Erstellt am: 29. 4. 2010 - 10:17 Uhr
Ach verdammt!
IsländerInnen sind mir noch keine übern Weg gelaufen, dafür Jamie Stewart von Xiu Xiu, ein Panda Bear und ein Fußball. Ein normales Donaufestival, oder? Hier binden sich Pop und Performance wie Germteig-Zutaten. Mal bleibts kleben, mal gehts auf. Implosionen, Explosionen, die ganze emotionale Rutsche kann man hier in Krems bäuchlings entlang gleiten.
So auch am Eröffnungstag der Festivalausgabe im Jahr der zwei Nullen, an dem zwei unterschiedliche aber ähnlich intensive Bands neue Positionen bezogen haben. Vor sich und ihrem "Herren", dem Publikum.
Darf ich vorstellen: Objekt der Abend-Begierde Nr. Eins: Ja, Panik.
Was ist über diese Band nicht alles gesagt worden, Kritiker(!)lieblinge dort, Projektionsfläche hier und natürlich auch noch großartige Songs, die zuerst erklingen und dann durch diese wundersame Sprache ins Aufmerksamkeitszentrum gerückt werden, weil man in diese Band eben tief hineinschauen kann, sie drehen und wenden kann und noch immer nicht schlau wird aus ihnen.
Andreas Spechtl, Stefan Pabst und Christiane Rösinger bei einer Interview-Entgiftung
So wurden Ja, Panik also zu den Darlings des deutschsprachigen Intelligenzija-Rock. Und womit? Mit Recht natürlich. Dass so eine heiße Statusmeldung auch an den dürren Körpern zerrt, hat zu dem Auftragswerk des Donaufestivals geführt. Ja, Panik haben eine "Entgiftung" aufgeführt.
Was passiert, wenn sich Ja, Panik vor einem gutbezahlten Konzert zerstreiten? Sich ihre "drei Freunde aus dem Chor" in den einsamen Backstageraum zurückziehen und einen einstündigen Diss über das Banddasein lostreten? Schöne Scheiße. Die Entgiftung von Ja, Panik findet zum Teil auf gehässiger Selbstreflektions-Ebene statt und auch auf der wohl dazugehörenden Publikumsbeschimpfungs-Ebene.
ondrusova/fm4
Die Bühne weiß verkleidet, Instrumente gestimmt, das Ja, Panik-Publikum bereit zum Klatschen und "Ach verdammt"-Rufen, kein Geld und keine Angst sowieso, hinter der Bühne ein Vorhang aka Backstageraum, in dem Christiane Rösinger, Hans Unstern und Peter Schachinger Platz nehmen, um sich über das eben abgesagte Konzert das Maul zu zerreissen, genauso wie über z.B. das große Thema der möglichen Widerstandswaffen einer unverbindlichen, haltlosen Generation.
Passend dazu wird das starrende Publikum auf die Leinwand projiziert. Hallo Spiegel! Ja, Panik kommen dann mal auf die Bühne und fangen an ihre Instrumente fein säuberlich wegzuräumen. Ohne einen Ton zu spielen natürlich, denn es ist hin, hin hin. Bis alle begreifen, dass dieser gesprochene Auftritt tatsächlich das "Konzert" ist, kommen noch abwechselnd "Singts endlich!" "Ficken" oder "Kabinenparty"-Schreie aus den Mündern der erwartungsvollen BesucherInnen-Schar.
ondrusova/fm4
Ja, Panik sind natürlich nicht blöd. In einer Stunde werden alle Zweifel einer wachsenden und größer werdenden Band angesprochen: Die Angst vor der Instrumentalisierung durch fremde Hand (zum Beispiel durch die aus dem Äther), das Dilemma der Auseinandersetzung mit einer anonymen ZuhörerInnenschaft, die – so banal es klingt – etwas verlangt. Jeder ein unterschiedliches Etwas und dabei an einem zehrt und man weiß nicht, ob das, was man gibt, reicht.
ondrusova/fm4
Ja, Panik haben mit ihrer Entgiftung nicht nur sich sondern auch den Anwesenden einen Spiegel vorgehalten. Einziges Problem: Man kann so einen Spiegel eben drehen, wie man will. Statt eines Standpunkts gibt es viele. Selbst wenn man sich nun damit abgefunden hat, dass der Text statt dem Ton regiert, bleibt man innerlich vor einem Schlussmach-Szenario stehen. Denn, das, was Popmusik manchmal schafft – einen rauszuholen – dafür ist bei der Entgiftung kein Platz. Wahrscheinlich war das aber genau das Ziel - dem "verblödeten Publikum" neben dem Geist auch Unsicherheiten zurückzugeben. Alles, was man will, muss eben zuerst gesucht und hinterfragt werden. Sonst verschwimmt es wie ein schlechtes Foto.
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Über ähnliche Existenz-Hinterfragungen und Daseinsberechtigungen haben sich am Eröffnungsabend auch Deichkind mit ihrer "Diskursoperette in Müll" die Köpfe zerbrochen. Auf die lässige Art natürlich, wie hier die Nachmittagsfotos beweisen.
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Begonnen hat Deichkinds „Operette“ im Foyerraum zwischen Halle Eins und Halle Zwei, mit einer Familienaufstellung. Die Deichkind-Mannschaft nicht als SchauspielerInnen auftretend sondern als ErzählerInnen der Ist-Zustände. So folgte im Kreis der Deichkind-Familie die Verabschiedung vom verstorbenen Band-Mastermind Sebi.
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Die ersten Klänge von "Wir fahren mit der Luftbahn" werden angestimmt und zu Ende gewippt. Das herumknotzende und -streunende Publikum trabt nun in die Halle, wo im Dauerloop die ersten Klänge von "Arbeit Nervt" erklingen. Dann wird erstmals choreographiert. Wieder eine weiße Leinwand, die heruntergelassen wird, die Zitze, die Dreiecke - smells like a Gig, auch und gerade weil "Arbeit nervt".
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Doch Hände bleiben nur kurz in der Höhe, auch Deichkind stellen sich auf der Bühne in Frage, erklären dem Publikum die Regieanweisungen des Abends, erklären und hinterfragen sich selber. "Was tun die BesucherInnen die zu unseren Konzerten kommen?" Es kommt sogar das Wort "Selbstsubjektproduktion" vor. "Aufstand im Schlaraffenland" wird als lautlose Performance vorgetragen. Die Geste stimmt, der Ton kommt allerdings aus dem Erinnerungskanal.
Deichkind versucht die Riesen-Zitze loszuwerden, überlegt, sie Whitney Houston zur Verfügung zu stellen oder will es FM4 als Antenne schmackhaft machen.
Anderorts (tatsächlich gibt es eine Nebenbühne) werden Umfrageergebnisse vorgetragen: "Wieviele Deichkind-Fans halten sich für beliebt?" (58%) oder "für Gammler?" (41%) oder "depressiv" (12%) oder schlicht "langweilig" (7%). Am Ende kann man sich nicht entscheiden, ob Deichkind vier Mitglieder zählt oder ganz Krems eine Deichkind-Band ist. Bei einer Geheimabstimmung wollen Deichkind erfahren, ob das Publikum glaubt, dass "Arbeit Nervt gegen die Empfänger von Sozialleistungen gerichtet ist". (86% JA)
ondrusova/fm4
Nach zwei Stunden Diskursoperette hat sich das Publikum spürbar an das Performance-Format gewöhnt. Die große Herausforderung des Abends bestand darin, zusammenhängende Sätze aufzunehmen und sie mit den choreographierten Tänzen und dem Confetti im Kopf in Einklang zu bringen.
Ich musste gerade lachen: Stellt euch vor, ihr geht auf ein Konzert, geht pünktlich nach dem Einlass mit einem Reservegetränk bewaffnet in die erste Reihe und wartet, bis die Band vor euren Augen loslegt. That´s so NOT 2010.
Erwartungshaltung ist gleich Vorhersehbarkeit. Und das, was Deichkind über sich und mit sich vor den Augen der ZuschauerInnen am Donaufestival aufgeführt haben, war doch besser als jede Diplomarbeit, die mir empirisch die zweifellose Wichtigkeit dieser Band erklärt. So ungebunden vor allem! Und groß.
ondrusova/fm4