Erstellt am: 30. 4. 2010 - 23:02 Uhr
(Detroit) Rock City
Not London, not New York
- Requiem for Detroit: Vom Lärm der Fließbänder über Motown und Rock City zum Hitek Soul, der Maschinenmusik der Techno (Natalie Brunner)
Wer hat's erfunden? Eines der größten Missverständnisse der Rockgeschichte: Punk und seine Genesis. In der allgemeinen Wahrnehmung rangiert hartnäckig die Gründer-Trias "London/Malcom McLaren/Sexpistols" an erster Stelle - nicht zuletzt wegen der Breitenwirkung der clever inszenierten Tabubrüche des kürzlich verstorbenen Popmagiers. Gegen diesen Mythos würde der durchschnittliche Veteran der Mars Bar sicher noch vor seinem ersten Pint dem staunenden Big Apple Besucher das Triptychon "New York/CBGB/Ramones!" entgegenrülpsen.
Christian Lehner
Doch wer den Ricola Unfug konsequent weitertreiben will, landet unweigerlich im US-Bundesstaat Michigan und der Triole: "Detroit/MC5/Iggy And The Stooges!" (Wir übergehen an dieser Stelle einfach mal aufrührerische Ahnen wie Monks, Hasil A., Jim M., VU u.a.).
Some call it Protopunk
Warum die Industriestadt im Mittleren Westen zuerst zur Motown (Soul) und Rock City und später zur Techno-Urstadt werden sollte, hat auch mit den Fließbändern der großen Autohersteller zu tun. An jenen sollten kurz vor und nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend Arbeiter mit schwarzer Hautfarbe schuften. Dass diesen Billiglohnkräften der Beitritt zu den Gewerkschaften der Weißen verwehrt wurde, kam den Industriemagnaten der Motorcity sehr entgegen, verschärfte jedoch die sozialen Spannungen in der ohnehin streng segregierten Stadt. Diese Spannungen entluden sich 1967 nach brutalen Polizeiübergriffen in einem der blutigsten Riots der US-Geschichte. Unter den schwarzen Arbeitern, die überwiegend aus dem Süden kamen, befanden sich zahlreiche Musiker wie der Blues Gigant John Lee Hooker oder der spätere Motown Gründer Berry Gordy, die ihre Instrumente natürlich mitbrachten und vor Ort erklingen ließen.
Elektra
Greaser Jazz 'N Roll
Jazz, Gospel, Soul und der frühe Rock & Roll waren allgegenwärtig im Detroit der 50er und 60er Jahre. Die halbstarke Nachkommenschaft ärmerer, weißer Mittelstandsfamilien, die es sich nicht leisten konnten über die Highways aus der degenerierenden Innendstadt in die Suburbs zu ziehen, wuchsen als Rock & Roll Greasers (Hot Rods + Link Wray!) heran. Die Koteletten-Rebs erhielten so auch eine first hand R&B Ausbildung und mussten sich so die Fundamente der eigenen Musikgeschichte nicht erst von den Blues Wiederentdeckern der British Invasion ausgraben lassen.
Insofern sind die Jazz Ausflüge des Detroiter Punk Urgesteins Iggy Pop auf seinem jüngsten Album Preliminaires eine Rückkehr keine Abwendung, wie vielerortens geschrieben wurde. Im Gegenteil, Jung-Iggy hat erst durch das Abhängen mit Blues und Jazzmusikern eine eigene Vision von „populärer Musik“ entwickelt, wie in der Punk-Bibel Please Kill Me – The Uncensored Oral History Of Punk nachzulesen ist.
Elektra
Und da wären wir auch schon direkt bei einem Protagonisten von „Detroit Rock City“. Es war eine kurze und harte, befreiende und schmerzvolle Periode Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre, als zwei chaotische Nachwuchsbands für einen kurzen Moment die Welt aus den Angeln und ihre Rock & Roll Parameter nachhalting aber relativ unbedankt verrücken sollten. Die üble Nachrede und der kommerzielle Flop verwundern nicht weiter, handelt es sich schließlich um die beiden Vorläufer Bands des Punk: MC5 und Iggy & The Stooges.