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Thomas Edlinger

Moderiert gemeinsam mit Fritz Ostermayer "Im Sumpf".

10. 4. 2010 - 17:11

Frankfurter im Druckkochtopf

In der Revolutions-Fantasy-Fibel "Deutschland macht dicht" von Dietmar Dath brennen alle narrativen Sicherungen durch. Zum Glück.

Rainald Goetz hat vor kurzem in Loslabern die Betriebslogik der deutschen Republik zwischen Krisenmanagement und Leitkulturdozententum beim großen Partygeschnatter des alljährlichen großen Empfangs der Frankfurter Allgemeinen Zeitung durchleuchtet. Bei Dietmar Dath, dem einstigen Wissenschaftsredakteur der FAZ und einem Mann ohne Respekt, aber mit jeder Menge Anliegen und noch mehr Ideen, heißt die Zeitung nun Erhabene Zeitung. Aber auch die räsonierende Kommandobrücke am Main kann nichts mehr retten, denn das Land, ihr Land, scheint endgültig den Bach runter zu gehen. Es ist bedroht von Fluten, die von außen kommen und sich im Innern auftürmen: vom Wüten des bösen Geldes, das hier als Gespenst sein Unwesen treibt, bewacht vom Ungeheuer Sumsilatipak, was umgedreht Kapitalismus heißt und vom Würgegriff der Nationswächter.

Cover-Illustration: Junge Frau, schwarz-weiß gezeichnet, Trägerleiberl, sieht nach oben

Suhrkamp

Obendrein gibt es auch noch Unzufriedene mit beidem, mit Deutschland und mit dem Kapitalismus. Die sind jung, ohne Furcht und mindestens so systemkritisch wie ihre Stichwortgeber, die letzten geriatrischen Kommunisten mit gut ausgeprägtem Hang zum Durchblick. Rosalie Vollfenster zum Beispiel, 15 Jahre alt, möglicherweise Revolutionärin, auf jeden Fall aber Heldin in diesem gepfefferten Genrebastard "Deutschland macht dicht", zusammengebraut vom Daniel Düsentrieb der aktuellen Zeitbetrachtung, wie ihn die Wochenzeitung Die Zeit unlängst treffend bezeichnet hat.

"In der hübschen, aber viel zu teuren deutschen Stadt Frankfurt am Main lebte ein junger Mann", heißt es am Anfang im ausgeborgten Märchen-Jargon, aber dann hebt dieses unbekannte Erzählobjekt ab wie in den vom Dath so heiß geliebten und immer wieder in seinem eigenen Werk verwursteten Science-Fiction-Romanen die UFOs.

Das vom Verlag als politisches Bilderbuch (illustriert von Christopher Tauber) beworbene Revolutionsmärchen mutiert, wird zur Fantasy-Fabel und zur Gesellschaftssatire und verwandelt sich am Ende gar zu einer Art kommunistischer Offenbarung nach der Apokalypse. Wir stürzen mit Dath in eine Welt, in der fast alles möglich ist, was nach geistiger Öffnung, also letztlich nach Befreiung giert und die Kräfte der Abschottung und Abdichtung in die Luft sprengt. Das darf, nein, das muss man beim ehemaligen Spex-Chefredakteur Dath, diesem (tatsächlich) phantastischen Realisten mit Stumpfmetal-Vorlieben und leninistischen Anwandlungen auch politisch verstehen. Übrigens: Gesprengt wird hier tatsächlich viel und gern, zum Beispiel durch einen islamistischen Krieger auf Autopilot in Käseform, der neben seiner antisemitischen Tiraden gern Eigengestank und Dynamitgeruch verbreitet.

Neben dem mörderischen Stinkekäse namens "Kamikäse" tauchen auch noch Figuren wie ein weiser Hase, ein Cowboy-Jesus und die Wirkkraft der Kunst in Form eines sprechenden Gemäldes namens Ohne Titel auf. All diese "Figuren" (oder soll man sagen: animierten Ideen?) geben zusammen mit aus unserer Gegenwart hinübergeretteten Zeitungsredakteuren, Millionärsgattinnen und renitenten Jugendlichen das Personal für eine herrlich verstrahlte Agit-Prop-Vision einer Zukunft ab, die das Ungebärdige stark macht gegen die dunklen Mächte der Erstickung durch Politik, Ökonomie und Kultur.

Cover

Suhrkamp

Der Zaubertrick zur von Dath ja schon in vielen seiner Büchern herbeigewünschten Abschaffung von Deutschland bzw. der Abschaffung von Bewusstseins- und Artikulationsunterschieden zwischen Menschen, Pflanzen, Tieren und Dingen ist so simpel wie irrwitzig. Die raffiniert und zugleich auch in ihrer Weltveränderungsmanie auch recht manichäisch strukturierte narrative Schlittenfahrt in "Deutschland macht dicht" rast nämlich in eine Art Raumzeitfalte, in der der Staat mit all seinen Machtregimen zusammenklappt wie in einem schwarzen Loch der Anarchie.

Danach erscheint die Ordnung der Dinge genauso verwirrt wie der verödete Verstand der Gegenwart. Das macht aber nichts – im Gegenteil. Denn nun, in diesem Chaos der Utopie, können endlich alle relevanten gesellschaftlichen Probleme, vom Joch des Kapitals bis zur Pein der Nation in einem marxistisch-alchemistischen Voodoo-Inferno entsorgt und überwunden werden. Auf dass wir weder die Welt noch uns selbst mehr so sehen müssen, wie wir uns und sie kannten.

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"Sind diese ganzen Welten vielleicht nur eine Welt? Wie hängt alles zusammen?", wird am Ende gefragt, und die 15-jährige Heldin Rosalie Vollfenster antwortet weiser als der weise Hase und der Cowboy-Jesus alle zusammen: "So wie wir's verbinden."