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Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

20. 7. 2010 - 10:50

In the Mouth of Madness

Creepy Teepee, ein Festival wird seinen Namen gerecht

Seit über 20 Jahren habe ich nicht mehr bei voller Beleuchtung mit einem Gegenstand wurfbereit in der Hand geschlafen. Dieses Wochenende beim Creepy Teepee Festivals im tschechischen Kutna Hora war es wieder soweit.
Schon das visuelle Erscheinungsbild hätte mich stutzig machen sollen.

logo Creepy teepee Festival

Creepy teepee Festival

Ist ja sehr schön, passt aber nicht zu Bands wie den Airwaves, Vivian Girls, Toro Y Moi oder Male Bonding, dass der Font aber exzellent zu Kunta Hora passt, sollte mir erst 48 Stunden später klar sein. Das Creepy Teepe ist ein Indie Festival. Sein Line Up und vor allem der Enthusiasmus meiner Freunde überzeugen mich.

10h Treffpunkt

10.15 das Mietauto löst sich auf
So und nur so hat ein vernünftiger Roadtrip zu beginnen. Viereinhalb Stunden später, Staunen über die Hässlichkeit von Excalibur City und Zombie-ähnlichen Schlaf im Kleinwagen inklusive, Ankunft im Mittelalter aka Kutna Hora in Tschechien.
Kopfsteinpflaster, viele Kirchen, alte Häuser mit nicht so einladenden Verzierungen.

Geschichtstourismus muss hier ganz groß sein. Unser Hotel liegt neben einer Kirche. Ein altes Haus mit Hof und schwerem Holztor. Die Zimmer liegen in Richtung Garten. Unter unserem Bett liegen zwei paar Herrenschuhe. Ein Paar Tennisschuhe und ein Paar Schlapfen. In dem Moment ist das alles egal. Wir wollen zum Festival.

Das Creepy Teepee Festival ist ein Indie Festival, das zum zweiten Mal im Hof eines Jesuitenklosters stattfindet. Heute beherbergt das Kloster eine Galerie für zeitgenössische Kunst, das Creepy Teepee ist der musikalische Zweig des Kunstbetriebs. Von Donnerstag bis Sonntag spielen von vier Uhr nachmittags bis zehn Uhr abends Open Air-Bands. Es ist mehr eine exzellent kuratierte Gartenparty als ein Festival, wie man es kennt. Es riecht nach Grillparty. Zweihundert Leute stehen am Freitag vor der Bühne oder liegen im Gras. Einer der Veranstalter steht beim Eingang und bedankt sich bei jedem persönlich fürs Kommen. Von Stress und dem hektischen Herumgewusel, das man von Festivals kennt, fehlt jede Spur.
Der Merchandise-Stand sieht aus wie eine improvisierte Galerie. Kunstdrucke, kleine Artbüchlein, Band-T-Shirts, Buttons und Kassetten mit selbstgemachten Covers. Jeder dieser Gegenstände umschwebt die Aura eines liebevoll gebastelten Einzelstückes. Ich überlege mir einen Lemmy Holzstich zu erstehen.

Kämpfen gegen die Hitze

Die Air Waves kämpfen gegen die Hitze und schlagen sich gut. Angenehme 32 Grad im Gras werden schnell zu quälenden 40 Grad auf der Bühne. Niemand fällt in Ohmacht, niemandem geht die Kondition aus. Die Air Waves sind die Band von Nicole Schneit. „Ihre Musik ist wie eine Kuscheldecke, in die du dich wickelst, um dich vor den Übeln der Welt zu schützen“, so wird die Band im Festival Programm beschrieben. Fällt auf fruchtbaren Boden bei jemandem, der bis zum Alter von sechs Jahren untrennbar mit seiner Kuscheldecke verbunden war. Neben Linus von den Peanuts muss ich an die Breeders und Cat Power, Früh-90er Indie-Folk denken.

nataliebrunner

Air Waves

Das Londoner Noise Pop Trio Male Bonding hat einen sehr guten Namen und vor drei Monaten auf Sub Pop ihr erstes Album veröffentlicht. "Nothing Hurts" heißt das Album und auch sie schlagen sich bei 40 Grad tapfer. Gitarrist und Bassist teilen sich den Gesang und durch laut leise, hart zart Antagonismen wird das Konzert keine Sekunde fad, eher ein bisschen zu kurz.

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Male Bonding

Dann der Mann, auf den ich gewartet habe: Toro Y Moi. Ich glaube, er ist ein Mensch gewordener Tribble. Zumindest hat seine Musik diese Wirkung auf mich. Chillwave wäre der Fachterminus, den sich eine nicht Tribble-affine Person für das Werk von Toro y Moi ausgedacht hat.

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Ein wunderschönes Hybrid beinflusst vom Animal Collective genau so wie von J. Dilla. Indie Psychedelic à la Spiritualized trifft auf Soul, trifft auf Hip Hop und Elektronik-Referenzen. Sehr sanft, sehr verspielt und vielschichtig. Es gibt kaum Schöneres, als an einem sonnigen Spätnachmittag in der Wiese eines Schlosshofes zu liegen, in den Himmel zu schauen und Toro y Moi zu hören.

Toro y Moi hört auf den bürgerlichen Name Chaz Bundick, ist 23 Jahre alt und hat vor einigen Monaten sein Debütalbum "Causers of this" veröffentlicht. Er hat auch ein gutes Gefühl für Namen: "Leave Everywhere" heißt zum Beispiel eine Nummer. Auch "Blessa", erzählt mir Chaz später, handelt vom Vermissen und der Sehnsucht nach Freundin, Eltern, Kindheit. Einer Melange von Dingen, die zu einem unbestimmten Gefühl der Verlorenheit führt.

nataliebrunner

Apropos: Toro y Moi erzählt mir nach seinem Konzert etwas. Normalerweise gleicht es einen Staatsakt, bei Festivals Interviews mit Musikern zu machen. Viele nervöse Menschen schwirren herum und versuchen das Aufeinandertreffen von Journalisten und Musikern zu koordinieren. Beim Exit-Festival hat mir das in 4 Tagen eine Telefonrechnung von 280 Euro beschert, aber ich will nicht vom Thema ablenken. Beim Creepy Teepee geht man zu den Musikern hin und sagt Hallo. Der Backstage ist kein hermetisch abgeriegelter Olymp, bewacht von Muskelpacketen. Bands hängen nach und vor ihrer Show mit dem Publikum ab oder sehen sich andere Acts an. Wie schön das sein kann, ein demokratisches Festival ohne Menschen mit "Ich bin wichtig"-Bändern um Handgelenk oder Hals.

Als Nächstes dran die Band mit dem größten Fanpotential: die Vivian Girls. In Anbetracht der Anzahl der Besucher ist der Mosh Pit gigantisch zu nennen. Es verwundert mich, das es bei dieser Musik überhaupt möglich ist, aber wo ein Wille da auch Partner zum Crowdsurfen.

nataliebrunner

Vivian Girls

Die Vivian Girls singen ihre von melancholischem Sixties-Surf-Rock geprägten Liedchen über das zweite Date und all das, was mit unseren Herzen so passiert, wenn wir uns dem Abenteuer Verliebheit stellen.

Verschiedene Arten von Sehnsucht oder Melancholie scheinen das Thema dieses Nachmittags zu sein. Bei jeder Band tritt die Chimäre mit anderem Gesicht zu Tage. Beim Creepy Teepee sieht man die Bands roh bei hellem Tageslicht. Keine Lichtshow, keine Projektionen, kein Firlefanz, nur die Substanz ist das, was geboten wird. Eine harte Probe. Am Freitag haben es alle Bands, die ich gesehen habe, geschafft.

Creepy Teepee

Warum das Festival Creepy Teepee heißt, habe ich auch herausgefunden. Im hinteren Teil des Burghofes ein Campingplatz. In jedem Zelt ein Monitor mit einem Video. Eine Installation. Kunst und so.

Nach dem ersten Festivaltag komme ich drauf, dass unsere Unterkunft, eine Mischung aus Bates Motel und der Holzhütte aus Evil Dead, auch sehr creepy ist. Es riecht nach Keller. Schnüre sind durch das Zimmer gespannt und es gibt zwei verschiedene Arten von Kakerlaken.

Das Schlimmste: Es fehlt ein Paar der Herrenschuhe, die bei unserer Ankunft unter dem Bett standen. Mein Zimmerpartner beschließt zur Aftershowparty ins Dorfwirtshaus zu gehen, sich das Hotel schön zu trinken. Ich bleibe zu Hause mit Halsweh, schlafe mit Licht an und überlege mir, ob diese Pension ein Partnerbetrieb des Creepy Teepee ist und den Besucherinnen ein Allroundadventure Festival Wochenende bieten will oder ob unser Reiseführer, ein Creepy Teepee Veteran, einen sehr elaborierten Sinn für Humor hat. Am nächsten Morgen sehe ich die verschwundenen Schuhe wieder an den Füßen eines im Garten schlafenden Menschen.

Der Reiseführer besteht darauf Kutna Hora nicht zu verlassen, ohne die zweite große Attraktion des Ortes zu besuchen. Das Beinhaus und dann war mir klar das ein Festival an einem solchen Ort nicht anders als Creepy Teepe heißen kann:

nataliebrunner

Einer der schönsten und schaurigsten Road Trips so far...........