Erstellt am: 17. 5. 2010 - 13:47 Uhr
Auf der Suche nach der Hafenromantik
Das Klischee vom Matrosen, bekannt aus Literatur und Film, besagt, dass er auf See ein hartes, entbehrungsreiches Leben führt und dann dafür im Hafen in wenigen Tagen seine verdiente Heuer für Alkohol, Frauen, Spiel und das eine oder andere Souvenir ausgibt. Diese Zeiten sind vorbei. Dank moderner Technik sind auch die größten Containerschiffe innerhalb von fünf oder sechs Stunden ent- und wieder beladen. Die Arbeit an Bord übernehmen meist billige Arbeitskräfte, die so wenig verdienen, dass für Ausschweifungen nichts überbleibt.
In Hamburg gibt es aber noch Plätze, die von der alten Hafenromantik zeugen. Ich habe mich in der Hamburger Hafengegend herumgetrieben und ein paar Örtchen aufgestöbert, wo die Seemannskultur noch zu spüren ist - auch wenn das Ganze wohl mehr für die Touristen aufrechterhalten wird. Seeleute gibt’s dort selten, aber viel zu sehen.
Harrys Hafenbasar
Die erste Station ist Harrys Hafenbasar in der Balduinstraße. Da Seeleute die ersten waren, die exotische Länder bereisten, brachten sie für sich oder ihre Liebsten oft ausgefallene Souvenirs mit. So auch Basargründer Harry Rosenberg, erzählt seine Tochter Karin, die die Mischung aus Museum und Laden mittlerweile geerbt hat:
Radio FM4/Irmi Wutscher
"Der Vater ist selber zu See gefahren und hat sich ein paar Sachen mitgebracht, zur Dekoration. Er selbst hat hier ab 1954 einen kleinen Handel mit Münzen, Briefmarken und Banknoten betrieben. Die Stücke aus seiner Seefahrtszeit hingen im Geschäft, immer wieder wurde er gefragt, ob er nicht etwas davon verkaufen würde: Die Maske, ein Krokodil, einen Speer, was sich ein Seemann halt so mitbringt. Er hat das lange Zeit verneint, bis er sich gedacht hat: Eigentlich ist ja egal, womit ich handle. Dann hat er seine Kollegen angehauen, dass die ihm weiter Dinge mitbringen und so ist die Sammlung gewachsen."
Heute umfasst der Basar zwanzig Räume, durch die man sich nur auf schmalen Trippelpfaden bewegen kann. Links und rechts stapeln sich Gegenstände aller Art bis zur Decke: Neben getrockneten Kugelfischen hängt ein ausgestopfter Schwan, es gibt einen Raum voll Buddhastatuen, afrikanische Masken und indonesische Schattenpuppen.
Radio FM4/Irmi Wutscher
Es gibt tausende Kuriositäten zu entdecken. Berühmt geworden ist der Hafenbasar durch einen echten menschlichen Schrumpfkopf. Den gibt es auch noch heute, allerdings wird er nur mehr auf Anfrage hergezeigt. Ich hab ihn mir lieber nicht angesehen, sondern mich einer anderen Form der Souvenirbeschaffung zugewandt:
Die älteste Tätowierstube Deutschlands
Denn auf dem Hamburger Berg 8, gleich bei der Reeperbahn, ist die älteste Tätowierstube Deutschlands zu finden. Auch hier gibt es eine Verbindung zur Seefahrt: "Seeleute haben sich gerne tätowieren lassen, sie haben diese Kultur aus anderen Ländern mitbekommen. Damals war das etwas Besonderes und vielleicht auch etwas, womit ein Matrose seinen Status als Seefahrer und weitgereister Mensch illustrieren konnte. Daher haben sie das auch mitgebracht und hier weitergeführt."
Radio FM4/Irmi Wutscher
Die Tätowierstube wurde in den vierziger Jahren von Paul Holzhaus gegründet und 1962 von der Tattoolegende Herbert Hoffmann übernommen. "Der schwebt über der deutschen Tätowierszene, er wird als Vater der Deutschen Tätowierung gehandelt. Und er verkörpert das traditionelle Tätowieren in Hafengegenden."
Radio FM4/Irmi Wutscher
Herbert Hoffmann ist mittlerweile über 80 Jahre alt und hat sich längst zu Ruhe gesetzt. Heute führt sein Neffe Ernst Günter Götz den Laden weiter.
Die Motivtafeln an den Wänden der Tätowierstube zeigen entgegen meiner Erwartung aber keine Segelschiffe und Steuerräder, dafür Rosen, Kreuze und die üblichen Tribals. Seeleute zählen aber immer noch zu den Kunden, sagt Tätowierer Andi: "Tatsächlich tätowieren wir auch einige Seeleute, die sich aus diesem Traditionsbewusstsein heraus Steuerräder und Schiffe machen lassen. Hamburg ist eben bekannt für Seefahrerei und auch für Tätowierungen, und die Seeleute machen das aus nostalgischen Gründen."
Seemannsheim am Krayenkamp
Was machen Matrosen aber, wenn sie nicht zur See fahren, oder alt und krank werden? Manche von ihnen findet man im Seemannsheim der deutschen Seemannsmission. Es liegt bei der Michaeliskirche, mit Blick auf den Hafen und hat ein wenig das Flair von einer Jugendherberge. Geschäftsführerin Inka Peschke erklärt das Konzept: "Unser Verein wurde 1891 gegründet, damals lagen die Schiffe 15 Tage im Hafen. Während der Zeit brauchten die Seeleute eine Unterkunft, da die sonst auf der Straße schlafen mussten." Heute ist das zwar nicht mehr so, das Heim wird aber immer noch gebraucht: für kranke oder verletzte Seeleute, solche, die keine Familie haben und hier den Urlaub oder den Lebensabend verbringen. Oder Gestrandete, wie jüngst bei der Aschewolke, als hier zehn Chinesen, die seit Monaten nicht mehr zu Hause waren, auf einen Flug warteten. Auch Touristen können sich mittlerweile im Seemannsheim einmieten, falls sie Lust auf eine originelle Unterkunft haben.
Radio FM4/Irmi Wutscher
Was Seeleute an Land dann so tun, hat heute wenig mit dem Klischee zu tun: "Das typisch Seemännische an Land ist eigentlich furchtbar langweilig: Sie hängen einfach nur ab" meint Inka Peschke. "Der Billardraum wird oft genutzt. Ganz wichtig ist auch das Internet, um die Daheimgebliebenen zu kontaktieren, oder einfach um über Google Earth festzustellen, wie es zu Hause aussieht, wenn man schon seit Monaten nicht mehr da war." Das Vorurteil, dass alle sofort an die nahe gelegene Reeperbahn gehen, kann Inka Peschke nicht bestätigen. "Das kommt zwar durchaus vor, dass jemand tatsächlich 3.000, 4.000 Euro in einer Nacht durchbringt. Aber das ist zum Glück ganz rar."
Schellfischposten und Silbersack
Auf der Reeperbahn regiert mittlerweile das überall gängige Rotlichtmilieu, das von grölenden Männerhorden auf Bachelor-Party-Wochenenden frequentiert wird. Die eine oder andere klassische Seemannskneipe hat sich aber erhalten. So erinnert sich ein Barkassenkapitän von den Landungsbrücken daran, wie es einst im Silbersack zuging: "Da hatten sie früher so 'ne kleine Dreimannkapelle. Wenn dem Seemann die Musik nicht gefiel, hat er 'ne Bierflasche genommen und nach der Kapelle geschmissen. Dann ist die Kapelle ins Klo geflüchtet und es war wieder Ruhe. Jetzt ging der Seemann wieder aus der Kneipe raus, draußen stand Herrmann, der Portier. Der nahm die Haare vom Seemann und klopfte seinen Kopf dann aufs Pflaster. So müssen Sie sich das vorstellen."
Radio FM4/Irmi Wutscher
Ein anderes typisches Beispiel ist der Schellfischposten, am St. Pauli Fischmarkt. Wirtin Ulla Müller erzählt: "Das Lokal ist weit über 200 Jahre alt. Es gab schon ganz viele Wirte vorher. Früher waren das nur die Seefahrer und Fischer. Jetzt ist hier ein totaler Mix, von jedem etwas: wenig Seeleute, viele Leute, die in der Region hier arbeiten, in den Büros oder im Hafen. Und Touristen, über die freuen wir uns auch immer sehr."
Von der Zeit, als hier noch Matrosen tranken und Mädchen auf sie warteten, weiß Ulla Müller auch zu erzählen: "Die Seeleute waren ganz gemütlich, fingen schon vormittags an mit dem Trinken. Dann sind sie ein paar Stunden schlafen gegangen, meistens hatten sie auch gar keine Bleibe, sondern wohnten im Seemannsheim ums Eck. Und dann kamen sie abends wieder, bis der Urlaub vorbei oder die Heuer vertrunken war."
Radio FM4/Irmi Wutscher
Daher gleicht das Lokal auch einem Museum, denn an der Decke hängen Mitbringsel aus aller Welt, die Seemänner angeblich für ihre Zeche eingetauscht haben: Bilder von Schiffen, Steuerräder, ausgestopfte Krokodile etc. "Die ganzen Sachen erzählen ja auch Geschichten, meint Ulla Müller. "Wenn dann der richtige Gast da ist, der da von früher noch etwas erzählen kann, dann lauscht die ganze Kneipe."
Die heutige Stammkundschaft fährt zwar nicht mehr zu See, weiß den Schellfischposten aber trotzdem zu schätzen. Sie alle loben Frau Müller und die Atmosphäre und: "Das ist Hamburg, wir sind Hamburg, besser könnten wir das nirgends finden."
Radio FM4/Irmi Wutscher