Erstellt am: 28. 4. 2010 - 14:18 Uhr
Grundsatzdebatte um den Euro
Der Streit rund um die Bewältigung der Schuldenkrise Griechenlands hat die kontroversen Grundsatzpositionen wieder hervortreten lassen, die die Wirtschafts- und Währungsunion in Europa von Anfang an begleiten. Interessanterweise sind beide großen wirtschaftspolitischen Lager diesbezüglich gespalten. Eine Kurz-Führung durch die vier Positionen:
1. Die Euro-freundliche Position von rechts
... sieht die Währungsunion als notwendige Ergänzung zum Binnenmarkt und ist für eine Währungsunion, in der es klare Regeln gibt, die jede Umverteilung oder Solidarausgleich-Mechanismen ausschließen, stattdessen in einer Art Erziehungsdiktatur die schwächeren zu Anpassung und damit Entwicklung zwingt. Aus dieser Sicht wird deshalb eine Europäische Zentralbank befürwortet, die dem Modell der Bundesbank folgend einen strikten Antiinflationskurs hält, eine europäische Wirtschaftsregierung aber abgelehnt, weil die den Vorrang der Preisstabilität vor allen anderen wirtschaftspolitischen Zielen untergraben und mögliche Umverteilungsmechanismen einleiten könnte. Für die aktuellen Probleme von Griechenland und anderen Mitgliedstaaten mit Budgetproblemen liegt aus dieser Sicht die Verantwortung und die Lösung bei den betroffenen Staaten selbst – für die heißt es eisern sparen.
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2. Die Euro-skeptische Position von rechts
... sieht schwächere Mitglieder als Klotz am Bein von stärkeren Staaten, wenn sie eine gemeinsame Währung bilden. Sie befürwortet ein Diktat der „richtigen“ Wirtschaftspolitik durch die Starken gegenüber den Schwachen und einen strikten Ausschluss jeglicher Lastenteilung, ist aber misstrauisch, dass entsprechende Regeln in einer Währungsunion Bestand haben. Demnach sollte eine Währungsunion nur zwischen gleich starken Mitgliedern geschlossen werden. Eine gemeinsame Währung und Geldpolitik für unterschiedlich wirtschaftsstarke Staaten führe hingegen unweigerlich in eine Zerreißprobe. Konkurrenz der Währungen ist für den liberalen Flügel dieser Position ein wichtiger Aspekt des Wettbewerbs, für den nationalen Flügel sind nationale Währungen Ausdruck nationaler Identität und Selbstbestimmung. Sie sehen sich durch die jüngste Krise bestätigt: Griechenland habe seine Probleme selbst verursacht, und solle sie auch selbst lösen, notfalls aus dem Euroraum austreten, statt Hilfeleistungen der anderen Euro-Mitglieder zu fordern.
3. Die Euro-freundliche Position von links
...sieht im Euro ein Schutzschild gegen Währungsspekulation, der kleine Länder mit schwachen Währungen auf sich allein gestellt immer wieder ausgesetzt wären. In einer Währungsunion hingegen sind die Exportländer und die Importländer in einer Solidargemeinschaft, in der die Überschüsse der Exportländer mit den Importländern geteilt werden sollten, damit diese weiterhin als KäuferInnen auftreten können. Durch diese Einbindung und Ausgleichsmechanismen werden auch letztlich die wirtschaftlichen Niveauunterschiede schrittweise verschwinden, so die Hoffnung - anstatt dass wirtschaftlich schwache Länder auf sich allein gestellt in einem Kreislauf der Unterentwicklung gefangen bleiben. Diese Position sieht die Probleme Griechenlands als Spiegelbild der wirtschaftspolitischen Strategie Deutschlands (und in seinem Windschatten Länder wie Österreich und Niederlande): Deutschland habe mit einer extremen Lohnzurückhaltungsstrategie in den letzten Jahren die Exportmärkte überschwemmt und Länder wie Griechenland niederkonkurriert. Gleichzeitig sind "Exportweltmeister" wie Deutschland aber auf die Kaufkraft der südeuropäischen Bevölkerung als AbnehmerInnen angewiesen. Wenn die Lohneinkommen angesichts von Unterlegenheit im Wettbewerb nicht reichen, kann diese Kaufkraft nur aus Verschuldung finanziert werden.
Eine Unterstützung Griechenlands in der aktuellen Krise durch die starken Euro-Mitglieder wird deswegen als eine gerechtfertigte Kompensation für diese ungleiche Arbeitsteilung gesehen. Zudem werden die aktuellen Probleme Griechenlands, Kredite zu leistbaren Konditionen auf dem Kapitalmarkt aufzunehmen, auch als Ergebnis von Spekulationen gesehen, die ein gemeinsames Einschreiten der EU-Politik erfordern, auch um ein Überschwappen auf andere Länder zu verhindern.
4. Die Euro-skeptische Position von links
... hingegen sieht im Euro ein imperiales Projekt, das im Dienste des europäischen Kapitals auf globaler Ebene die US-Dollar-Hegemonie angreifen will, und innerhalb Europas die peripheren Länder unter seine Vorgaben zu unterwerfen versucht. Demgegenüber befürworten die AnhängerInnen dieser Position den Weiterbestand nationaler Währungen als Instrument, das wirtschaftspolitische Handlungsspielräume eröffnet – durch gelegentliche gezielte Abwertungen kann die internationale Wettbewerbsposition verbessert werden, und durch Steuer- und Zollpolitik ein Modell autonomer wirtschaftlicher Entwicklung ermöglicht werden. Für diese Position war der Beitritt Griechenlands und anderer wirtschaftlich schwacher EU-Länder zur Währungsunion ein Fehler, der sich jetzt rächt.
Wer gewinnt die Debatte?
Die realpolitische Stärke der rechten Positionen vor allem in Deutschland schlägt sich in der zögerlichen und restriktiven Unterstützungspolitik gegenüber Griechenland nieder. Mit dem Nebeneffekt einer selbsterfüllenden Prophezeiung: Nach monatelangem Zögern, Hin und Her und allzu vorsichtigem Taktieren statt klaren massiven Hilfszusagen wurde Panik auf den Finanzmärkten geradezu geschürt, statt sie zu beruhigen, und so Griechenland immer weiter an den Abgrund manövriert. Möglicherweise hätte mit hohen Kreditzusagen im letzten Herbst die Situation stabilisiert werden können, ohne dass die Geberländer tatsächlich Geld verloren hätten. Jetzt hingegen liegen die Nerven auf den Kapitalmärkten so blank, dass Griechenland dort gar kein Geld mehr kriegt, und wenn dann nur zu astronomischen Kosten, und andere Länder wie Portugal ebenfalls in den Strudel zu geraten beginnen. Verluste für die starken Euroraum-Staaten stehen jetzt in Aussicht: Entweder weil sie nicht oder zu wenig helfen, dann aber ihre eigenen Banken retten müssen, weil diese Verluste aus griechischen Staatsanleihen abschreiben müssen. Oder indem sie jetzt Gelder für Griechenland und Co. zusagen, die dann nicht zurückgezahlt werden können, weil sie zu wenig und/oder zu spät sind.
Die aktuelle Episode wird freilich nicht der letzte Anlass für das Hochkochen dieser Debatten bleiben. Weitere budgetschwache Staaten im Euroraum stehen schon im Visier. Und die Frage der künftigen Euro-Integration osteuropäischer Staaten wird noch lange Monate und Jahre Gelegenheit geben, die Lagerkämpfe zu intensivieren.