Erstellt am: 17. 5. 2010 - 17:10 Uhr
Wir bauen eine neue Stadt!
Alexandra Augustin
Denkt man an Hamburg, hat man meist idyllische und altbekannte Bilder im Kopf: Seemänner, Hafenromantik, Reeperbahn, Golden Pudel Club. Wer schon einmal da war, hat im Schanzenviertel nach dem Shopping in den Läden am Schulterblatt vielleicht in einem der netten, kleinen Cafés einen Milchkaffee genossen, danach einen Spaziergang bei den Landungsbrücken gemacht und am Abend das eine oder andere Bier mit Freunden im grünen Jäger getrunken. Doch heute ist irgendwie alles anders und ganz und gar nicht entspannt.
Alexandra Augustin
Es ist der erste Mai, Euromayday. Etwa 2000 Menschen haben sich nahe des Hafens in der Bernhard-Nocht Straße, ganz in der Nähe des Pudel Clubs im Stadtteil St. Pauli versammelt. Die sonst so schöne Hafenkulisse wird heute durch einen Demonstrationszug versperrt. Aus den fetten Lautsprechern von umgebauten Lastwägen tönen Lieder wie der
"Rauch-Haus-Song" von Ton Steine Scherben oder "Our House" von Madness. "Wem gehört die Stadt?", "Gegen hohe Mieten" und "NoBNQ" steht auf den bunten Transparenten.
Alexandra Augustin
Alexandra Augustin
Alexandra Augustin
Alexandra Augustin
Das Kürzel "NoBNQ" bedeutet "Kein Bernhard-Nocht-Quartier". Ein leerstehendes Gebäude in der Bernhard-Nocht-Straße mit den umliegenden, historischen Häusern aus dem 19. Jahrhundert sollen luxussaniert und teilweise abgerissen werden. Bezirkspolitiker und Investoren wollen hier das sogenannte “BNQ – Bernhard-Nocht-Quartier” hochziehen. Die hier lebenden Anwohner, Kleingärtner, Migranten, Rentner, Familien und Künstler wehren sich dagegen, denn die fest verwachsene Struktur an Gebäuden und Bewohnern ist akut bedroht, wie Christoph Schäfer, Mitglied der Initiative, erzählt:
"Traditionell wohnen in St. Pauli Menschen, die nicht viel Miete bezahlen können, doch das ändert sich gerade. Das Haus grenzt direkt an mein Wohnhaus und durch die Sanierung sollen hier schicke, neue Wohnungen entstehen. Doch die könnten sich die Bewohner hier nicht mehr leisten und die Investoren würden die alten Mieter dann sicher hinauswerfen"
In dem Haus, in dem auch das ehemalige Erotic Art Museum untergebracht war, sollen, wenn es nach der Immobiliengesellschaft
Köhler & Von Bargen geht, 80 Eigentumswohnungen mit Hafenblick um mehrere tausend Euro pro Quadratmeter für Besserverdiener entstehen. Passend zur daneben liegenden "Hafencity".
Alexandra Augustin
In den letzten Jahren hat sich das Stadtbild vor allem in St. Pauli massiv verändert. Die Stadt hat viele der alten Häuser und Grundstücke gegen viel Geld an Investoren verkauft, die hier nun Neubauten und Bürokomplexe hingebaut haben. Das Wohl der Anwohner bleibt da meist auf der Strecke, die sich nun lautstark zu Wort melden und um Mitbestimmungsrecht in ihren "Kiez" kämpfen. Insgesamt 25 Initiativen der Stadt haben sich unter dem Namen "Recht auf Stadt" zusammengeschlossen. Beim benachbarten Gängeviertel hat sich der Kampf immerhin schon gelohnt: Die historischen Fabriksbauten wurden auf Druck von Besetzern von der Stadt zurückgekauft und vom Umbau und Abriss gerettet. Auch die Initiative "NoBNQ" möchte die Häuser in der Straße zurückkaufen. Knapp zehn Millionen Euro würde das kosten, nach Geldgebern wird noch gesucht. Würde das klappen, könnte günstiger Wohnraum erhalten werden und vielleicht auch eine kleine Bierbrauerei hier Platz finden, da nach dem Abriss der alten Bavariabrauerei und des alten Astraturms St. Pauli seine einzige Brauerei verloren hat und an dessen Platz neue Bürohauser der sogenannten "Hafenkrone" gebaut werden. Außerdem sollen hier Theater- & Gemeinschaftsräume und Ateliers entstehen.
Doch genau hier beißt sich die Katze auch in den Schwanz. Denn genau damit, mit den vielen bunten Ideen, der Vielfalt im Viertel, dem "Hippnessfaktor" der Stadt und dem "Kreativen Kapital" versucht die Stadt im internationalen Städtewettbewerb zu punkten. Die Spirale der Gentrifizierung dreht sich in Hamburg genauso rasant, wie auch in New York, Berlin oder auch Wien. Ein sperriges Wort, ein einfaches Phänomen:
Viertel, in denen die Bausubstanz zwar oftmals bröckelt, die dafür aber bunt und lebendig sind, weil dort verschiedene Menschen und Kulturen, Geschäfte und Kneipen aufeinander treffen, werden renoviert, schöner und interessanter gemacht und somit teuer.
Solche Viertel und der "Schick des Abgefuckten" zieht nämlich auch Investoren an, die sanierungsbedürftige Häuser und brachliegende Grundstücke günstig aufkaufen, nach ihren Vorstellungen renovieren und teuer weitervermieten. An diejenigen, die das nötige Kleingeld haben und gerne in einem hippen Bezirk in der City leben. Für die zuvor dort lebenden Menschen mit Migrationshintergrund, Studenten, Künstler und alteingesessene Bürger sind diese Wohnungen natürlich kaum mehr leistbar. Sie werden in andere Bezirke oder an den Stadtrand verdrängt.
Alexandra Augustin
In Hamburg sind die Brennpunkte gerade eben vor allem St. Pauli oder auch Wilhelmsburg, die alten Häuser mit Hafenblick an der Alster und Elbe in der Schanze und im Karoviertel: Alles Ecken, in denen das "Kreative Kapital" der Stadt zuhause ist und die in den letzten Jahren schleichend immer posher und teuer geworden sind. Mit dem Popfaktor wirbt die Stadt nach außen hin, denn Hamburg soll zu einem Magnet für Konzerne und Touristen werden. Dagegen wehrt sich die Initiative
"Not in Our Name - Marke Hamburg", eine Gruppe Hamburger Kunstschaffender, wie etwa Melissa Logan von den Chicks on Speed, Rocko Schamoni und Ted Gaier von den Goldenen Zitronen:
"Es gibt so ein Promomagazin der Stadt namens 'Hamburg'. Zwischen Interviews mit Nena und Jan Delay, Bildern der Queen Mary und Geschichten über die 'ach so schrille' Hafenstraße tauchten plötzlich wir auf, die Goldenen Zitronen. Da dachte ich mir, jetzt reicht es aber!
Not in Our Name, Marke Hamburg!"
Ein Manifest gegen die Marketingstrategien der Stadt wurde verfasst und in kurzer Zeit hatten ein paar tausend Hamburger dieses unterzeichnet. Das gibt Hoffnung, "Es gibt ein unglaubliches Potenzial an Menschen hier, die etwas unternehmen und sich wehren. Das gibt Hoffnung diese große 'Aufräumaktion' am Hafen verhindern zu können", erzählt Ted Gaier.
Alexandra Augustin
Dass das keine Utopie bleiben muss, beweist auch der Park Fiction nahe der Hafenstraße - wo schon vor 25 Jahren erfolgreich um Wohnraum und Mitbestimmungsrechte in Stadtplanungsprozessen gekämpft wurde. Gleich neben dem Pudel Club befindet sich der grüne Park. Eigentlich war dort ein weiterer Bürokomplex geplant. Nach Protesten der Anwohner, die eine Grünfläche in dem dicht bebauten Stadtteil forderten, lud die Hamburger Kulturbehörde die hier lebenden Menschen ein, gemeinsam mit Künstlern wie Christoph Schäfer, dieses Parkprojekt umzusetzen:
"Wir haben diesen Park nach unseren Bedürfnissen gestaltet, diesem Viertel unseren Stempel aufgedrückt. Das haben wir von unten als soziale Bewegung geschafft. Das zeigt, dass sich das Kämpfen lohnt."
Zwischen einem "Open-Air-Solarium" und breiten Holzliegen, auf denen man im Sommer gemütlich relaxen kann, spielen Kinder auf dem sogenannten "fliegenden Teppich", ein wellenförmiges Rasenstück, mit Blick auf die Hafenpromenade und die vorüberziehenden Ozeangiganten. Und mit Blick auf andere Ungetümer, auf ein "Mahnmal des Kapitalismus", wie es die Filmemacher Olaf Sobczak, Irene Bude und Steffen Jörg nennen. Sie haben die Veränderungen in ihrem Stadtteil in ihrer Dokumentation
"Empire St. Pauli - Von Perlenketten und Platzverweisen" festgehalten. Benannt nach einem der höchsten Häuser Hamburgs:
Das Empire Riverside Hotel, das mit zwei weiteren schnell hochgezogenen Bürotürmen ebenfalls zur Hafenkrone zählt.
Der Film Empire St. Pauli ist unter der Creative Commons Licence erschienen und kann online angesehen werden.
"Dem alten St. Pauli steht ein neues St. Pauli gegenüber. Und es ist erstaunlich, dass solche Bauten wie das Empire Riverside Hotel heute einen Steinwurf von der Hafenstraße entfernt existieren," stellt Irene Bude fest.
Alexandra Augustin
Und am Horizont wird auch ein weiterer Dorn im Auge sichtbar: Die sich noch im Bau befindliche Elbphilharmonie. Das Jahrhundert-Prestigeprojekt der Stadt war mit 77 Millionen Euro Baukosten veranschlagt. Mittlerweile hat der Bau über 320 Millionen Euro verschlungen. Jede einzelne der knapp 1100 Glasscheiben, die die Front zieren sollen, ist eine Spezialanfertigung und kostet jeweils rund 10 000 Euro.
Alexandra Augustin
Währendessen kämpfen die Bewohner auf der anderen Seite für mehr Freiräume. So wie auch Tina Fritsche, Aktivistin im Centro Sociale. Während in der Schanzenstraße nebenan Markenartikler und Systemgastronomie ihren Einzug feiern, wird dieser Freiraum unkommerziell genützt.
Egal ob jemand eine Geburtstagsfeier veranstalten will oder mit seiner Theatergruppe auftreten möchte, Nachmittagsbetreuung für seine Kinder sucht oder politisch interessiert ist und sich austauschen will: Im selbstgetragenen, autonomen Nachbarschaftstreff Centro Sociale ist das möglich. Jeder ist willkommen in der ehemaligen Tischlerei in dem alten Backsteingebäude zwischen Schulterblatt und Karoviertel, die 2008 von einer Hand voll Menschen in Beschlag genommen und erfolgreich verteidigt worden ist. Eines der Projekte, das zeigt, dass Mitbestimmung funktionieren kann:
"Eine Stadt entwickelt sich weiter und das macht auch eine interessante Stadt aus. Aber es geht darum, wer die Macht hat, etwas zu bestimmen und wer nicht. Das Centro Sociale soll einen Anstoß dazu geben, gemeinsam darüber nachzudenken, wir wir eine Stadt haben wollen. Es geht nicht darum, dass eine Seite Macht über die andere hat, sondern darum, gemeinsam zu verhandeln."
Alexandra Augustin