Erstellt am: 18. 11. 2009 - 14:56 Uhr
Fertig? Los! Labern!
Um schöne Sätze und griffige Slogans war der Mann noch nie verlegen. "Alles was man weiß, vergessen", heißt die Losung diesmal. Sie steht dem Rundumschlag "loslabern" von Rainald Goetz voran, in dem er seine Logorrhoe mit einem erfrischend bernhardesken Touretteeinschlag aufmunitioniert. Scheinbar oder vielleicht tatsächlich (bei Goetz weiß man das ja nie so genau) atemlos notiert, formiert sich aus dem Redefluss eine sowohl amüsante als auch oft prägnante Gegenwartsdiagnose vor dem Hintergrund der taumelnden Börsen im Krisenherbst 2008. Es geht, unter anderem, um die Komplizenschaft der Intellektuellen mit der Macht, um Inszenierungsformen und Erscheinungsbild der Eliten, um ein Sittenbild eines Deutschlands, das im Feuilleton stattfindet bzw. zueinander findet. Und es geht um einen erfrischend unsouveränen, selbst in die Verhältnisse verstrickten Autor, der, (wie so viele seiner Hassobjekte in "loslabern") auch nur "ein Gefangener meiner Gegenwart, fragliche Figur" ist und bleibt.
suhrkamp
Rainald Goetz: Loslabern - Bericht. Herbst 2008. Suhrkamp, 2009
Nicht der große deutsche Gegenwartsroman
Rainald Goetz verbrachte die letzten Jahren ja vorwiegend damit, wort- und fintenreich den große deutschen Gegenwartsroman nicht zu schreiben. Nach seiner subversiv affirmativ gedachten und gefühlten Raveverrücktheit in den 90er Jahren und seiner mit dieser Lebensphase verknüpften exquisiten Rolle als intellektueller Paradeantiintellektueller suchte er sich später neue Objekte der Manie - abseits der Intensitäts- und Sinnangebote der Popkultur. Er fand sie im deutschen Gesellschaftsleben und der Debattenkultur des Feuilletons, das, nicht nur für Goetz, jeden Tag, Ausgabe für Ausgabe, die Welt und ihre Deutung neu erfindet. Zunächst sonderte Goetz im Internet "Abfall für alle" ab, dann bloggte er als schräg-kluges Feigenblatt für Vanity Fair und führte im Notat "Klage" eine ebensolche gegen die Welt. Und immer geht alles weiter, in "loslabern" meist im 5. Gang in Endlossätzen, ab und an vollgebremst auf einzelne, lyrikhaft aus dem Wulst herausgebrochene Wort- und Satzsetzungen, teils hochgekocht zu hochkomischen Ausfällen gegen das "Angeberjargongelalle" der politischen und kulturellen Eliten, dann wieder abgekühlt zu präzisen Mikrobeobachtungen von Gesten und Szenen.
Der Haider Crash war das Realkunstwerk des Jahres 2008
Die Kombination aus Erfahrungshunger und Wissensdurst sorgen im Gesellschaftsreporter Goetz für ständigen Stoffwechsel: Die Bilder der Welt, die Party wie Warhol per Kamera festhalten und die Eindrücke rein in den Kopf. Die Worte dann raus - per Notizbuch, per Netz und jetzt eben wieder mal als Buch. Es geht in "loslabern" um die scheinbar dahingeschnodderte, auch über Zufälle entstehende Verdichtung von Momentaufnahmen zur Lage, die aber keinen Roman als (natürlich unmögliche) Totalität einer Weltabbildung mehr anstrebt, sondern um einen (eigentlich auch unmöglichen) Text, der sich selbst ständig kritisiert, angreift, umarbeitet, der Einspruch gegen sich selbst erhebt, der Frage und Antwort, Entwurf und Kritik zugleich ist. Nach dem Tagebuchessay "Klage" von 2008 begreift sich "loslabern" als zweites Element des work in progress namens "Schlucht", das irgendwann, wenn es denn je fertig wird, so etwas wie eine Erkundung dessen sein soll, was die Nullerjahre gewesen waren. Jetzt, Ende 2009, bleibt dazu nicht mehr viel Zeit. Aber was Goetz über den deutschen Herbst 2008 zu sagen hat, bringt noch einmal die Hysterie und die Katastrophengeilheit jener Zeit in Erinnerung. "Haider legte zum Buchmessenauftakt einen solch genialen Abgang hin in Klagenfurt, Josef Winkler und ich hätten ihn uns nicht schöner ausdenken können. Der Haider Crash war das Realkunstwerk des Jahres 2008."
Zudem arbeitet sich Goetz auch in aller - mittlerweile auch gebotenen Selbstkritik - an der Medienwelt ab, schreibt an gegen ihre Meinungs- und Erklärsucht und weiß doch, dass auch er nicht anders kann, als zu reden, zu erkennen, zu verwerfen und weiterzureden. "Man lehnt nicht Gedanken ab, sondern Menschen, die ihre Ideen zu sein und zu denken, bejahen, anstatt; es gibt keine falschen Gedanken, solange es sich bewegt, und andere ältere Lieder."
suhrkamp/goetz
"Vorwärts in den Irrsinn"
Es sind drei paradigmatische Orte in denen bei Goetz im Herbst 2008 losgelabert wird: auf der Frankfurter Buchmesse, bei einem Abendessen zu einer Ausstellungseröffnung seines alten Künstlerfreunds Albert Oehlen in Berlin und beim großen Herbstempfang der FAZ. Dort treffen sich dann wirklich alle – von der Kanzlerin Angela Merkel bis zu Daniel Kehlmann, von Peter Sloterdijk bis zum Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. Und alle werden von Goetz, dem durch die Säle huschenden Chronisten der hier zusammengeballten Diskurs- und Realmacht, in ihrem Sozialverhalten beobachtet und bei Bedarf auch zugetextet. Goetz sagt von sich, er habe als "mitschreibender Mönch" eine Mission - um sich im nächsten Moment wieder von jeder Hier geht's lang-Perspektive zu verabschieden und Jajaja zu den Widersprüchen zu sagen. "Vorwärts in den Irrsinn" nennt der Asket auf Speed dieses Unterfangen. Wer da noch an seinen Laberlippen klebt, der kann dem meist gerechten Furor dieses Mannes nicht länger widerstehen. Wozu auch?