Erstellt am: 13. 6. 2010 - 12:04 Uhr
Ein Bild von einem Mann
Mehr DVD-Tipps
Die karmische Reinheit meiner DVD-Regale ist von größter Wichtigkeit. Wenn man seit über einem Jahrzehnt streckenweise manisch, dann wieder etwas gelassener sammelt, dann, nun ja, sammelt sich da so einiges an, zu dem man keinen Bezug mehr herstellen will, ja, für das man sich sogar etwas schämt. Aber wir treiben schließlich nur durch die Zeit, die wir haben; und wer sagt, dass ich in fünf Jahren nicht froh bin, mir damals Wild Wild West gekauft zu haben? Erm. Nun ja: man muss ja nicht ganz unten anfangen. Tatsache ist, dass einem so eine Sammlung ja viel erzählt: auch deshalb bin ich nervös, wenn mich jemand zum ersten Mal in meiner Wohnung besucht und dann überdurchschnittlich viel Zeit dafür aufwendet, meine penibel arrangierten und digital katalogisierten Filme zu betrachten. Allfällig wird man dann angesprochen, auf die Schönheiten, aber auch auf die unvermeidbaren Hässlichkeiten, die dort so nebeneinander stehen.
And the road leads to nowhere
Criterion Collection
blackholereviews.blogspot.com
Universal
www.8tung.at
Eine Zeitlang habe ich versucht, aus einem filmhistorischen Verlangen heraus, neben jedes Original immer auch die diversen Neuverfilmungen zu stellen. Einfach um vergleichen zu können; und natürlich weil die verschiedenen Versionen immer auch animieren, neue Querbezüge herzustellen, einen Stoff, den man meinte in- und auswendig zu kennen, neu zu denken. Eine der aufregendsten diesbezüglichen Entdeckungsreisen habe ich angetreten, als ich anlässlich der passablen, aber dennoch unnötigen Neuverfilmung von The Last House of the Left beschlossen habe, wieder einmal in Wes Cravens zwar überschätztes, kulturhistorisch aber ungemein wertvolles, weil so unmittelbar grimmiges Stück Terrorkino hinein zu schauen.
„And the Road leads to nowhere“, dieser unheimliche Titel-Song von David Hess, der auch eine der Hauptrollen spielt, den summte ich noch tagelang vor mich her. Eigentlich aber musste ich die Erzählung von einem unschuldigen Mädchen, das eines Tages von einer gefühlsräuberischen Meute aufgegriffen, gequält, schlussendlich ermordet wird, woraufhin ihre Eltern zum Racheakt ausholen, zurück verfolgen; und zwar hin zu Ingmar Bergmans Die Jungfrauenquelle: basierend auf einer Legende aus dem 14. Jahrhundert, erzählt der schwedische Edel-Autor darin von einem reichen Bauernmädchen, das von drei Burschen vergewaltigt und ermordet wird. Genau diese Querlese ist einer der für mich mittlerweile unschätzbar gewordenen Vorteile der DVD-Sichtung.
www.brightestyoungthings.com
Die Jungfrauenquelle
Jahr: 1960
Regie: Ingmar Bergman
Darsteller: Max von Sydow, Brigitta Valberg, Brigitta Pettersson
Fassung: In Deutschland ist der Film nur in einer mageren Edition erhältlich, deren Bild- und Tonqualität zudem zu wünschen lassen. Es bleiben zwei Optionen: entweder man greift zur britischen Scheibe oder, das wäre meine Empfehlung, legt noch ein paar Euro obendrauf und besorgt sich die DVD aus den USA. Dort ist "The Virgin Spring" in der Criterion Collection in hervorragender Qualität und netten Extras (wie zum Beispiel Interviews) erschienen.
The Last House on the Left
Jahr: 1972
Regie: Was Craven
Darsteller: Sandra Cassel, Lucy Grantham, David Hess
Fassung: Auf keinen Fall eine in Deutschland produzierte DVD des Films kaufen, es handelt sich dabei ausschließlich um die gekürzte Version (außer man das "Glück" und erwischt eines der zirkulierenden Bootlegs). In Großbritannien ist vor einigen Jahren nach langem Warten die "Uncut-Edition" des Films erschienen, der als einer der so genannten "Video Nasties" Mitte der Achtziger Jahre auf den Index gesetzt wurde. Sie umfasst insgesamt drei DVDs, Unmengen an Bonusmaterial und kostet mittlerweile nicht einmal mehr 20 Euro!
The Last House on the Left
Jahr: 2009
Regie: Dennis Illiadis
Darsteller: Spencer Treat Clarks, Joshua Cox, Garret Dillahunt
Fassung: In Europa kommen viele jüngere US-Horrorfilme in einer leicht gekürzten Fassung in die Kinos, um Probleme mit den Zensurstellen zu vermeiden oder eine kommerziell wichtige niedrigere Altersfreigabe sicherzustellen. So auch geschehen mit "The Last House on the Left", der Neuverfilmung, die einer soliden "Extended Version" auf DVD und bluray erhältlich ist. Die Extras sind spärlich.
Die Zeit im Bild von Dorian Gray
Aber, wie regelmäßig beim Schreiben dieser Kolumne, ufere ich aus, docke an, wo ich eigentlich gar nicht hinwollte. Irgendwie stimmt der eingeschlagene Weg aber schon, denn das Thema von Original Vs. Remake ist etabliert. Nun muss an dieser Stelle vermutlich nicht darauf hingewiesen werden, dass die allerwenigsten Neuverfilmungen es aufnehmen können mit ihrem Original: bei Buch-Adaptionen sieht die Sache aber nochmals ganz anders aus. Nicht selten entstehen aus ein und derselben Vorlage ein Dutzend vollkommen verschiedener Filme, ganz einfach, da so ein Roman für gewöhnlich einen breiteren Interpretationsspielraum erlaubt als ein zweistündiges Kinowerk. Oscar Wildes „The Picture of Dorian Gray“ ist gar nicht mal so oft adaptiert worden, wie ich ursprünglich gedacht habe. Freilich, würde man sich die Mühe machen und die Evolution der vom britischen Ur-Dandy in so flamboyanter Weise vorgetragenen Themen von ewiger Jugend und verlorener Unschuld, ganz zu schweigen von der surrenden Metapher einer im Porträtbild eingesperrten Seele, nachzuzeichnen, ja dann könnte man vermutlich ein Buch darüber verfassen. Einen Titel hätte ich auch schon: "The Pictures of The Picture of Dorian Gray“. Ha! Ich werde es trotzdem nicht schreiben, begnüge mich hier mit dem Hinweis auf zwei ausgesprochen interessante Adaptionen.
Dorian Dork, 2009
www.femalefirst.co.uk
Filmladen
Halt, davor muss ich ja noch ganz kurz die Neufassung kaputt hauen: der Brite Oliver Parker, verantwortlich auch für die unsägliche Wiederbelebung der St. Trinian’s-Schulmädchenklamotten, begreift Wildes einzigen Roman als Aufforderung für ein schwülstiges Diorama vom spätviktorianischen England, in dem minütlich Pferdekarossen über dunkel glänzendes Pflaster rasen, in dem die schicken Gasflammen im Wind flackern, als gäbe es kein Morgen mehr. Weniger beeindruckend als dieser „pomp and circumstance without brains“ ist, dass Parker die pointiert formulierte und nach vielen Seiten geöffnete Obduktion des Leichnams der oberen Zehntausend – offenbar da er seinem Zielpublikum nicht mehr zutraut – herunter korrigiert auf eine moralinsaure Kostümoper: Colin Firth stolpert als viel zu betont aufgegockelter Hedonisten-Lord Henry mit merklich aufgeklebtem Bart durch all den Zierrat, während das ehemalige Boyband-Mitglied und spätere Prinz Kaspian von Narnia, Ben Barnes, als Dorian Gray den Charme eines Staubsaugervertreters versprüht. Damit noch nicht genug, verkünden die unfassbar schlechten Softsex-Montagesequenzen (die Orgien behaupten, wo keine zu finden sind) lautstark die neue Prüderie der Miley Cyrus- und Twilight-Generation: Kerzenschein, Brokatteppiche und Slow-Mo-Gestöhne als exzessiver Gipfelpunkt, das erinnert mich eher an die softpornografischen Weichzeichnerepen, die ich als jugendlicher Fratz immer spätnachts am Wohnzimmerfernseher verfolgt habe.
Christian Fuchs ordnet die Neuverfilmung dem Sommerloch zu.
Dorian Gray
Jahr: 2009
Regie: Oliver Parker
Darsteller: Ben Barnes, Colin Firth, Ben Chaplin
Fassung: In Großbritannien ist der Film schon vor längerer Zeit in den Kinos gelaufen, demnach lässt sich dort die DVD auch zum Bargain Price von unter 10 Euro bestellen. Bild und Ton sind gut, Extras mangelhaft.
Dorian Dandy, 1945
Warner
Warner
Also: zurück in die Zukunft der Vergangenheit. Hin zum soliden Handwerker (und möglichen Visionär; muss mir erst noch mehr von ihm ansehen) Albert Lewin, der Wildes Stoff 1945 für die ganz große Leinwand adaptiert hat. Das Ergebnis ist anständig im doppelten Sinn, da damals natürlich keiner ernsthaft gewagt hätte, die vom Autor mit doppeldeutigen Wortspielereien im Abstrakten konkretisierten Schweinigeleien wirklich darzustellen. George Sanders, der russische Emigrant in Hollywood, der für seinen sardonischen Theaterkritiker in „All about Eve“ einen Oscar einkassiert hat, ist als Lord Henry, der „die aristokratische Kunst perfektioniert hat, absolut nichts zu tun“, eine Offenbarung. Auf der anderen Seite des Leidenschafts-Duos sieht es hingegen weniger rosig aus: dass Lewin den irischen Schauspieler Hurd Hatfield, der zwar mit seiner stromlinienförmigen Physiognomie perfekt auf die Rolle des Dorian passt, diesen aber fürchterlich kühl anlegt, war, man kann es nicht anders sagen, eine Fehlbesetzung.
chichestercinema.org
Der Regisseur, ein Kenner des Buchs und daher auch Drehbuchautor, nimmt viele von Lord Henrys sardonischen Monologen, die üblicherweise in keiner Filmversion auftauchen, da sie während für die Resthandlung unbedeutenden Dinner-Sequenzen fallen, mit hinein ins Geschehen. Allein schon Sanders dabei zuzusehen, wie er Wildes geschliffene Worte aus seinem spitzen Mund heraus zwirbelt, ist ein großes Vergnügen. Lewin versteht es darüber hinaus hervorragend, die Themen des Romans visuell zu arrangieren und auch zu variieren. Gleich in einer der ersten Sequenzen etwa verfolgt Lord Henry einen seltenen Schmetterling durch das Maler-Atelier: nachdem er eine Schüssel mit Wasser als Köder vorbereitet hat und sich das Insekt darauf niederlässt, stülpt er seinen Zylinder darüber. Das Tier stürzt beim Versuch davon zu flattern ins Nass, kommt darin um und wird von Lord Henry, ein Sammler von Schönheiten (siehe Dorian Gray), mit kleinen Nadeln auf einem Blatt Papier arretiert und seiner Kollekton einverleibt. Wenig später, als Dorian in einem verrauchten Lokal zum ersten Mal auf seine erste und einzige Liebe Sibyl Vane (in einer ihrer frühesten Rollen: eine betörend unschuldige Angela Lansbury) trifft, wiederholt sich das Thema: sie singt auf der Bühne vom „little yellow bird“, der tagein, tagaus in seinem goldenen Käfig in absoluter Sicherheit zubringen muss.
Warner
Die Vierziger Jahre waren in Hollywood unter anderem dominiert von schauergotischen Stoffen wie dem von „Dorian Gray“: diese Wilde-Verfilmung war allerdings, im Gegensatz etwa zu den von Val Lewton produzierten Meisterwerken des psychologischen Horrorfilms oder auch zu John Brahms formidablen Schauerstücken, eine ungemein teure Prestigeproduktion, was sich unter anderem in den gewaltigen Sets ausdrückt. Zudem setzte Lewin zwecks Intensitätssteigerung der fantastischen Elemente auf einen damals noch sündhaft teuren Dreistreifen-Technicolor-Film, mit dem er einzig und allein das Bildnis filmt: Dorians mit der Zeit und mit den Sünden alterndes und verwitterndes Porträt bekommt in den schreienden Farben, die das ruhige Schwarz/Weiß immer wieder durchbrechen, eine tatsächlich metaphysische Qualität. Insgesamt leidet „The Picture of Dorian Gray“ dann doch unter seiner literarischen Treue, wirkt zu oft steif und unbeweglich, als dass er die Süffisanz und Weisheit des Romans transportieren könnte.
Das Bildnis von Dorian Gray
Jahr: 1945
Regie: Albert Lewin
Darsteller: George Sanders, Hurd Hatfield, Angela Lansbury
Fassung: Die deutsche Edition von Warner hat trotz Neuauflage immer noch schlechte Bild- und Tonqualität, zudem fehlen Extras vollkommen. Immer noch besser als in Großbritannien, dort ist dieser Klassiker nämlich einfach gar nicht erst erschienen. Für Fans bleibt nur mehr der transatlantische Griff: dort hat Warner diesem Film dieselbe Liebe zuteil werden lassen, die man vom Label gewohnt ist, inklusive Kurzfilme und Cartoons.
Dorian Dandelion, 1970
Raro Video
Vielleicht also ist „Il Dio chiamato Dorian“ gerade deshalb die jedenfalls für mich aufregendste und beste Verfilmung des Stoffs, da sie sich nicht von der Vorlage gängeln lässt, sondern diese als Unter- und Hintergrund für einen somnambulen Unsittenritt im swingenden London der ausgehenden Sechziger- und aufkeimenden Siebziger-Jahre nimmt. Bestimmt von der exzessiven Expressivität, die dem italienischen Genrekino in dieser Zeit zu Eigen war, eröffnet Massimo Dallamanos Adaption (im Übrigen wie auch die aktuelle Verfilmung) mit einer Vorschau auf die essenzielle Konfrontation in der Mitte des Films, während der Dorian seinen Maler (und damit auch seinen Schöpfer) erdolcht: aus der Ich-Perspektive gefilmt rasen die Blut verschmierten Hände dann durch sein gar nicht mehr aristokratisches, vielmehr schickes, mit diversen Kunstgegenständen verziertes Haus hin zum Waschbecken. Man weiß also schon, was auf einen zukommt, selbst wenn der ewige Helmut Berger (hier zu sehen vielleicht in der Rolle seines Lebens) nach dem nächsten Schnitt frisch, frei und fröhlich mit seinem roten Oldtimer durch London rast, die blonden Haare im Wind wehen. Herbert Lom, tschechischer Edelmime, gibt den verzückten, schönheitssüchtigen Lord Henry mit Schwabbelbauch und Halbglatze, der diesen Dorian unter anderem dabei beobachtet, wie er sich in knapper Badehose duscht.
moviegoods.com
Überhaupt ist Dallamanos Adaption hitzköpfig wie sonst was: aufgeheizt von den Mythen der sexuellen Befreiung, die sich ohne Wimpernzucken mit Wildes damals schon 80 Jahre alten Text kurzschließen lassen, wird die neue Lust an der Selbstdarstellung ebenso demontiert wie der altmodisch-aristokratische Hedonismus. Nicht nur inhaltlich und schauspielerisch, auch visuell ist „Il dio chiamato Dorian“ ein Freudenfest: mit sanftem Italopop unterspielte Montagesequenzen zeigen den Jüngling bei seinem Sündenfall, wie er am Strand mit Supermodels badet, die Fotos davon auf dem Titelbild einer Modegazette landen; wie er in Diskotheken mit Tanzmäusen schwoft, dass sich die Balken biegen, schließlich im Bauch einer Yacht von Luxus-Frauen verführt wird, die sich dann allerdings selber lieben, während Dorian sich in der Dusche vom Kunst-Mäzen Lord Henry einseifen lässt. So prall, geil und voll ist dieser Film, dass auch Oscar selbst eine helle Freude damit gehabt hätte.
Arthaus
Il Dio chiamato Dorian
Jahr: 1970
Regie: Massimo Dallamano
Darsteller: Helmut Berger, Herbert Lom, Richard Todd, Margaret Lee
Fassung: Die deutsche DVD von "Il Dio chiamato Dorian" beinhaltet leider nur die deutschsprachige Tonspur des englischsprachigen Films, darüber hinaus aber immerhin noch ein schönes Interview mit Berger (in dem es allerdings nicht um den Film geht). Empfehlenswert ist hingegen die Fassung, die das italienische Label Raro Video heraus gegeben hat: zwar finden sich darauf keinerlei Extras, aber Bild und Ton (in italienisch und englisch) können sich dafür sehen lassen. Dieser Film gehört jedenfalls in jede Sammlung: Meisterwerksalarm!
Gerade im direkten Vergleich mit der Neufassung könnte man nostalgisch werden: wo damals die Ausschreitung und der Exzess gleichzeitig abgefeiert und demontiert worden sind, fährt der „Dorian“ in der Neufassung aufgrund seiner unmoralischen Wesenheit direkt in die Hölle. Endet Wildes Roman mit der unabdingbaren Selbstauslöschung eines Wesens, das seelenlos seinen Körper verschwendet, imaginiert sich Oliver Parker dummdödelig eine höhere Entität herbei, die im sehr christlichen Sinn bestraft. Leser dieser Kolumne wissen jetzt hoffentlich, wozu sie besser greifen sollten. Und überhaupt: was soll nach einem Helmut Berger, dessen Leben erstaunliche Parallelen aufweist zu Wildes Geschichte, als Dorian Gray noch kommen?