Erstellt am: 26. 9. 2010 - 10:14 Uhr
Abschied von Martin Büsser
Als ich freitags gefragt wurde, ob ich einen Nachruf auf Martin Büsser schreiben wolle, habe ich abgelehnt. Ich war starr vor Trauer und Entsetzen und wollte nicht wahrhaben, was passiert war. Auch war ich unfähig, den Schmerz über diesen Abschied mit anderen Menschen zu teilen. Doch jetzt, wo mir zu Bewusstsein steigt, dass Martin Büssers Tod nicht nur eine Lücke, sondern einen klaffenden Abgrund hinterlassen wird, möchte ich meine Erinnerung an ihn teilen.
Denn seine Bescheidenheit hat zu Lebzeiten dazu geführt, dass er trotz seiner unglaublichen Intelligenz, seines profunden Wissens, seiner irrwitzigen Produktivität, seiner Schärfe im Formulieren und seinem Humor nie den "Fame" abbekam, den andere Popkritiker um ihn herum einstreichen konnten. Ihn hat es nicht einmal gestört, weil er in seinem lebenslang aufrecht erhaltenen Punkrock-Spirit nie viel Aufhebens um seine Person oder irgendwelche Institutionen machte, auch wenn er die damit einhergehenden finanziellen Freiheiten als notorisch klammer DIY-Verleger und Autor sicher zu schätzen gewusst hätte. Je mehr ich über ihn nachdenke, desto mehr stelle ich fest, wie sehr ich ihn dafür - und vieles andere - bewundert habe.
Als junge Redakteurin bei der Musikzeitschrift Intro kam mir die Aufgabe zu, seine Texte zu "redigieren" - was ein Witz war, denn sie waren stets perfekt, voller Sachkenntnis und ohne einen Fehler, und ich dagegen reichlich grün hinter den Ohren. Martin störte sich nicht daran, sondern war immer kumpelhaft freundlich und ohne eine Spur der Herablassung. Und das Beste war: Er wusste über alles Bescheid, was mich, je mehr ich dessen gewahr wurde, immer fassungsloser machte: Über Musik, Film, Kunst, Literatur, Theorie - alles. Und zwar nicht nur oberflächlich über dieses oder jenes Genre, in dem jahrelang Nerdwissen angesammelt wurde, nein, er war überall zu Hause.
Und obwohl ihn sicherlich vieles langweilte, war er nach all den Jahren seiner Autorentätigkeit immer noch fähig, sich selbst mit Begeisterung in Brand zu setzen, wenn er wieder etwas Neues entdeckt hatte. Darüberhinaus war er so absolut zuverlässig und pünktlich, dass mir jetzt noch die Tränen kommen, wenn ich daran denke. Ich glaube, ich durfte nie wieder einen Schreiber "betreuen", der in jeder Hinsicht so perfekt und dabei so völlig geerdet war.
Auch seine Aufrichtigkeit, seine absolute Unkorrumpierbarkeit ringt mir den allergrößten Respekt ab. Er war dauernd unterwegs, machte vieles, mal mehr aus Interesse bei kleinen Initiativen, mal mehr aus finanzieller Notwendigkeit, weil ein unabhängiger Verlag wie der Ventil Verlag zwar Erfüllung, aber nicht unbedingt viel Geld bringt, und war dabei undogmatisch, aber nie verführt. Er konnte genauso gut in einem kleinen autonomen Zentrum lesen, wo er hinterher in der bescheidenen Gastwohnung mit einer kaputten Toilette zu kämpfen hatte, wie er an der Universität Wien oder eben auch der Popakademie Mannheim unterrichten konnte. Verbogen hat er sich dabei nie.
Erst am Ende meiner Tätigkeit bei Intro lernte ich ihn auch persönlich besser kennen, als er einwilligte, meinen Sammelband "Hot Topic" in seinem Ventil Verlag zu veröffentlichen, wofür ich heute noch dankbar bin. Ab dann trafen wir uns häufiger auf Lesungen, Podien, Buchmessen, auch lud er mich zu sich nach Hause ein, in eine Wohnung randvoll mit Büchern, Musik und Kunst, stets unkompliziert, jovial und unprätentiös. Ich schämte mich manchmal ein bisschen, wenn ich nach dem Ende der Veranstaltungen nicht mehr lange mithalten konnte und statt bei langen, erhitzten Diskussionen noch die ein oder andere Flasche zu leeren, in mein Zimmer schlich.
Ich kam mir so memmenhaft und bürgerlich vor neben Martin, der mitten in der Nacht in dezenten Schlangenlinien nach Hause laufen und am nächsten Morgen lange vor mir mit neuem Tatendrang schon wieder in der Küche sitzen konnte.
Ich erinnere mich auch noch stolz daran, dass ich live miterlebte, wie der "Deal" zu seinem Comicband "Der Junge von nebenan", der im Verbrecher Verlag erschien, zustande kam: Nach der Buchmesse Leipzig saßen wir abends im Conne Island zusammen, Martin Büsser und der Verleger Jörg Sundermeier redeten sich alkoholbefeuert immer mehr über die Verhältnisse in Rage, ich saß immer stummer und ahnungsloser daneben, bis Martin die Idee seines Comics aufs Tapet knallte und Jörg einfach "Ja" sagte. Ich weiß noch, wie ich dachte, "Klingt gut, aber morgen früh ist die Geschichte wahrscheinlich wieder vom Tisch" - bis einige Zeit später der Comic wirklich da war.
Auch wenn ich einige Zeit mit Martin verbracht habe und wir vor einigen Jahren sogar überlegten, gemeinsam ein Teilzeit-Büro in Berlin zu suchen, kann ich nicht sagen, dass ich ihn gut kannte. Es war toll, sich mit ihm über Ungerechtigkeiten in Rage zu reden oder sich über angeberische Kollegen zu echauffieren, oder ihm lachend zuzuhören, wenn er Szene-Anekdoten erzählte, weil er Gott und die Welt kannte. Ich hatte das Gefühl, dass es ihm ein Gräuel war, sich in Befindlichkeiten zu suhlen, wofür ich ihn noch mehr bewunderte, weil es so radikal uneitel war.
Das führte aber auch dazu, dass man sich nie traute, mal genauer nachzufragen, was bei ihm so los war, weil es einem zudringlich erschienen wäre. Aber eines kann ich mit Sicherheit sagen: Er war ein feiner Mensch. Einer, von dem es nicht 10, nicht 5, nicht 2 gibt. Sondern nur genau ihn. Dass wir ihn jetzt an sein schweres Krebsleider verloren haben, mit nur 42 Jahren, ist nichts weniger als eine Tragödie. Wer wird jetzt all die Texte schreiben, die er monatlich, wöchtenlich, täglich in der immer gleichen Qualität rausgehauen hat? Wer wird die Bücher verlegen? Wer wird auf Podien und Vorträgen fundiert und humorvoll, aber dabei unbeugsam seine Meinung vertreten? Ich möchte, dass wir uns an ihn erinnern und nicht vergessen.