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24. 4. 2010 - 05:00

My Reality: Milena Flašar

The young Austrian-Japanese authoress shares her reality, including her origins, her cultural background and her unique relationship with her work.

Sometimes Reality Check hands over its Saturday Special programme to a member of our community who takes us inside their world, in a feature called FM4 - My Reality. This week Milena Flašar shares her reality with Riem Higazi. On FM4 this Saturday, 12 to 1 p.m.

"Schreiben Sie, als ob es um ihr Leben ginge"

Text: Milena Flašar

"Schreiben Sie", sagte er und schlug mit der Faust auf ein Stück weißes Papier. "Schreiben Sie, als ob es um ihr Leben ginge." Und als ich ihn ungläubig anblickte: "Um Himmels willen! Nun schreiben Sie schon. Egal WAS."

An einem der nächsten Tage erfahre ich, dass er ein Dichter sei. "In Vršac", erklärt mir Dragana, "kennt ihn ein jeder als den Fensterpoeten. Er schreibt ganze Seiten voll unverblümter Poesie und wenn der Wind kommt, kann man sie durch die Straßen tanzen sehen. Ja, er wirft Wörter und Sätze aus seinem Fenster. Wenn man Glück hat, flattert einem ein Vers vor die Füße und man geht dann weiter und ist selbst - für einen Augenblick - ein wanderndes Gedicht geworden."

Milena Flašar, schwarzweiß

Ingo Pertramer

Aber was soll ich hier schreiben, fragte ich mich. So nah an der Grenze. Ich bin hierher gekommen, weil... doch das ist eine andere Geschichte. Zwei Augen sehen mich an und bedrängen mich. In meiner Hand liegt ein fremder Stift. Ich sitze gekrümmt auf einem wackligen Stuhl in einer Stadt, deren Name unaussprechbar ist. Vielleicht lässt er mich gehen, denke ich, und versuche aufzustehen. Aber da stößt er mich mit einem scharfen Blick wieder zurück. "Irgendetwas muss Ihnen doch einfallen", ruft er und ist nahe daran, mit dem Fuß aufzustampfen.

Siehe auch: Wo die Worte wohnen: In ihrem zweiten Buch "Okaasan - Meine unbekannte Mutter" erzählt Flašar von Verlust, Angst und der langwierigen Suche nach der eigenen Identität.

Ist er verrückt?, will ich später wissen. "Nein, nur besessen", gibt Dragana zurück. "Er ist besessen von der Idee, aus jedem Menschen eine Zeile herauszupressen. Oft sieht man ihn durch die Straßen gehen mit einem hungrigen Blick. Er sucht sich Menschen aus, die ihm ähnlich sind. Menschen wie dich."

Ich weiß nicht mehr, was ich an jenem Abend in jener Kneipe an jener Wegbiegung zu Papier gebracht habe. Es muss etwas gewesen sein, was ihm gefallen hat. Denn kurz darauf gab er mich frei. Ich ging hinaus und war seltsam erleichtert wie von einem Wort, das mir sehr lange auf der Zunge gelegen hatte.