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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

14. 4. 2010 - 11:27

Wo die Worte wohnen

In ihrem zweiten Buch "Okaasan - Meine unbekannte Mutter" erzählt die junge Autorin Milena Michiko Flašar von Verlust, Angst und der langwierigen Suche nach der eigenen Identität.

Buchcover "Okaasan - Meine unbekannte Mutter" von Milena Michiko Flasar

Residenzverlag

"Okaasan - Meine unbekannte Mutter" ist das zweite Buch von Milena Michiko Flašars, das Ende Februar 2010 im Residenzverlag erschienen ist.

Franziskas Mutter liegt im Sterben. Sie hat Alzheimer und ihre Tochter muss mit ansehen, wie sie langsam körperlich und geistig verfällt und sich zu einer ihr unbekannten, fremden Person wandelt. Es beginnt schleichend mit dem Verkauf einzelner Möbelstücke, steigert sich zum Zweckentfremden des jeweiligen Raumes, indem die Küche zum Wohnzimmer umfunktioniert wird, das sie nicht mehr verlässt und gipfelt in den Zustand der Apathie. Nur die kurz aufblitzenden Erinnerungen an ihre Kindheit in Japan geben Franziska die Möglichkeit, sich in ihre Welt einzuklinken. Der Schlüssel dazu ist "Okaasan", das japanische Wort für Mutter, das ihr zumindest für die letzten Stunden die Tür in die unbekannte Kindheit ihrer Mutter öffnet.

In sehr präziser und trotzdem kunstvoll poetischer Sprache beschreibt die österreichische Autorin Milena Michiko Flašar in ihrem zweiten Buch "Okaasan - Meine unbekannte Mutter" die schwierige Aufgabe, einen geliebten Elternteil beim Sterben zu begleiten. Immer wieder werden Freundinnen und Freunde zu Rate gezogen, die jedoch meist über ihre eigenen Verletzungen berichten und die Sehnsucht nach Aussöhnung in sich tragen. So traurig und bedrückend die Direktheit von Flašars Erzählung zeitweise wirken mag, so finden sich in jeder Seite sehr tröstliche Sätze, die nicht beschwichtigen, sondern erklären, verständlich machen und dem Leser und Beobachter der Szenerie die Möglichkeit geben, sich damit identifizieren zu können, ohne das Buch betroffen beiseite legen zu müssen.

Der Rausch der Sätze

Milena Michiko Flašar schreibt derart behutsam und gefühlvoll über Franziskas Auseinandersetzung mit dem Sterbeprozess ihrer Mutter, dass man annehmen könnte, die Autorin würde hier autobiographisch von ihren Erfahrungen schreiben. Zwar wurde viel mit Angehörigen, die ihre Eltern verloren haben, und auch befreundeten Therapeutinnen gesprochen, doch diese Geschichte entstand genauso wie ihre anderen Erzählungen durch einen inspirativen, fiktionalen Raum.

Die Autorin Milena Michiko Flasar

Ingo Pertramer

Die 1980 in St. Pölten geborene Milena Michiko Flašar studierte Germanistik und Romanistik. Sie lebt in Wien, unterrichtet Deutsch als Fremdsprache und hat vor zwei Jahren ihr Debü "Ich bin" beim Residenzverlag veröffentlicht.

Flašar: "Ich werde oft danach gefragt, was an meinen Büchern Fiktion und was autobiographisch ist. Natürlich sind persönliche Eindrücke, Bilder, Gespräche und Geschichten eingeflossen, aber der Überbau ist sicher Fiktion. Ich wurde auch schon gefragt, ob meine Mutter schon Tod sei oder an Alzheimer erkrankt ist. Und da muss ich sagen, nein. Das Eine hat mit dem Anderen nichts zu tun."

Dass man leicht diese Ebenen verwechselt oder sich zumindest dabei ertappt, die Authentizitätsfrage zu stellen, liegt sicherlich an der stilistischen Ausgefeiltheit und der sehr unmittelbaren Sprache, die sich einfacher und fein gezeichneter Bilder bedient. Wobei Milena Michiko Flašar keine Handwerkerin ist, sondern intuitiv und "rauschhaft" schreibt.

Flašar: "Schreiben ist etwas, was einfach zu mir gehört. Das ist so wie atmen, essen oder trinken. Ich habe auch immer das Gefühl, ich schreibe wenn ich nicht schreibe. Ich muss gar nicht einmal einen Stift in der Hand haben oder beim Computer sitzen, um zu schreiben. Sätze sind einfach da. Es fühlt sich so an, als würde ich mich in einen Raum begeben, mich dort einklinken, wo die Wörter wohnen. Und ich bediene mich ihnen einfach."

Vom Suchen und Finden

Der Umgang mit Verlust ist nur ein Thema von "Okaasan - Meine unbekannte Mutter". Denn nach dem Tod von Franziskas Mutter unternimmt sie eine Reise, um ihre innere Leere zu füllen und genau da beginnt der zweite Teil des Buches. Ihre Suche führt sie nach Indien, an einen magischen Ort, der für sie zum spirituellen Zentrum wird.

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Während Flašars unaufdringliche Poesie den alltäglichen Betrachtungen und der westlichen Welt im ersten Teil eine schöne, magische Atmosphäre verleiht, erhalten die Beschreibungen von stereotypen Aussteigerinnen und rituellen Gebeten und Zeremonien ein bisschen einen esoterischen Touch. Nicht, dass die Autorin nicht wüsste, wovon sie schreibt: Flašar hat schließlich sechs Wochen in dem von ihr beschriebenem Ashram gelebt und dort einen sehr bildhaften und eben poetischen Platz gefunden, wie sie selber meint.

Vielleicht ist es auch die unmittelbare Gegenüberstellung der unterschiedlichen Kulturen, die unvermittelte Konfrontation mit dem Fremden, die einen im zweiten Teil etwas stutzig werden lässt. Allerdings braucht es diesen Szenenwechsel in eine spirituelle Welt, um die Suche nach der eigenen Identität in den Fokus des Buches zu rücken.

Am Donnerstag 15. April liest Milena Michiko Flašar ab 19:00 Uhr aus ihrem Buch "Okaasan - Meine unbekannte Mutter" in der Buchhandlung Liber Novus.

Flašar: "Das ergibt sich sicherlich auch aus meiner persönlichen Geschichte, in zwei Kulturen zuhause zu sein. Das eine ist die japanische und das andere die österreichische Kultur. Eben, zuhause und gleichzeitig auch fremd zu sein. Durch das Heraustreten aus dem Bekannten bewegt man sich auch ins Unbekannte in einem selbst. Ich glaube, viele kennen das Gefühl, was mache ich hier, was ist diese Welt und wer bin ich in dieser Welt. Fremdsein ist ein ganz existenzielles Thema."

Milena Michiko Flašars ist mit "Okaasan - Meine unbekannte Mutter" ein berührendes Buch gelungen. Denn am Schluss der 130 Seiten entlässt einen die junge Autorin, die sich selbst auch als Suchende empfindet, mit einem bereicherten Gefühl.

Flašar: "Ich denke, diese Suchbewegung ist etwas sehr Schönes. Diese Sehnsucht, die dadurch auch ausgedrückt wird. Die Hoffnung, da gibt's noch etwas, da muss es noch etwas geben."