Erstellt am: 7. 6. 2010 - 14:23 Uhr
Träume und Tragödien
- Martin Blumenaus WM Journal
- Begleitliteratur zur Fußball WM. Teil eins: Allgemeines.
Dass sich über den Fußball ein Land, seine Gesellschaft und Politik erklären lässt, das wissen wir nicht erst, seitdem Franklin Foer, Simon Kuper und andere Standardwerke verfasst haben. Seit sich in den 90er-Jahren zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass Sport mit Politik eben doch verwoben ist, genauso wie mit Ökonomie, Kunst und Gesellschaft, schießt die Welterklärungsliteratur, die sich am Fußball orientiert, aus dem Boden. Mal mehr, mal weniger gelungen, mal anekdotisch, mal wissenschaftlich. Hier geht’s jetzt um Literatur, die uns Afrika erklärt - genauer: Afrika südlich der Sahara.
Thilo Thielke: Traumfußball – Geschichten aus Afrika
Verlag Die Werkstatt
Spiegel-Reporter Thilo Thielke legt ein ausführliches Kompendium von Reisereportagen mit vielen schönen Farbfotos vor. Thielke hat jahrelang für den Spiegel aus Kenia berichtet und er bereist den Kontinent auf der Suche nach Geschichten, die mit Fußball zu tun haben. Da muss er nicht lange suchen: überall in Afrika spielt Fußball eine Rolle. In seinem Buch finden sich Reportagen aus dem Bürgerkriegsland Somalia, aus der Township Südafrikas, vom FC Bayern Fanclub in Kampala, Uganda und von Hexenmeistern und Magiern überall auf dem Kontinent.
Zwar beschreibt Thielke durchaus Hintergründe und Machtstrukturen Afrikas, leider bleibt sein Blick dabei aber ein europäischer. Ohne ihm Ignoranz oder gar Rassismus unterstellen zu wollen: im Mittelpunkt seiner Geschichten stehen oft deutsche Trainer wie Winnie Schäfer, Berti Vogts und Dietmar Demuth, selten begegnet er Afrikanern auf Augenhöhe. Außerdem bleibt er mit seinen Reportagen strikt in Afrika verhaftet. Die kolonialen und neokolonialen Verstrickungen, die Abhängigkeiten ökonomischer und auch fußballerischer Natur werden nur am Rande erwähnt.
Das ist schade, denn die ausgewählten Reportagen beleuchten viele interessante Aspekte des Kontinents. Aber es bleibt ein Gefühl von Überlegenheit zwischen den Zeilen stehen, das wenig Raum für Entwicklung lässt und das kann einem mit der Zeit schon auf die Nerven gehen.
Christian Ewers: Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weißer
Gütersloher Verlagshaus
Ganz anders Christian Ewers, Reporter beim Hamburger Konkurrenzblatt Stern. Sein Ansatz wird schon im Titel klar: Ich werde rennen wie ein Schwarzer um zu leben wie ein Weißer sind die Worte, mit denen sich Samuel Eto´o 2004 bei seiner Präsentation als Spieler des FC Barcelona vorgestellt hat - und sie beleuchten "Die Tragödie des afrikanischen Fußballs", wie der Untertitel heißt, in einem ganz anderen Licht. Nämlich ohne das, was hinter den afrikanischen Grenzen passiert, ohne den Neokolonialismus und ökonomische Abhängigkeiten, ohne Migration, Menschen- und Fußballerhandel auszusparen. Das Herz des Fußballs, schreibt Ewers, schlägt in Afrika, doch er erzählt nicht nur von den Sehnsüchten und Träumen der Menschen dort, sondern auch von der Realität im Leben der Afrikaner - in Afrika und im europäischen Exil.
Ewers Buch ist dabei weder eine flammende Anklage, noch versinkt es in Hoffnungslosigkeit. Auch er schildert den Kontinent mit Reportagen aus Fußballsicht, spart die weltpolitischen und -ökonomischen Zusammenhänge aber nicht aus, die in die Realität des afrikanischen Fußballs genauso mit hineinspielen wie Voodoozauber, Kriminalität oder Korruption. Dabei ist "Ich werde rennen wie ein Schwarzer um zu leben wie ein Weißer" deutlich kürzer als das Buch von Thielke: nur 160 beschriebene Seiten aufgeteilt in acht Reportagen und sechs Portraits. Hier aber eben nicht nur vom Sozialprojekt im Township und vom an Korruption und Selbstherrlichkeit der Funktionäre scheiternden Traditionsclub aus Ghana, sondern auch unterwegs mit einem Spielerberater in Belgien oder von einem Fußballplatz in Paris, wo gescheiterte und gestrandete afrikanische Profis um ihre letzte Chance in Europa kämpfen. Interviews mit Samue Eto'o und Ojokojo Torunarigha, dem ersten Afrikaner, der für einen ostdeutschen Fußballclub spielte, runden die Themen ab.
Natürlich kann man in einem solchen Umfang die Themen des Kontinents nicht umfassend abhandeln, sondern nur anreißen. Zwar liest man überall, dass diese Fußball-WM für ganz Afrika eine Heim-WM ist (zumindest für das Afrika südlich der Sahara), doch die afrikanische Geschichte, Gegenwart und Tragödie in einem dünnen Reportagenbuch umfassend erläutern zu wollen geht natürlich nicht und ist auch gar nicht Ewers Anspruch. Er schafft es aber in seinen spannenden und kurzweiligen Reportagen, die Themen, die den Fußball in Afrika überlagern, anschaulich darzustellen und vor allem den Blick über den Rand des afrikanischen Tellers nicht zu vernachlässigen.
Daniel Künzler: Fussball in Afrika
Verlag Brandes & Apsel
Wer mit Christian Ewers' Buch Blut geleckt hat, dem sei Daniel Künzler empfohlen. Der Schweizer Soziologe liefert in "Fussball in Afrika - Hintergründe zu 'Elefanten', 'Leoparden' und 'Löwen'" mindestens fünf Mal so viel Text, und auch er nutzt die Reportage, erzäht jedoch deutlich ausführlicher und mit den Analysetools des Soziologen vom Fußball in der afrikanischen Kolonialgeschichte, von Mobilisierungen, Ethnifizierungen und Identifizierungen, von Neokolonialismus und Migration.
Keine Angst vor dem Soziologen: auch Daniel Künzler recherchiert seine Geschichten vor Ort, auch seine Reportagen sind interessant geschrieben und durchwegs gut lesbar. Zwar kommt manches etwas zu ausführlich daher, aber er verliert sich nicht in wissenschaftlichen Termini oder Spezialistenzugängen. Dafür gibt's umfangreiche Fußnoten und Hinweise auf weiterführende Literatur und Websites. Und im Anhang eine tabellarische Liste mit den Spitznamen der afrikanischen Nationalteams. Wer waren jetzt nochmal die Elefanten, wer die unbezwingbaren Löwen und wer die Quastenflosser?
Auf alle Fälle eine Empfehlung für jeden, der sich tiefgreifender mit dem afrikanischen Fußball und seinen Hintergründen auseinandersetzen will.
Noch mehr Stoff
Demnächst geht´s noch um zwei weitere Werke: Bartholomäus Grill, langjähriger Afrika-Korrespondent der Zeit, und sein Buch "Laduuuuuma! - wie der Fußball Afrika verzaubert", und "Tod den Pavianen! Fußballwahnsinn in Südafrika", von Cathrin Hennicke und ihrem Lebensgefährten, dem ARD-Radiokorrespondenten Claus Stäcker.