung setzt Schrader auf die Groteske, die Übertreibung, die Farce und erreicht zumindest, dass Auseinandersetzung verlangt wird. "Adam resurrected" greift einen an die Kehle, während es einem in den Magen tritt, ein unangenehmer Film, der kratzt, der kalkuliert die Geschmacklosigkeit streift.

Daniel Craig mit umgehängter Waffe, Teaserplakat zu "Defiance"

Constantin Film

Neue Bilder: "Rather than victims wearing yellow stars, here were fighters in fur chapkas brandishing submachine guns", so Edward Zwick in der NY Times

Neue Rollenbilder

Es ist also Schluss mit der Sicherheit der Genre-Konvention, die durch ewiggleiche Opfer und Täter-Ikonografie und durch das Runterbrechen auf Einzelschicksale die Zeitgeschichte zu banalisieren drohte. Demnächst kommt "Good" mit Viggo Mortensen auf uns zu, der darin einen Professor spielt, der sich den Nazis anschließt und in "Defiance" sind Daniel Craig und Liev Schreiber als Bielski-Brüder zu sehen, russische Widerstandskämpfer, die die größte bewaffnete Rettungsoperation von Juden im Zweiten Weltkrieg organisierten. Und jeder dieser Filme - einschließlich Quentin Tarantinos Remake von "Inglorious Bastards" - fordert vom (mündigen) Publikum Ausseinandersetzung, weil er mit bisherigen Bildern und Geschichten bricht und so mit jedem neuen Film neue Auseinandersetzung einfordert. Mehr kann man vom Kino, das sich Zeitgeschichte zuwendet ohnehin nicht verlangen.

"The Reader" und "Adam Resurrected" laufen bereits in den österreichischen Kinos.