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Sarah Seekircher

(Sub-)Urbia und Überall. Reportagen, Hörspiele und andere Hauptsächlichkeiten.

18. 10. 2010 - 10:46

Lobbying-Paradies Brüssel

Den Typus schmieriger Hinterzimmer-Lobbyist trifft man in Brüssel zwar eher selten an, trotzdem gibt es viel Kritik an den professionellen "Einflüsterern".

In der Bürotür von Eva Lichtenberger stehen drei Männer Ende zwanzig. Dunkelblauer Anzug, weißes Hemd, Krawatte, korrekter Kurzhaarschnitt. Die EU-Politikerin ist gerade dabei, die drei mit lauter Stimme aus ihrem Büro zu verscheuchen. Kurze Diskussion, dann verschwinden die Männer in den Gängen des Europäischen Parlaments. "Diese Art und Weise, sich einfach mitten ins Büro zu stellen und das dann noch patzig zu kommentieren, wenn man nicht völlig erfreut ist, das ist dann schon ein bissl streng, das ist die negative Seite des Lobbyings," schimpft sie. Lichtenberger, die seit 2004 für die Grünen im EU-Parlament sitzt und sich dort mit den Themen Verkehr, Klima und Copyright befasst, hat schon mehrere unerfreuliche Begegnungen mit Lobbyisten hinter sich. Oft erzählt sie die Anekdote, als ihr ein Lobbyist von Warner Brothers bis aufs Klo nachgerannt ist.

15.000 Lobbyisten, so schätzt man, hat es in das Machtzentrum der EU verschlagen, genau gesagt, in das vier Quadratkilometer große Brüsseler EU-Viertel. Auf relativ engem Raum tummeln sich hier untertags tausende Menschen, nach Büroschluss ist der Stadtteil nahezu ausgestorben. Glaubt man der Lobbying-kritischen NGO "Corporate Europe Observatory" (CEO), arbeiten 70 Prozent der Brüsseler Lobbyisten für Unternehmen oder Wirtschaftsverbände, 20 Prozent für Regionen und Städte und zehn Prozent für NGOs, von Verbraucherschutz- bis zu Umweltorganisationen.

Blank polierte Messingschilder

Dieselbe NGO bietet regelmäßig “Lobbying-Führungen”, sogenannte Lobby-Tours, durchs EU-Viertel an. Treffpunkt ist die Verkehrsinsel am Schumann-Platz. Dort warten schon etwa 20 Männer und Frauen, darunter EU-Praktikanten, Touristen und Journalisten. Hier, wo die Autos in drei Spuren vorbeibrettern, schlägt das Herz des EU-Viertels. Blickt man nach Westen, sieht man das futuristische Hauptgebäude der Europäischen Kommission und vis-à-vis davon die rosafarbene Festung des Ministerrats. Auch das Europäische Parlament ist nur ein paar Gehminuten entfernt. In den Bürohäusern nahe der wichtigsten EU-Institutionen haben sich auch viele Lobbyisten eingemietet. Erik Wesselius, ein etwa 50-jähriger Niederländer, der für CEO arbeitet, deutet auf ein Bürohaus am Schumann-Platz: "Hier haben wir BP, das berühmte Öl-Unternehmen, das ein großes Problem im Golf von Mexiko hatte." Dann zeigt er auf ein anderes Gebäude: "Da haben wir Philip Morris drinnen." Auch General Electric, City of London oder der mächtige europäische Wirtschaftsverband Business Europe haben hier ihre Lobby-Büros.

Die Mietpreise sind hier angeblich hoch wie sonst nirgends in Brüssel, trotzdem rentiert es sich für in-house-Lobbyisten von einzelnen Unternehmen oder Lobbying-Agenturen, die ihre Dienste verschiedenen Klienten anbieten, sich in einem der Bürohäuser ganz in der Nähe der Kommission einzumieten. Will man EU-Gesetze beeinflussen, klopft man nämlich als erstes bei der Kommission an. Sie legt Gesetzesvorschläge vor und steht deshalb am Anfang des Gesetzgebungsprozesses in der EU.

Die Gruppe marschiert weiter, bis zu einem Bürohaus am Ende der Rue de la loi. Auf einer der 20 Türglocken steht relativ unauffällig IETA, die internationale Emissionshandelsgemeinschaft. Sie vertritt Ölkönzerne wie BP, Shell oder Vattenfall, aber auch Banken. Bei der Klimakonferenz im vergangenen Dezember in Kopenhagen sei die IETA mit 250 Lobbyisten angereist, erzählt Wesselius, und habe sich - wenig überraschend - nicht unbedingt für ehrgeizige Klimaziele eingesetzt.

Nächster Halt der Führung ist vor einem blank polierten Messingschild mit dem blau-orangen Logo der Lobbying-Agentur "QPlus". Häufig arbeiten ehemalige EU-Beamte und -Politiker in den Brüsseler Lobby-Büros, sie sind aufgrund ihres guten Insider-Wissens sehr gefragt. Bei "QPlus" seien es laut Wesselius aber besonders viele, die die Seite gewechselt haben.

Literaturtipps

Alter-EU

Alter-EU (Hrsg.): Bursting the Brussels Bubble
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Lobby Control

Corporate Europe Observatory (Hrsg.): Lobby Planet Brussels
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VS Verlag für Sozialwissenschaften

Steffen Dagger, Michael Kambeck (Hrsg.): Politikberatung und Lobbying in Brüssel

Damit dieser Bereich des Brüsseler Politikbetriebs, der sonst gerne hinter den Kulissen bleibt, transparenter wird, hat, die EU-Kommission im Zuge einer "Transparenz-Initiative" vor rund zwei Jahren ein Lobby-Register im Internet errichtet. Vorgesehen ist, dass sich die Brüsseler Lobbyisten hier registrieren und ihre Auftraggeber sowie ihre Finanzen offenlegen. Weil das Register aber freiwillig und nicht verpflichtend ist, haben sich bis heute bei weitem nicht alle der 15.000 Brüsseler Lobbyisten eingetragen.

Koffer voller Geld

In einem schicken Bürohaus etwas außerhalb des EU-Viertels in der Rue des Colonies findet man die Lobbykanzlei "Alber und Geiger", eine auf Lobbying spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei. Martin Gerig ist mit nicht einmal 30 Jahren deren jüngster Mitarbeiter. Der Deutsche pendelt zwischen Brüssel und Berlin, wo die Kanzlei einen weiteren Sitz hat. "Alber und Geiger" gilt als ungewöhnlich offen gegenüber Journalisten. "Wir führen gerne solche Interviews und versuchen den Leuten zu erklären, was Lobbying heutzutage bedeutet", sagt Gerig, "Lobbying bedeutet nicht, dass man mit einem Koffer voller Geld in die Kommission geht und jemanden besticht, sondern es geht darum, Probleme an die richtigen Stellen zu kommunizieren."

Das heißt zum Beispiel, dass Gerig den österreichischen Sportwetten-Anbieter Bwin hinsichtlich der Liberalisierung des EU-Glücksspielmarktes berät, dass er im Auftrag des Internetbrowser Flock verhindert hat, dass Microsoft seinen Nutzern lediglich fünf Browser zur Installation anbietet, oder, dass Davidoff-Parfums bzw. Camel-Boots sich jetzt doch nicht von ihrem Logo trennen müssen, wie es die Tabakwerbe-Richtlinie ursprünglich vorsah.

Wie in der Brüsseler Lobbying-Szene generell, dominieren auch bei Gerigs Klienten Unternehmen. Martin Gerig hat damit kein Problem - und zieht einen Vergleich mit der Werbung: "Wer über mehr Mittel verfügt, um große Werbung zu schalten, der hat es nun mal richtig gemacht."

Finanz-Lobbyisten

Seit Beginn der Finanzkrise strömen auch immer mehr Lobbyisten, die für Banken oder Versicherungen arbeiten, nach Brüssel. Immerhin wartet Europa seit zwei Jahren auf eine Regulierung des Finanzmarktes. Anscheinend gibt es dermaßen viele Finanz-Lobbyisten, die das verhindern wollen, dass sich einige EU-Parlamentarier schon bedrängt fühlen. Vor dem Sommer haben sich EU-Abgeordnete aus verschiedenen Fraktionen mit der Initiative "Finance Watch" an die Öffentlichkeit gewandt - um darauf aufmerksam zu machen, wie sehr die Finanzwirtschaft mit ihrer Lobbymacht die EU-Politiker unter Druck setzt. Eine Unterstützerin dieser Initiative ist die sozialdemokratische EU-Abgeordnete Evelyn Regner. Sie sitzt im Rechtsausschuss, der für die Regulierung des Finanzmarktes mitverantwortlich ist. Die Interessensvertreter von Banken und Hedge-Fonds sind meistens sehr gut vorbereitet, wenn sie bei Regner einen Termin bekommen. "Die haben ganz konkrete Anliegen, die sie auch in ganz konkrete Abänderungsvorschläge formulieren", sagt Regner.

Als ehemalige Gewerkschafterin steht Regner den Vertretern des Finanzmarktes naturgemäß kritisch gegenüber, davon lassen diese sich aber nicht abschrecken. "Die meisten sind sehr gut informiert über meinen Hintergrund - und kommen dann mit sehr klugen Argumentationen daher, die alle ähnlich lauten: Wenn Sie unseren Vorschlägen nicht folgen, kostet das so und so viele Arbeitsplätze", berichtet Regner.

Vertreter des privaten Finanzsektors gehören auch zu den engsten Beratern der EU-Kommission. Diese gründete mehrere Expertengruppen, von denen sie sich bei der Finanzmarktregulierung beraten lässt. CEO hat die Zusammenstellung dieser Expertengruppen untersucht. Dabei ist ans Licht gekommen, dass in acht dieser 19 Expertengruppen von Vertretern des privaten Finanzsektors, wie hochrangige Mitarbeiter von Banken, dominiert werden. Auf Journalisten-Fragen, warum die Kommission ihre Expertengruppen so einseitig besetze, antwortete die Kommission: "Wenn Sie Finanzberatung wollen, fragen Sie doch auch nicht einen Bäcker." Für Yiorgos Vassalos von CEO, der an der Studie mitgearbeitet hat, klingt das zynisch. Er findet, dass mehr Wissenschafter und die Zivilgesellschaft in diesen Expertengruppen vertreten sein sollten.

"Ich brauche diesen Kontakt"

Dass Lobbyisten, die Wirtschaftsinteressen vertreten, in Brüssel überwiegen, sagt auch Lichtenberger, die sich weniger mit der Finanzmarktregulierung beschäftigt, sondern zum Beispiel mit Verkehrsfragen. Sie kritisiert, dass viele EU-Parlamentarier sich nicht die Mühe machen, auch diejenigen zu hören, die keine oder eine schwache Lobby haben. "Die Anrainer an den Straßen Europas, die können sich's nicht leisten bei den Parlamentariern vorstellig zu werden. Deswegen muss man als Parlamentarier ganz bewusst die andere Seite aufsuchen", sagt Lichtenberger.

Trotzdem ist nicht jeder Lobbyist, der an der Bürotür anklopft, ein negatives Ereignis im Leben der EU-Parlamentariern Lichtenberger. Einige Lobbyisten brächten auch sehr interessante Informationen, findet die Abgeordnete: "Oft passiert's natürlich auch, dass Gesetze bestimmte Dinge nicht berücksichtigen, die wirklich eine Berechtigung haben."

Wenn man vom Europäischen Parlament Richtung Jubelpark spaziert, kommt an der Generaldirektion "Industrie und Unternehmen" vorbei. Die Generaldirektionen unterstehen der EU-Kommission und sind mit den Ministerien auf nationaler Ebene vergleichbar. Der Leiter der "GD Industrie und Unternehmen" ist der Österreicher Heinz Zourek. Er scheint ein deutlich entspannteres Verhältnis zu Lobbyisten zu haben. "Ich brauche diesen Kontakt," sagt er, einer der ranghöchsten Beamte der EU.

Montag, 18.10.

Schwerpunkt: Lobbying in der EU:
Das Radioprogramm im Detail.

Gerade laufen in der Kommission Diskussionen, wie man in der Industrie den Ausstoß von CO2 reduzieren kann. Dafür muss man Höchstwerte für den CO2-Ausstoß bei der Produktion bestimmter Produkte festlegen. Und dafür brauche Zourek die Informationen von einzelnen Betrieben oder auch Wirtschaftsverbänden, wieviel CO2 beispielsweise bei der Produktion von einer Tonne Stahl ausgestoßen wird - sowohl in der besten als auch in der schlechtesten Produktionsweise, was die CO2-Ausstoß betrifft.

Aber auch in der Generaldirektion "Industrie und Unternehmen" versucht man gegenüber Lobbyisten eine gewisse Distanz zu wahren. "Man hat überhaupt keine Probleme, dass Leute kommen und einem Unterlagen, Argumente oder was auch immer bringen. Aber man geht nicht zu einem Abendessen in ein teures Restaurant, sondern das sollte im Büro geschehen", sagt Zourek.