Erstellt am: 11. 4. 2010 - 15:00 Uhr
Bad Taste(n) Party, Teil 2
Teil 1:
Kritische Hommage an das Akkordeon und kleine musikalische Autobiographie. Achtung! Text kann Spuren von Erdnüssen enthalten!
Lampenfieber steigt nicht direkt proportional zur Größe des Auditoriums. Ab einer gewissen Anzahl an Zusehern verschwimmen die Einzelnen zur Masse, zu einem applaudierenden, lachenden, jubelnden, schwarzen Etwas, das im Scheinwerfer-Gegenlicht als abstrakter Feedback-Klumpen wahrgenommen wird.
In einem chinesischen Restaurant im zehnten Bezirk alleine für eine Familie Akkordeon zu spielen, kann neurologisch wesentlich prickelnder sein als routinierter Stadion-Rock. Wie kürzlich geschildert, hatte ich zugestimmt, zu Ehren einer Seniorin eine fair entlohnte zwanzigminütige Darbietung zu geben. Als die Omi, von der Organisatorin eskortiert, den Chinesen betrat, war sie sehr überrascht.
Nach zwei Sekunden war die Überraschung vorbei. Zur Kurzweil der an einem tennisplatzgroßen Tisch versammelten Verwandtschaft forderte die Greisin lautstark und mit traditionellem Vokabular der Wiener Vorstadt sinngemäß, ich möge vernünftig spielen. Ich tat wie geheißen und kämpfte mich durch eine Tango-Version von "I found my love in Portofino", und zwar zitternd, was der Bedienung eines Musikinstruments nicht dienlich ist. Die sehr kleine und sehr alte Dame attestierte mir zumindest erkennbares Bemühen, verlieh aber gleich ihrem Wunsch Ausdruck, etwas Flotteres zu hören. Während ich schwungvolle Volksmusik anstimmte, begann die Alte, ihren in Familienkreisen wohl berühmten Schmäh einzusetzen. Die Anwesenden waren von den kessen Zoten der Jubilarin sichtlich mehr angetan als von meinen Melodien.

Luca Faccio
Als ich mich endlich etwas besser mit der Situation abgefunden hatte, in einem ansonsten leeren Chinesen für drei Generationen einer größtenteils trüben Familie zu konzertieren, hielt der anwesende Fotograf die aufgedrehte Nonna an, zu posieren. Während ich spielte, hockte sich das federleichte Mütterchen zu diesem Zweck auf meinen Schoß und klatschte dabei enthusiastisch.
Die Stimmung war nun auf ihrem Höhepunkt. Zumindest innerfamiliär, denn das Personal war bereits in die Küche geflüchtet. Als mein Körper nicht mal mehr zur Hälfte aus Wasser bestand (der Schweiß stand mir schon in den Schuhen), war ich mit meiner "Setlist" endlich durch. Als Novize in der Senioren-Geburtstagsmusik-Szene hatte ich jedoch den schweren Fehler begangen, mir keine Zugabe zu überlegen. Also wurde ich auch noch gezwungen, so zu tun, als könnte ich der Greisin liabste Weis' spielen, nämlich "La Paloma".
Am Nachhauseweg war ich rätselhafterweise nicht übel gelaunt, vielmehr recht fröhlich, und nicht nur, weil es endlich vorbei war. Mein Gefühl war vergleichbar mit jener angenehmen Verstörung, die man einige Minuten nach dem Genuss eines einnehmend bizarren Kinofilms verspürt. So war ich auch Wochen später recht angetan, als mich die sympathischen Bassena-Mitarbeiter erneut kontaktierten.
Dieses Mal wurde ich für ein Gartenfest gebucht, das ein für seine Überzeugung von der Revolution über die Grenzen der Schöpfwerk-Siedlung hinaus bekannter Senior für seine Gattin gab. Auf das Geburtstagskind wurde ich jedoch bereits am Telefon vorbereitet. Das Gedächtnis der Dame würde nicht mehr wie gewünscht funktionieren, ich solle mich darauf einstellen, dass sie unkontrolliert schimpfen würde.
Gleich zwei Hausangestellte versorgten die anwesenden Gäste in einem schönen Garten mit herzhaften Amuse-Geules und erlesenem Backwerk. Auch süßer Weißwein wurde kredenzt, ich tat einige kräftige Schlücke und fühlte mich nach der herzlichen Begrüßung durch den rüstigen Revoluzzer und die Verwandt- und Nachbarschaft bereit für meinen zweiten Senioren-Gig.

bassena
Mehrmals wies ich die Gäste darauf hin, sie mögen ruhig schwätzen und mein karges Akkordeonspiel ohne Scheu als Untermalung verstehen, doch sie gehorchten nicht und schwiegen eisern. Das Schweigen wurde nur durch das derbe Fluchen der Jubilarin unterbrochen und das wiederum nur durch Liebkosungen ihres fürsorglichen Mannes. Dass sie ihn aber häufiger als mich mit garstigen Termini bedachte, interpretierte ich als Kompliment.
Nervöser als die Gefeierte machte mich dieses Mal meine unmittelbare Sitznachbarin, eine sehr freundliche Frau, die allerdings blind war und ganz genau zuhörte. Da sie angab, selbst der Akkordeonbedienung mächtig zu sein, musste ich mich sehr um meine Fassung bemühen, da ich sie weder mit meinem makellosen Aussehen noch mit einer eklektischen Songauswahl blenden konnte, wie auch die Sonne sie natürlich als einzige nicht blenden konnte, so sah sie die ganze Zeit im Abstand von einem halben Meter unentwegt in meine Richtung, immer leiser wurde das Fluchen der in dicke Wolldecken eingepackten Omi gegenüber von mir, immer stechender sah mich die blinde Dame neben mir (scheinbar) an.
Meiner steigenden Unruhe wurde schließlich durch den Alzheimer der Jubilarin Abhilfe geschaffen, da sie sich in der zweiten Hälfte meiner Darbietung alle paar Minuten "Lustig ist das Zigeunerleben" wünschte und bei allen vier Interpretationen auch lauthals mitsang. Auch der dürre Revoluzzer zu ihrer Rechten stimmte kräftig mit ein, und so wurde es nach etwas zähem Beginn schließlich ein etwas redundanter ("Lustig ist das Zigeunerleben, faria, faria, ho. Brauchen dem Kaiser kein Zins zu geben, faria, faria, ho"), aber ganz launiger Nachmittag, der freilich nicht ohne eine volle Salve an Anekdoten auskam und mich schließlich wieder mit einem ähnlichen Wohlgefühl wie beim ersten Geburtstagskränzchen in den letzen warmen Abend des Spätsommers 09 entließ.

bassena
Auch im Winter bespielte ich noch weitere Homepartys. Ich sah eingeschlafene Gesichter, gerührte Greise und peinlich berührte Jugendliche. Ehemalige Operettensänger sangen, künftige Akkordeonisten wünschten sich von der Mutter "auch so was" und immer wieder erklärte ich, wie die Quetschn denn nun funktioniert, seit wann ich sie spielen und wofür man sie außer Volksmusik einsetzen kann.
Nachdem ich in meiner Jugend von einer schlechten Lehrerin eben Letzteres nie vermittelt bekommen hatte, habe ich nun also das Akkordeon endgültig wieder für mich entdeckt. Und eine junge Band hat mich entdeckt.
Ob ich nun zu später Stunde in Kellerlokalen oder bei runden Geburtstagen auftrete: Es macht Spaß. Und man kriegt mit dem Akkordeon die richtigen Mädls rum – vor allem Omis, aber auch alljene, die von den ganzen wilden Gitarristen und Drummern schon genug haben.
Auch die wilden Rock'n'Roller sollten bei Gelegenheit mal nachmittags für eine gediegenere Runde unplugged aufgeigen. Im Erwachsenenalter empfindet man derartige Darbietungen nicht mehr als Demütigung, denn es fehlt die Mutter, die einen samt Instrument vor die Verwandtschaft hockt.
Freiwillig absolviert, bieten solche Auftritte die Gelegenheit, die Faustwatschn des wahren Lampenfiebers wegstecken zu lernen, nebenbei Menschen mit Livemusik zu erfreuen, die man selten im Chelsea trifft und vor allem, mal wieder richtig geile Torten zu kosten, denn beim Naschen können wir von den Alten noch viel lernen!