Erstellt am: 10. 6. 2010 - 13:06 Uhr
Hallo Sommerloch
Machen wir uns nichts vor, auf Sensationen und Aufregungen wartet man im Kinoprogramm der nächsten Wochen vergeblich.
Dabei ist nicht bloß die übliche Sommerflaute schuld. Sondern natürlich ein ganz bestimmtes Sportereignis, dass die große Welt und selbstverständlich auch das kleine Österreich im Bann halten wird.
Die heimischen Verleiher strecken vor König Fußball die Waffen. Und schicken, weil sie wahrscheinlich nicht einmal ganz unberechtigt in Schubladen und Schablonen denken, gerade noch ein paar stromlinienförmige Romantic Comedies ins Rennen, im Glauben, bei WM-frustrierten Frauen punkten zu können.
Auch die Programmkinos scheinen eine Nische zu wittern und setzen auf cineastisches Kunsthandwerk und gediegene Arthouse-Ware, in der Hoffnung feinsinnige Paare oder Einzelpersonen anzulocken, die das Match beim Wirten ums Eck eher abturnend finden.
Nervenkitzeltechnisch läuft dagegen ganz wenig Neues auf den Leinwänden. Gerade mal das filmische Finale von Stieg Larssons Millennium-Trilogie ist seit letzter Woche zu sehen.
Polyfilm
Nach der "Verblendung" und der "Verdammnis" folgt die "Vergebung", wobei der schwedische Originaltitel "Luftslottet som sprängdes" lautmalerisch mehr zu bieten hat als die knallige deutsche Kurzvariante.
Erneut treffen sie also auf der Leinwand wieder aufeinander, die beiden Antihelden des posthum so unglaublich erfolgreichen Krimiautors Larsson. Der Stockholmer Enthüllungsjournalist Mikael Blomkvist und die Hackerin Lisbeth Salander müssen zum dritten und letztem Mal gegen eine konspirative Übermacht antreten, die in Prostitution, Frauenhandel, Entführung und Mord verwickelt ist.
Neueinsteiger, die weder die Bücher von Stieg Larsson kennen noch die beiden vorhergehenden Filme, werden sich schwer tun.
Während "Verblendung" auch für Uneingeweihte als düsterer Euro-Thriller funktioniert hat, schließt "Vergebung" einfach nahtlos und ohne erklärende Rückblenden an den Teil Zwei an.
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Schwer verletzt liegt Lisbeth Salander im Spital. Während ihre Wunden aus dem Vorgängerfilm heilen, zieht sich gleichzeitig eine Schlinge der Verschwörung um ihren Hals. Bis in höchste Kreise der schwedischen Regierung reicht das Netzwerk einer umstürzlerischen Gruppe, in die auch Lisbeths sinistrer Vater verstrickt war.
Mikael Blomkvist (Michael Nyqvist), der nicht viel Zeit hat, um Licht in den gefährlichen Fall zu bringen, erweist sich in dieser Leinwandversion endgültig als gute Seele mit gewaltigem Langeweiler-Faktor. Wie schon in "Verdammnis" hängt der ganze Film an Noomi Rapace, die abermals als toughe Lisbeth brilliert. Auch wenn ihr Irokesen-Punklook, den sie sich als Protest gegen die Staatsmacht zulegt, etwas peinlich wirkt.
Aber überhaupt der ganze Film ist nicht frei von ungewollter Komik. Eine strohblonde Killermaschine, die durchs Bild stolpert, wirkt wie aus einem Roger Moore-Bondstreifen entlaufen. Die finsteren alten Fädenzieher gehorchen einschlägigen Bösewicht-Stereotypen.
Die Ästhetik wiederum, der Regisseur Daniel Alfredson vertraut, erinnert an mittelprächtige TV-Krimis. Reines Fankino für die Larrson-Community only also, aber die ist ja ohnehin riesig.
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Auf Gänsehaut legt es auch eine andere Romanverfilmung an, wobei die Vorlage hochkarätiger kaum sein könnte.
Mr. Oscar Wilde, der wohl legendärste Dandy der Weltliteratur, der Großmeister des Ästhetizismus und Prediger des schönen Scheins, hat seit seinem Tod im Jahr 1900 unzählige Generationen beeinflusst, von Autoren hin zu Musikern und Regisseuren. 170 Verfilmungen, die auf Vorlagen von Wilde basieren, zählt die Internet-Movie- Database.
Die allerneueste Leinwandadaption kommt von einem gewissen Oliver Parker. Der britische Regiehandwerker versucht sich an einem der berühmtesten Werke Oscar Wildes. "The Picture Of Dorian Gray", das ist ein Büchlein, das zigtausenden Schülern wohl aus dem Englischunterricht in Erinnerung ist, wo es wie die Schriften des ebenso radikalen Edgar Allan Poe oft unterm Wert verramscht wurde.
In Wahrheit verbirgt sich hinter der Geschichte des jungen Mannes, der in die Londoner Gesellschaft des späten 19. Jahrhunderts eintaucht und dort seine Seele verliert, ein dekadentes Manifest. Dorian Gray, der eitle Sünder, der ein Gemälde von sich besitzt, dass an seiner Stelle altert und verfällt, darf als Ikone aller genußsüchtigen Hedonisten und selbstverliebten Pop-Poseure betrachtet werden.
Filmladen
Diese zeitgemäße Brisanz des Stoffs lässt sich in "Dorian Gray" anno Zweitausendzehn nicht einmal erahnen.
Ausgerechnet in der heutigen Botox- und Dauerparty-Ära, wo einen der alles regierende Jugendkult beinahe anspringt und sogar jeder passable Burgtheaterregisseur ein visionäres Update aushecken würde, fällt Oliver Parker nur bildungsbürgerliche Fadesse ein. Schlimmer als die biedere Schulfilm-Inszenierung sind nur die eingestreuten Horror- und Sexszenen in ihrer Pseudo-Gewagtheit.
Mit dem uncharismatischen "Prinz Narnia"-Darsteller Ben Barnes ist auch die Titelrolle fundamental fehlbesetzt. Da helfen auch Charaktermimen wie der famose Colin Firth wenig. Der Film verschenkt sein Thema des gnadenlosen Narzismuss und hemmungslosen Exzesses auf allen Ebenen.
Dass vergangene Dorian Gray-Verfilmungen zumindest mit sinistren Moralstudien und schwülstigem Trash punkten konnten, davon erzählt euch mein Kollege Markus Keuschnigg in seiner DVD-Kolumne.
Die kleinen Silberscheiben sind ohnehin die Rettung in der Kinowüste dieses Monats. Sommerloch my ass. Oder so ähnlich.
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