Erstellt am: 18. 3. 2010 - 19:31 Uhr
Utopie kaputt
Jetzt sitzt man da und glaubt, das ist Österreich. Ein bisserl zumindest hat jeder das Gefühl, dass hier in Graz auf dem Festival des heimischen Films, also der Diagonale, die trotz ihres Namens (woher kommt der eigentlich, weiß das jemand?) ziemlich straight forward ist in ihren fünf voll programmierten Festivaltagen und gefühlten 368 Podiumsdiskussionen, jeder alles zeigt, was er hat, dass hier im Frühlingssonnenorange, zwischen frischgrünen Blättern und der letzten Winterluft die Katze aus dem Sack gelassen wird. Marschrichtungen werden vorgeschlagen, Ideen gepflanzt, andere geerntet. Wichtiger als die Vorführungen der einzelnen Festivalfilme und die erhofften Interessensbekundungen der einheimischen, insbesondere aber der internationalen Branchengäste, erscheint mir das freundschaftliche Gespräch bei einer Tasse Kaffee, das improvisierte Abendessen oder auch der verführerisch zusammen gemixte Kalaschnikow, so etwas wie das inoffizielle Getränk einer jeden Diagonale: darüber finden die Leut’ zsamm, wie man so schön sagt.
Fesch schaust aus!
Einen wichtigeren Temperaturmesser als dieses Festival zur Bewertung der einheimischen Filmproduktion kann ich mir gar nicht vorstellen. Weil nämlich die Repräsentation, das Fesche und Zusammengezurrte (sagt die Mama: kampel dich bevorst aussi gehst!) im Antlitz und der Außenwirkung auf der Diagonale ebenso wichtig sind wie beim Opernball, weil das Festival in seinem nunmehr zweiten Jahr unter Leiterin Barbara Pichler sich immer noch nicht ganz von der eitlen Selbstbeweihräucherung und –überschätzung hat trennen können. Wie die Filmlandschaft auch, die jetzt vermutlich noch auf Jahre hinweg das Waltz-Mantra vor sich her summt. Durch diesen Schlagwortparcours muss man erst mal durchtauchen können, ohne aufstoßen zu müssen, diesen Hülsen von „Vielfalt“ und „Anspruch“ und „internationaler Anerkennung“ muss man erst mal begegnen und ihnen etwas entgegen setzen können. Und der Waltz, ja der schwebt hier, habe ich das Gefühl, fast schon wie der Geist eines gefallenen Soldaten, die zarte Nachahnung eines verlorenen Sohns, über allem und jedem.
Ulrich Seidl
Vielleicht wäre der Mut zur Kontroverse ja auch zu viel verlangt, gegeben hat es sie aber durchaus schon. 1995 etwa lässt der damalige Intendant Heinrich Mis die Diagonale mit Ulrich Seidls Tierische Liebe eröffnen, einer ungnädigen, für den Regisseur typisch anfiktionalisierten Dokumentation über des Österreichers Liebe zum Vieh, die fallweise weit, sehr weit geht. Die Nation schreit damals unisono auf, Seidl wird zum Staatsfeind symbolisiert, ein Perversenporno eröffnet „unser“ Fest, also bitte, das darf nicht sein. Pfui Gack.
Archäologie des Kinos
Ja und heuer bin ich nicht einmal mehr zur einleitenden Zeremonie (Kollegin Maria Motter war dabei) angereist in das Fascho-Relikt namens Helmut List-Halle, wo dann die Sponsorenköpfe in gönnerhafter Facon Sprudelwein runter leeren und Kunst feiern, wo keine ist; sie wissen’s halt nicht besser, die Ahnungslosen. Ich will das hier nicht falsch verstanden haben, denn, wie eingangs formuliert, erfüllt die Diagonale wichtige Aufgaben, ja, sie ist eigentlich unersetzlich in der heimischen Kulturlandschaft. Aber gerade darum muss sie in Zukunft einfach besser und bissiger werden, absteigen vom Diskursschlachtross, abkommen von den ganzen Kuratorendiskussionen, die sich dann Kuratoren anhören und Kuratoren weiter erzählen. Kino wird hier seltener gefeiert als beerdigt, wie Archäologen hocken immer alle herum und reden über das Gesehene, als wär’s ein Relikt, jedenfalls etwas Totes.
An den Filmen liegt’s nämlich nicht, obwohl man freilich an der Selektion etwas ändern könnte. Wer wählt denn da in welchem Gremium aus, welche österreichischen Filme da jetzt am österreichischen Filmfestival laufen sollen? Ein Bekannter schlägt gestern beim Nachmittagskaffee ein spannendes Modell vor: wieso überlässt Frau Pichler nicht ein Kino den Abgelehnten, auf dass sie es bespielen, selbst bewerben, selbst für den Kartenverkauf verantwortlich sind. Ich bin mir sicher, das Haus wäre voll, weil man will ja schon sehen, was die Diagonale nicht zeigen will, oder?
Hab ich schon erwähnt, dass ich Graz mag? Eine perfekte Mischung aus alter Mode und neuen Wellen, aus entzückendem Statusbewusstsein und andauernder Veränderung: die Häuser sind schöner, die Menschen hübscher und freundlicher als im Wiener Moloch, aus dem ich komme; oft ziehe ich hier singend durch die Straßen, so glücklich macht mich diese Stadt. Das kann natürlich auch daran liegen, dass ich mit meiner bisherigen Ernte hier zufrieden bin, wiewohl beides Arbeiten von deutschen (!) RegisseurInnen sind, eine davon immerhin mit österreichischer Produktionsbeteiligung.
Gartenbaukino
Lynchjustiz
Ende 2007 sitze ich mit einigen Freunden im bis auf den letzten Quadratmeter gefüllten Wiener Gartenbaukino, blicke ehrfürchtig aufs Podium, auf dem David Lynch steht und erzählt, ganz wenig von ihm, ganz viel von der Transzendentalen Meditation, die er zu diesem Zeitpunkt bereits seit über dreißig Jahren praktiziert. Ich erinnere mich an diese obskure Veranstaltung, stolz präsentiert von der Viennale, ich erinnere mich auch an meinen inneren Kampf danach, meinen erfolglosen Versuch, den von mir verehrten Filmemacher Lynch mit dem Esoterik-Kasper, der palavert von Unbesiegbarkeit und so weiter, unter einen Hut zu kriegen.
Genau so ist es dem deutschen Regisseur David Sieveking gegangen, als er sein Projekt David wants to fly begonnen hat, teilweise auch, um aus seiner eigenen Schaffenskrise auszubrechen. Er besucht die US-amerikanischen Zentren der TM-Bewegung, erarbeitet sich das Vertrauen der Rajas, die allesamt dem Guru Maharishi Mahesh Yogi folgen. Er taucht ein in die Heils- und Erfüllungsversprechen, da ihm sogar Mister Lynch, also sein Idol, im Interview eine große Zukunft prophezeit, wenn er sich auf den Pfad der Erleuchtung begibt.
Navigator Film
Sieveking kommen aber nach und nach Zweifel an den Motiven der Bewegung: in mehreren Recherchegängen kommen beunruhigende Fakten zutage, darunter, dass sich reiche Westmenschen den Raja-Titel und damit die Erleuchtung sowie den persönlichen Kontakt zum versteckt lebenden Yogi für die Summe von einer Million Dollar erkaufen können. „David wants to fly“ ist entgegen meiner anfänglichen Befürchtungen kein zynisches Lehrstück über falsche Spiritualität geworden, auch keine obszöne Bloßstellung von Andersgläubigen, sondern ein Entwicklungsroman, sehr persönlich, weil aufgebaut auf dem Regisseur selbst, der, wenn man so will, seinen eigenen Erleuchtungspfad betritt.
Der scheint allerdings zu hell für die Oberen der TM-Bewegung inklusive David Lynch, der, nach Angaben der Produzenten, sogar Berlinale-Direktor Dieter Kosslick angerufen und ihn gebeten hat, „David wants to fly“ nicht auf seinem Festival zu zeigen, was der dann allerdings trotzdem getan hat. Mittlerweile befinden sich mehrere Klagen gegen die Produktion in der Schwebe, im kommenden Herbst soll der Film auch in den österreichischen Kinos gestartet werden. Dazu von meiner Seite schon eine Empfehlung.
Es war einmal die Unschuld
Auch vom Zerfall einer Utopie erzählt der deutsche Dokumentarfilm Die Kinder vom Friedrichshof von Juliane Großheim, in dem sie fünf junge Menschen, die ihre Kindheit und Jugend in der Mühl-Kommune verbracht haben, zu ihren Erfahrungen befragt. Das Ergebnis ist wenig überraschend eindeutig zweideutig: erzählt wird von der strengen Hierarchie, öffentlichen Bloßstellungen, aber auch der bedingungslosen Liebe und den Freiheiten, die sie im satten burgenländischen Grün erlebt haben. Der eigentliche Grund, sich den Film anzusehen, sind aber die vielen Archivfilme, die Großheim zur Illustration in ihren Talking Heads-Film einarbeitet: ein Zehnjähriger spielt Adolf Hitler in einem von Otto Mühl produzierten Kommunenkinderfilm, nackte Kleinstmenschen bekleckern sich mit Farbe und stürzen sich auf Leinwände oder tanzen ausgelassen zwischen klatschenden Erwachsenen.
unafilm köln
Im Kern beweisen sowohl „David wants to fly“ wie auch „Die Kinder vom Friedrichshof“ die Menschlichkeit der Unmenschlichkeit, die Unvermeidbarkeit, dass jeder auch noch so gute Gedanke, jede selbstlose Idee, sei es der Weltfrieden, ausgerufen von einem indischen Guru oder die neue Gesellschaft, heran gezüchtet in Österreich, im Längseffekt davon pervertiert wird, weil Menschen an der Macht diese Macht auch ausnutzen, nicht immer zum Wohl der Allgemeinheit.
Und weiter?
Zwei volle Diagonale-Tage liegen noch vor mir: unter anderem freue ich mich auf die neue Produktion von Peter Kern mit dem poetischen Titel King Kongs Tränen (ich heule schon jetzt) und Marvin Krens in Deutschland produzierten Zombiefilm Rammbock.