Erstellt am: 14. 7. 2010 - 13:29 Uhr
Der Kampf um die Ausländer
Von Amar Rajković und Iga Niżnik
Julia Spicker
Vom Migranten zum Spitzenkandidaten: Zur Wien-Wahl buhlen die Parteien auch um die Stimmen der Zuwanderer. Die ÖVP setzt dabei auch ein neues Gesicht: Der Schwimmstar Dinko Jukic ersetzt die bisherige Integrationssprecherin Sirvan Ekici.
Im Boxstudio "Athletik Center" stinkt es nach Schweiß. Alle drei Minuten ertönt eine Sirene, die das Ende der Runde signalisieren soll. Gojko "Gogi" Knezević scheint von der ohrenbetäubenden Kulisse nichts mitzubekommen. Der Wiener mit serbischen Wurzeln drischt auf einen Sandsack ein. Der 31-Jährige hat nur ein Ziel: Auch nach einigen Rückschlägen will der österreichische Boxmeister Weltmeister werden.
Außer dem Sandsack und seinem neuen BMW interessiert sich Knezević für nicht besonders viel im Leben. Schon gar nicht für Politik: Die geht ihm "am Arsch" vorbei, wie er gegenüber biber betont.
Dafür interessiert sich die Politik für Knezević. Hinter den Kulissen spielte sich zwischen FPÖ und SPÖ in den vergangenen Monaten ein kleiner Prestigekampf ab, wer den austro-serbischen Boxmeister für sich gewinnen könnte.
Das Kalkül: Wiener mit serbischem Background sind die größte Migrantengruppe – ein Boxer als Werbeträger kann da nur nützen.
HC-Logo auf Boxershort
Den vermeintlichen PR-Coup landete FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Nach einer nächtlichen Lokaltour (Knezević: "Wir haben dabei kein einziges Wort über Politik verloren") stieg Strache als Sponsor des Sportlers ein. Breitenwirksam berichtete Heute über die neue blau-serbische Allianz. Doch lang konnte sich Strache über sein "HC"-Logo auf der Boxershort des Boxers nicht freuen. Seit kurzem prangt dort stattdessen der "Ich bin Wien"-Slogan – eine Initiative der Wiener SPÖ-Jugend.
Wie Knezević seinen Sponsorenwechsel erklärt? "Früher hatte ich ein Identifikationsproblem: Heute weiß ich, dass Wien meine Heimat ist und das zeige ich auch mit dieser Kampagne." Strache sei zwar als Mensch "leiwand", sagt der Boxer, aber nicht als Politiker. Mit Geld habe sein Gesinnungswechsel sicher nichts zu tun, beteuert Knezević gegenüber biber. Vertraute des Boxers wollen das ebenso gehört haben: "Strache hat mehr als die SPÖ gezahlt."
Eugen Prosquill
Gute und böse Ausländer
Am 10. Oktober wird in Wien gewählt. Bereits seit Monaten führen SPÖ und FPÖ einen Parallelwahlkampf um die migrantischen Wähler in der Stadt. Das Gezerre um den in der breiten Öffentlichkeit so gut wie unbekannten Boxer ist nur ein Beispiel, wie Rote und Blaue um die Gunst der Migranten wetteifern. Immerhin haben rund 200.000 Wähler einen ausländischen Background. Angesichts von 1,1 Millionen Wahlberechtigten können die Migranten die Wahl im Herbst entscheidend mitbestimmen. Zum Vergleich: 2005 erreichte die FPÖ bei der Wahl in Wien gerade einmal 100.000 Stimmen.
Bereits seit längerem haben die Freiheitlichen kapiert, dass sie mit einer simplen "Ausländer raus"-Ideologie gerade einmal ihre Kernklientel – grantige und ängstliche Urwiener – mobilisieren können. Als Gegenstrategie suchen sie unter den nicht türkischen und "guten" christlichen Migranten Verbündete. Einige FPÖ-Aktionen fanden unter den Serben, die jahrelang unter der anti-serbischen Stimmung in Österreich gelitten haben, durchaus Anklang. Etwa die Strache-Plakate, wo der FPÖ-Chef eine Brojanica um das Handgelenk trug. Kein anderer Spitzenpolitiker hat die Serben so gezielt umworben. Zudem schürte Strache in der größten Migranten-Community anti-muslimische Ressentiments. Der Spruch "Abendland in Christenhand" zog auch bei serbisch-orthodoxen Wählern. Straches Unterstützung der serbischen Demos in Wien 2008 gegen die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo brachte den Rechtspopulisten zudem jede Menge Kontakte in der Szene ein.
Blauer Theologe
Michael Bigus
Bei einer Benefiz-Gala für Serben im Kosovo lernte Strache damals jenen Mann kennen, der heute für die FPÖ die serbischen Wähler mobilisieren soll. Konstantin Dobrilović, ein junger Deutsch-Serbe, der seit fünf Jahren in Österreich lebt. Seit Ende Mai ist der ehemalige Peek & Cloppenburg-Verkäufer ("Aus der Sockenabteilung", wie Gegner ätzen) Präsident eines blauen Vereins mit dem sperrigen Namen "Christlich-freiheitliche Plattform für ein freies Europa souveräner Völker" (CFP). Das hat es noch nie gegeben: Ein "Ausländer"-Verein, gegründet und finanziert von der FPÖ. Der junge Präsident weiß es seinem Gönner zu danken. "Strache ist ein supernetter Typ, der auf die Menschen zugeht", schwärmt Dobrilović. Der Neo-Wiener ist adrett gekleidet und spricht mit biber lieber Deutsch als Serbisch. Als Gastarbeitersohn in Münster aufgewachsen, habe er sich schon früh für Politik interessiert. Nach der Schule schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch und begann das Theologie-Studium. Was der "FPÖ-Ausländer"-Verein tatsächlich machen wird, klingt noch unausgegoren: "Wir wollen Feste organisieren, Diskussionen durchführen und für all jene offen sein, die für das Christentum und die Tradition in Europa sind." Ob auch Türken und Muslime im Verein willkommen sind? "Wir wollen niemanden ausgrenzen", gibt sich Dobrilović liberal.
Elitärer Schriftführer
Michael Bigus
Der Schriftführer des Vereins, Andrej Bjelić, wirkt weitaus weniger heiter. In Wien als Sohn serbischer Einwanderer geboren, fühlte sich der Politologe aufgrund seiner Herkunft schnell benachteiligt. "Ich war in so genannten Eliteschulen wie im Schottengymnasium. Da hatte man es als Serbe nicht so leicht", schildert uns Bjelić. So wie Dobrilović lernte er während der Demos im Jahr 2008 Strache kennen: Laut dem Schriftführer soll der Verein nicht nur Serben, sondern auch Kroaten, Russen und Griechen ansprechen. Und Türken und Moslems? Nein: "Das beste Beispiel für die Unverträglichkeit des Islam in Europa ist der Konflikt am Balkan. Österreich könnte das gleiche widerfahren."
Serbenverräter
SPÖ
Im serbischen Dachverband Wiens, ein traditionell roter Verein, werden die blauen Annäherungsversuche mehr als kritisch kommentiert. "Strache und Dobrilović sind nicht Serben-Vertreter, sondern Serben-Verräter", kritisierte etwa Darko Miloradović, stellvertretender Vorsitzender des Dachverbandes in der Wiener Zeitung. Ähnliche Worte findet Dino Šoše, Chefredakteur von "Bum", das jeden Monat in einer serbokroatischen und einer türkischen Ausgabe erscheint: "Straches Politik wiederholt die Politik der 90er Jahre von Slobodan Milosević 'Die Serben sind ein himmlisches Volk und sollen die Muslime bekämpfen', lautete damals die Propaganda. Und nun sagt Strache zu den Serben: Ihr seid die besseren Ausländer, die Türken sind es nicht."
Ranghöchster serbischstämmiger Funktionär in der SPÖ ist Nedeljko Bilalić. Der SPÖ-Kommunikationschef glaubt nicht, dass Strache reüssieren wird: "Die FPÖ schürt lediglich nationalistische Gefühle. Wenn das alles ist, was die FPÖ zu bieten hat, wird es den Wählern nicht schwer fallen, eine Entscheidung zu treffen."
Durchs wilde Kurdistan
dasbiber
Laut Umfragen verzeichnet die FPÖ schon erste Erfolge: Laut IFES wählen 27 Prozent der Serben freiheitlich – auch wenn die Mehrheit immer noch bei der SPÖ ihr Kreuz macht. Zudem pirschen sich die Blauen jetzt langsam auch an die in Wien lebenden Kurden heran. Auch die Kurden wählen in der Regel links. Dementsprechend vorsichtig sind die blauen Flirts: Im Hintergrund, behutsam, vom Mainstream ungesehen. Aber dafür umso symbolischer. Ein Auszug aus der Chronologie des blauen Werbens: Ende April 2009 wurde im Wiener Gemeinderat auf FPÖ-Initiative der Kulturaustausch mit Diyarbakir beschlossen, der kurdischen "Hauptstadt" in der Osttürkei. Kurz vor Weihnachten protestierte der Gemeinderat – wieder auf Antrag der Wiener Freiheitlichen – gegen das Verbot der Kurdenpartei DTP in der Türkei. Ende Mai unternahm eine FPÖ-Delegation eine Reise in die kurdischen Gebiete der Türkei, mit FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky in durchaus hochkarätiger Besetzung. Seit 2008 reisen Mitglieder der FPÖ bei den kurdischen Neujahresfeiern ("Newros") im türkischen Diyarbakir, 2009 sogar auf offizielle Einladung mit Sitz auf der Ehrentribüne.
Keine rechte Strategie ...
Gelten nach den Serben und Christen nun auch die Kurden als "bessere Ausländer", die man gegen traditionelle Türken ausspielen will? Immerhin sind sie eine potente Wählergruppe. Schätzungen zufolge ist jeder dritte "Türke" eigentlich ein Kurde. So käme die Zahl der wahlberechtigten Kurden in Wien auf etwa 10.000. Die FPÖ verwehrt sich aber gegen wahltaktisches Kalkül. FPÖ-Stadtrat Johann Herzog: "Kurdistan ist ein besetztes Land. Nur: Die Kurden sind durch die Bank links orientiert. Die haben mit uns sicher nichts am Hut. Aber es geht um die Freiheit, und Freiheit ist unteilbar. Meine Freiheit gehört verteidigt und auch die Freiheit der Kurden."
FPÖ-Integrationsreferent Martin Hobek, beim biber-Gespräch erst seit einigen Tagen aus "Kurdistan" zurückgekehrt, meint: "Die FPÖ interessiert sich für die Serben, bei den Kurden weiß ich nicht. Das hat sich spontan ergeben. Ich persönlich war in den letzten drei Jahren vier Mal unten, die Aktivitäten gehen auf mein persönliches Interesse zurück." Er unterstreicht zwar seine Sympathien für die Kurden – "Die Kurden haben in ihrer Kultur viele Elemente aus der vorislamischen Zeit. Sie bauen keine Moscheen, die Natur ist ihnen sehr wichtig, sie beobachten die Gestirne. Frauen sind gleichberechtigt und Alkohol ist in Maßen erlaubt" – aber das habe nichts mit der Partei zu tun.
FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky betont dennoch mit Verve, wie gut man es in der FPÖ mit den Kurden meint: "Das ist der große Vorteil der FPÖ: Wir können die Anliegen der Kurden besser vertreten, weil wir keine Türken in unseren Reihen haben." Dass die FPÖ mit diesen Aktionen bei den Kurden in Österreich anklopfe, "kann man so nicht sagen", meint Vilimsky. "Da steckt keine politische Strategie dahinter."
APA
…dafür rechte Türöffner
Kurdische Vereine in Österreich sehen das etwas anders. "Die FPÖ versucht seit Jahren, mit der Community in Kontakt zu treten.", sagt Hüseyin Akmaz. Er ist Vorsitzender von "Feykom", des Dachverbandes der Kurdischen Vereine in Österreich. "Es gab seitens der FPÖ vor einem Jahr zwei bis drei Versuche, mit uns zu reden." Konkrete Angebote habe man nicht gemacht, aber "sie haben gesagt, dass sie Kontakt halten möchten."
Wie biber erfuhr, kamen die blauen Besucher in Begleitung von Herbert Fritz. Fritz ist ein freundlicher Herr, Doktor der Rechtswissenschaften. Er ist bei der Burschenschaft Olympia, vom Österreichischen Dokumentationsarchiv als "rechtsextrem" eingestuft und gilt unter Insidern als Türöffner der FPÖ zur kurdischen Community. Fritz beschäftigt sich mehr als sein halbes Leben mit der Kurdenfrage: 1974 reiste er das erste Mal in kurdisches Gebiet, traf 1990 Abdullah Öcalan und veröffentlichte 2004 ein Buch, "Die kurdische Tragödie". "Ich bin den Kurden verpflichtet, sie haben mich nobelst behandelt", erinnert er sich an 1974. "Aber ich habe auch kurdische Freunde hier, auch in der Feykom. Ich habe Verständnis für die Schwierigkeiten der Kurden, aber ich handle nie im Namen der FPÖ, ich bin in meinem Namen unterwegs." Man merkt, dass sein Engagement aufrichtig ist. Welche Rolle spielt Fritz also in der FPÖ? "Schreiben Sie: Er versucht, für die FPÖ Kontakte zu den Kurden herzustellen."
In der FPÖ will man davon nichts wissen. Integrationsreferent Hobek: "Ich kenne ihn nur flüchtig. Er hat einige Bekannte in der FPÖ. Aber was er tut, hat nichts mit der FPÖ zu tun", sagt etwa Integrationsreferent Hobek. Mag sein: Aber immerhin war Fritz Lehrer von FPÖ-Generalsekretär Vilimsky an der Handelsschule.
Unterdrückte Arier
Doch wie kommt eine rechte Partei eigentlich auf die Idee, auf der einen Seite einen christlichen Verein zu gründen, auf der anderen aber für kurdische Muslime einzutreten – oder zumindest in ihre Richtung Aktionismus zu betreiben?
"Wir sind eine national denkende Partei. Die Kurden sind das größte Volk ohne Staat", verweist Vilimsky auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Also doch nicht reines Wahlkalkül? Soziologe Kenan Güngör glaubt, dass es bei pro-kurdischen Aktionen auch um "die antitürkischen Ressentiments in der FPÖ" geht. "Die türkischen Verfehlungen in der Kurdenpolitik liefern der FPÖ eine begründete emotionale Argumentationsbasis wenn es darum geht, eine antitürkische Haltung einzunehmen."
Lucia Bartl
Ein Beobachter der Szene formuliert das so: "Für das rechte Lager sind die Kurden von Türken unterdrückte Arier, die man befreien muss."
Einige wissen anscheinend mit der Arier-Erzählung was anzufangen. Oder zumindest stellen sie die nationale Frage über alles. Einer von ihnen ist Herr Murat (62), der in Wirklichkeit anders heißt. Für den Unternehmer, der seit 1974 in Österreich lebt, ist klar: "Die FPÖ macht die bessere Kurdenpolitik. Die SPÖ hat uns im Stich gelassen. Die FPÖ ist die einzige Kraft, die keine Angst vor den Türken hat." Alle kurdischen Bekannten von Herrn Murat wählen deswegen die FPÖ, er selbst wolle im Wahlkampf die Werbetrommel für die FPÖ rühren. Mit Strache hat er schon gesprochen, ein runder Tisch sei geplant.
Laut Umfragen wählen nur zwei Prozent der Türken die FPÖ – der Anteil der Kurdenstimmen dürfte verschwindend gering sein.
Fescher Mann
Was auch immer hinter den Kulissen wirklich vor sich gehen mag, Dachverbandschef Akmaz ist sich sicher: "Für die Kurden in Österreich ist die FPÖ kein Angebot." Der türkische Botschafter Kadri Ecvet Tezcan hält HC Strache zwar für einen "feschen Mann", aber er glaubt nicht, dass er von Türken oder Kurden gewählt wird. "Ich nehme an, dass es sich bei diesen Wählern um junge Arbeitslose handelt, denen die Perspektive fehlt. Unsere Leute sind schließlich nicht dumm! Sie wissen wofür er steht."
Zum Beispiel für den EU-Nichtbeitritt – der sowohl von Türken, als auch Kurden gewünscht wird. Politologe Thomas Schmidinger glaubt daher nicht, dass die blauen Flirts Früchte tragen: "Die FPÖ beschäftigt sich nicht mit den wirklichen Problemen der Migranten, Sie setzt auf Ressentiments von Gruppen, die in ethnische Konflikte involviert sind. Das ist ein gefährliches Spiel, weil es die Konflikte ethnisiert und importiert und die wahren Probleme überdeckt."
Den Kurden dürfte das blaue Werben dennoch nutzen. Es wird nun leichter, das eine oder andere Anliegen gegenüber der traditionellen Unterstützerin SPÖ mit neuem Nachdruck zu deponieren.