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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

17. 3. 2010 - 17:34

Eine Wurzelbehandlung

Die Diagonale eröffnet mit "Der Kameramörder" nach Thomas Glavinic' Roman. Ein Abend wie eine Wurzelbehandlung.

Ein nettes Buch kann auch ganz unterhaltsam sein. Thomas Glavinics "Der Kameramörder" steht gewiss nicht unter Ganz Nett im Billy-Regal. Doch zum Ikea-Katalog-Schauen später, vor dem Eröffnungsfilm "Der Kameramörder" von Robert Adrian Pejo wurden bei der Eröffnungsgala die Nervenbahnen bereits auf das Kommende vorbereitet. Zu Beginn schien die abendliche Gefühlswelt noch heil.

Welche Aufgabe die Diagonale hat, warf Intendantin Barbara Pichler als zentrale Frage in ihrer Eröffnungsrede auf, das war richtig und ist wichtig. Pichler definiert ihre Vorstellung von Festival: Bestimmt von der Leidenschaft für Film, sollte das Festival Kino begleiten, präsentieren und kommentieren - in einem Raum, der nicht einzig von ökonomischen Interessen bestimmt noch zwischen Kunst und Kommerz geteilt werde. Eventkultur zur Verwertung von Kunst führt zur Frage nach der Zukunft der Diagonale. Pichlers Antwort: "Gegen die Isolation zu stehen, die der einzelne große Erfolg mit sich bringt, und für die Kommunikation der Filme untereinander" sei Aufgabe des Festivals des österreichischen Films, bevor der Trailer von Billy Roisz erstmals vor einem Film rötlich-gelb-grün flackerte.

Manch andere würden offensichtlich lieber noch mehr rot(en Teppich) und mehr Glamour in Graz sehen. Die Vergabe der Schauspielerpreise schielte mir ein bisschen zuviel Richtung Hollywood.

Erröten

Konstanze Breitebner hielt die Laudation auf Andreas Lust, Empfänger des Diagonale Schauspielpreises 2010. Overacting ist auch Acting und wenn man spoilert, dann so richtig und mit unmittelbar folgender Empfehlung, sich den Film doch selbst anzuschauen. Ich wusste nicht mehr, wo hinschauen aus Angst, Breitebner würde in der nächsten Sekunden Szenen aus "Der Räuber" nachstellen. Viel hat nicht gefehlt. Sehnlichst habe ich mir Barbara Pichler mit ihrer sympathisch unprätentiösen Art zurück ans Mikrofon gewünscht.

Freunde rätseln noch heute, ob Andreas Lust bei seiner Dankesrede einen sich bedankenden österreichischen Schauspieler gespielt hat. Das ist mir dann doch zu misstrauisch, ich glaube an ehrliche Freude und "Das bin doch ich" wurde noch nicht verfilmt. Ich halte Lusts Aussage, die Diagonale ist Körperpflege für einen Ansatz, der mit dem Konzept der Intendanz d'accord geht. Andreas Lust geht ruhigen Schrittes zur Seite.

Szenenbild aus dem Film "Der Räuber"

THIMFILM

Andreas Lust und Franziska Weisz in "Der Räuber"

Tilda Swinton kam in der Laudatio auf Franziska Weisz öfter vor als die 29jährige österreichische Schauspielerin selbst, die den Diagonale Schauspielpreis 2010 bekam. Auf Christoph Waltz wird in der Laudatio nicht vergessen, der ist ja auch als "Supporting Actor" tätig und da hinkt so ein weiterer Vergleich über den offensichtlich herbeigewünschten imaginären roten Teppich. Den hat die Diagonale allerdings nicht, nur rote Fahnen in ganz Graz.

Überraschend uneitle Anekdoten gab Klaus Maria Brandauer, Schauspieler, Regisseur und Max Reinhardt Seminar-Professor zum Besten.
Keine Überraschung, dass Klaus Maria Brandauer mit dem Großen Schauspielpreis der Diagonale geehrt wurde. Das war vorab bekannt, ich überlege noch immer, in welchem österreichischen Film Brandauer zuletzt zu sehen war. Auch Brandauer selbst deutete den Preis als Würdigung seines Lebenswerks, nicht ohne unterhaltsamen Seitenhieb: mit Anfang Vierzig hätte man ihn bereits in Deutschland für sein Lebenswerk geehrt, dagegen hätte die Heimat Anstand bewahrt und sich Zeit gelassen.

Und dann war's auch endlich Zeit für den Eröffnungsfilm 2010: "Der Kameramörder" von Robert Adrian Pejo.

Aalglatt

Über dreißig lernt man keine besten Freunde mehr kennen, sagt Andreas Lust in seiner Rolle als Heinrich in „Der Kameramörder“. Weil die Zeit nicht reichen würde, einander so in- und auswendig zu lernen. Beste Freunde, das waren Heinrich und Eva und Thomas, nun sind sie um die Vierzig und zu einem Wiedersehen in einem Holzbetonquader am Neusiedlersee unterwegs, umringt von Wasser und Schilf. Die Idylle trügt natürlich. Drei Nachbarsbuben verschwinden, im Netz zeigt ein Video die angsterfüllten kleinen Gesichter durchs Schilf um ihr Leben rennen. Suspense, suspense! schreit mir ein roter Gummistiefel entgegen, den Heinrich im grünen Schilf erspäht. Den Fund behält er für sich.

Filmausschnitt aus "Der Kameramörder": Zwei Pärchen spazieren durch Schilf

Lotus Film/Laszlo Bolyki

Der Beziehungsschlamm quillt in den ersten Szenen über. Eva und Thomas tanzen Tango, als wären sie bei einem Casting für einen Wein-Werbespot und der Kühlschrank zuhause seit Tagen leer. Nicht nur Thomas’ jüngere, ungarische Freundin Sonja steht bei der verzweifelt inszenierten Vertrautheit samt aufloderndem Verlangen vor Unverständnis mit ungläubigen Telleraugen daneben - ich durfte ja sitzen. Ja, ich hab’s kapiert: ein klarer Fall von Dreiecksbeziehung entfaltet sich, der mit seinen unklaren Gefühlswelten aufwühlen hätte können. Hätte auch für all jene spannend werden können, die die Romanvorlage von Thomas Glavinic kennen: Eine Eva, die zwei Adams liebte, sich für einen entschieden hat, der doch vielleicht nicht die Liebe und eventuell die richtige Entscheidung war, ringt kinderlos mit sich und schon lange nicht mehr mit dem gewählten Adam.

Doch diese Eva ist blass und dünn und kichert an unpassenden Stellen, hysterisch wie Frauen in von Männern zugeschriebenen Bildern. Mein Sitznachbar hat heute blaue Flecken, mein Ellbogen zuckte des Öfteren zur Seite (unkontrolliert, wie wir Frauen halt sind). Wie das Wohnzimmer gestalten sich die Beziehungen der Pärchen als billige Kopien von Fotostrecken aus Beautiful Living-Magazinen: verzweifelt stylish weiß, unpersönlich und aalglatt austauschbar. Einige Szenen hindurch habe ich mir die Zeit mit Zählen der Möbelstücke aus Ikea-Katalogen vertrieben, vermutlich ließe sich das Spiel mit skandinavischen Bekleidungsherstellern über weite Filmstrecken spinnen. Sympathien lassen sich schwer verteilen auf die Kammerspielfiguren von „Der Kameramörder“, ein paar Lacher verdankt man abartigen Lust-Sagern.

Filmausschnitt aus "Der Kameramörder": Ein modernes Haus mit Flachdach direkt am Neusiedlersee

Lotus Film/Laszlo Bolyki

Was mit Kätzchen passiert, wenn ein Kindermörder im mannshohen Schilf sein Unwesen treibt, ist vorhersehbar dumpf wie leider vieles im "Kameramörder" geraten ist. Verwischte Szenen im nachtdunklen Schilfgürtel, huch! Verregneter Brunch auf der Terrasse, wie nett! Ene, mene, muh, raus bist, Mörder, du!

"Der Kameramörder" von Robert A. Pejo startet am 26. März 2010 in den österreichischen Kinos

Auf der Strecke bleibt das Verbrechen, um das hier ein Psychothriller gestrickt werden wollte. Die verwackelte Handkamerasequenz mit der Jagd auf die kleinen Buben schafft kurz Berührung. Mir fallen die realen Überwachungskamerabilder aus Leipzig ein, die einen blonden Bub neben einem Mann zeigten. Die letzten Bilder vor seinem Tod, die später zum Täter führten.

Demnächst

"Snuff Videos" spielen auch in Ludwig Wüsts Film "Koma" eine zentrale Rolle. Der läuft nach der Viennale auch auf der Diagonale und wer schwache Nerven hat, wird sich die erste Szene über die Gesichter der Nebensitzenden erschließen müssen.

Heute werde ich mir "Verliebt, verzopft, verwegen" von Katharina Lampert und Cordula Thym anschauen, die Hoffnung auf ein geglückteres Frauenbild stirbt zuletzt.