Erstellt am: 28. 3. 2010 - 15:00 Uhr
Bad Taste(n) Party
Im vergangenen Spätsommer wurde ich von einem mir unbekannten 'Teilnehmer' angerufen, wie man telefonierende Menschen heute auch bezeichnet. Unbekannte Teilnehmer haben sich entweder verwählt oder wollen irgendwas. In diesem Fall wollte er etwas, nämlich mich fragen, ob ich gegen Honorar auf der Geburtstagsfeier einer älteren Dame Akkordeon spielen würde. Meine Irritation wurde gelindert, indem man mir nicht nur erklärte, über welche Irrwege man an meine Nummer gelangt war, sondern auch, dass es in der uncharmanten Wohnanlage 'Am Schöpfwerk' die Möglichkeit gibt, sogenannte Gebrauchsmusik zu buchen.
Ich heize gerne ein, verfüge über ein ausnehmend behagliches Sofa und empfange bei günstigen Windverhältnissen über zwanzig Fernsehprogramme, habe also eigentlich Besseres zu tun, als für Rentner zu konzertieren, muss aber andererseits auch die Bankomatkarte stets dreimal umdrehen, weswegen ich für Geld zu vergleichsweise vielem bereit bin, sofern ich dafür nicht mir unbekannte Teilnehmer mit Telefonaten, Flyern oder Spendenverträgen triezen muss.
Außerdem klang die Job Description (hingehen, für Oma spielen, heimgehen) perfekt auf meine Referenzen abgestimmt. Ich war während meiner gesamten Kindheit und Adoleszenz dazu genötigt worden, mein Frühstück zu Radio Salzburg einzunehmen, kenne also jeden, aber auch wirklich jeden Schlager des zwanzigsten Jahrhunderts. Zweitens kann ich recht passabel nach Gehör spielen (C-Dur / G-Dur) und habe durch meine überalterte Verwandtschaft auch früh gelernt, mit Menschen im letzen Lebensdrittel artgerecht dampfzuplaudern.
Wenn ebenjene Verwandten zu Besuch waren, machten meine Eltern etwas sehr Elternspezifisches: Sie baten mich, den Gästen vorzuspielen. So vorbildlich es ist, Kindern die Möglichkeit einer frühen musikalischen Ausbildung samt Instrument anzubieten, so seltsam ist die Idee, minderjährige Musiker hätten irgendein Interesse daran, ihre Begabung Kaffeekonsumierenden Tanten zu demonstrieren.
Deshalb seien hier drei nicht unbedingt goldene, aber trotzdem ganz nützliche Regeln für Eltern musizierender Kinder eingestreut:
1. Auch Siebenjährige können entscheiden, ob sie gerade Lust haben, den Flohwalzer zu interpretieren
2. Talent kann eher regelmäßiges Üben ersetzen als umgekehrt
3. Die Blockflöte ist ein schreckliches Instrument, das wohl dem Großteil der Gesamtbevölkerung schon früh jeden Ansporn zu weiterem Fiedeln, Klimpern, Blasen, Posaunen oder Zupfen verdirbt.

bassena
Nachdem ich mir ein ansprechendes Potpourri aus wohlvertrauten Evergreens zusammengeschustert hatte, stand ich mit meinem Maurerklavier an einem entweder sonnigen oder verregneten Sonntagnachmittag (Erinnerungslücke) am vereinbarten Treffpunkt, wo mich ausnehmend freundliche Mitarbeiter der 'Bassena' abholten, um mich zu einem chinesischen Restaurant zu führen. Dort harrte eine ungefähr zehnköpfige Belegschaft der Ankunft der musikalisch zu überraschenden Jubilarin. Die aus den Gesichtern der Anwesenden abzulesende Party-Moral schien direkt proportional zum Lebensalter zuzunehmen, das heißt: Die jüngeren Gäste nuckelten unmotiviert an ihren verdünnten Fruchtsäften und sahen etwas feindselig in meine Richtung. Mit der Oma Geburtstag feiern und dann auch noch einem peinlichen Quetschn-Luzifer im Schafspelz zuhören zu müssen, wirkte verständlicherweise wie eine kaum zu ertragende Qual-Potenzierung.
Ron Tyler Archiv - Referenzen:
0072 / Ist Gstanzlsingen noch modern?
0019 / Sind Jugendliche zu frech?
Jeder Mensch, der Akkordeon-Musik auch ein kleines bisschen unerträglich findet, genießt mein vollstes Verständnis. Schon zu viele Fußgängerzonen unseres Erdenrunds wurden von der Besame Mucho-al-Qaida infiltriert, um die Ziehharmonika noch uneingeschränkt schätzen zu können. Laut meiner inneren Stimme bin ich auch eher Bassist oder Trompeter. Als Kleinkind konnte man mich aber ganze Nachmittage mit Videoaufzeichnungen der volkstümlichen Revue 'Musikantenstadl“ elektrisieren. Die bunten Ziehorgeln begeisterten mich vorrangig. Mit den Sofakissen spielte ich enthusiastisch Luft-Akkordeon, eine rare Disziplin, in der es gottlob keine Weltmeisterschaften gibt. Meine Eltern waren bei 'Sinnvollem' ungleich großzügiger als bei Konfekt und Kunststoff-Flinten und schenkten mir eine gut erhaltene kleine Hohner Concerto samt Lehrerin.
Diese lehrte mich in den nächsten Jahren das große Einmaleins der Volksmusik. Davon hatte ich mit fortschreitender körperlicher und geschmacklicher Reifung die Schnauze voll und tauschte das Akkordeon gegen - what else - die Gitarre. Als dann aber die Gitarristen im Freundeskreis auch an zwei Hornhaut-Händen nicht mehr abzuzählen waren, musste ich die nächste Coolness-Stufe zünden und begann fortan, alle erdenklichen Instrumente zu sammeln, von denen ich auch heute eine Vielzahl noch nicht beherrsche. Nur das Akkordeon entdeckte ich erst vor einigen Jahren plötzlich wieder für mich und darf jetzt sogar mit richtigen Musikern mitspielen, die noch immer nicht gemerkt haben, wie schlecht ich eigentlich bin.
Heute kenne ich wenigstens die unverzichtbaren Vorzüge der unhandlichen Ziachn. Ihr Variantenreichtum lässt viele Experimente zu und fügt sich in (immer wieder überraschend) viele Musikstile mal bereichernd, mal wie selbstverständlich ein. Akkordeons sind schöner als Trommeln oder Keyboards. Und vor allem: Man hat notfalls was zum Pläsir von langweiligen Gästen in der Hinterhand.

© Luca Faccio
Da sitzt man und hat schon erzählt, wie viel man Miete zahlt, so am Tag raucht oder Geschwister hat und die letzte U-Bahn ist immer noch nicht gefahren. Wenn auch nach der dritten Flasche Wein (Hofer, 1,99) gar nichts mehr geht, ist es ratsam, das eine oder andere Gast-Unterhaltungs-Utensil bereitzuhalten. Hierzu können zum Beispiel moderne Spielkonsolen, seltene Autogramme, originelle Uhren oder eben ein Akkordeon zählen. Man kann zuerst ein Stück vorspielen und dann den Gast ungeschickt herumdrücken und -ziehen lassen. Daraufhin schöpft der Gast in aller gebotenen Maßlosigkeit aus dem Gäste-Akkordeon-Anmerkungen-Katalog:
- "Wow, woher weiß man denn, welche Bassknöpfe man drücken muss?“
- "Die ist aber schwer!“
- "Ach so, ich muss ziehen!“
- "Ich kann vielleicht noch den Flohwalzer!“
- "Und wofür sind die da?“ (Gast entdeckt die Registertasten)
- "Und wie lange hast du das gelernt?“
- "Dann kannst du ja auch Klavier spielen!“
- "Ich geb sie dir lieber wieder.“
So hat man inklusive Antworten routiniert eine Viertelstunde totgeschlagen und subtil ein bisschen Exklusivität demonstriert. Dass man eigentlich eher bescheiden spielt, merkt der unkundige Gast nicht, da man mit kaum einem anderen Instrument so effektvoll Virtuosität vortäuschen kann.
So ist die Harmonika vielleicht das perfekte Tool für Würschtln wie mich, die gerne so tun als ob.
Teil 2:
Seltsame Gigs auf Senioren-Geburtstagen.
Genau das war auch die wichtigste Qualifikation bei meinem ersten Senioren-Konzert im chinesischen Restaurant am Schöpfwerk. Bevor die Oma eintraf, konnte ich auf das oben angedeutete F&Q-Repertoire zurückgreifen und ahnte noch nicht, welch zu reiner Energie mutierter Methusalem gleich erscheinen würde.
Davon nächste Woche mehr.