Erstellt am: 1. 3. 2010 - 11:25 Uhr
Der Marathon-Mann
Johann Rettenberger sitzt und läuft. Ersteres in der Strafvollzugsanstalt Stein, zweiteres in deren Hof. Runde um Runde. Um dann, wenn er zurück in die Zelle muss, sich auf ein Laufband zu stellen und weiterzulaufen. In einer fast quälend langen Sequenz, in der das Quietschen des Laufbandes einem das Trommelfell einrennt. Wer bei diesem Geräusch trainiert, ist ein vom Laufen Besessener.
Benjamin Heisenberg hat mit "Der Räuber" aus der Geschichte des "Pumpgun-Ronnie", der in den 80er Jahren in Österreich Schlagzeilen machte, eine Bewegungsstudie gemacht, oder besser: Eine packende Studie über Bewegung als Bestimmung. Seit Lola ist auf der Leinwand niemand mehr so gelaufen.
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Wegem dem Geldverdienen muss man sich bei ihnen ja keine Sorgen machen, meint Bewährungshelfer - und Bewährungsprobe für meine Nerven - Markus Schleinzer. Nun, da hat der Mann Recht. Aber Geld interessiert Rettenberger ohnehin nicht. Die Überfälle, die er gleich nach seiner Haftentlassung wieder begeht werden als wären sie Teil des Trainingsplans, scheinen wie eine zwingende Notwendigkeit, für die atemlosen Fluchten danach (post-Raub, quasi), durch Wiener Straßen und Keller, über Mauern und durch Wälder. Manchmal stiehlt er Autos auf der Flucht, dann wird gefahren statt gelaufen, doch es bleibt eine hetzende Rastlosigkeit, ein verzweifeltes Klammern an die Fortbewegung, begleitet von Radionachrichten über seine Taten.
Großen Reiz zieht der Film aus der Weglassung, wir wissen nicht viel über Rettenberger und Heisenberg versucht auch nicht, ein Lehrstück in Sachen Verbrechensspsychologie zu zimmern. Rettenberger ist eben Läufer und Räuber. Beide Aktivitäten sind Ventil für eine unerklärliche Energie, vor der der so ruhig wirkende Mann nur so strotzt.
Andreas Lust hat jegliche Farbe und Gefühlsregung aus seinem Gesicht verbannt, sein Rettenberger ist ein fahler, stoischer Mann, keiner der großen Worte und Gesten. Man muss schon genau schauen, um sein Nicken oder Kopfschütteln zu erkennen. Die Sichtbarmachung von Emotionen übernimmt ein Computer, der Rettenbergers Herzfrequenz zeigt: Dort, wo die Kurve nach oben ausschlägt, da hat er mal wieder mit Pumpgun und Maske eine Bank überfallen. Mit einer Gummimaske, die die Unbeweglichkeit seiner Gesichtszüge imitiert.
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Räuber und Gendarm
Das Laufen, die Bewegung, ist das einzige, worin Rettenberger funktioniert, sein Dilemma ist, dass sie als Dauerzustand nicht machbar ist. In der Altbauwohnung seiner Freundin Erika (Franziska Weisz) wirkt er genauso eingeschlossen wie in der Gefängniszelle. Die Kamera von Reinhold Vorschneider fängt beides herausragend ein: die mitreißenden Läufe und den verhassten Stillstand. Noch nie hat das Sitzen in einem Lehnstuhl derart quälend unaushaltbar ausgesehen wie in "Der Räuber". Heisenberg selbst beschreibt seine Figur auf der Flucht in Interviews immer wieder wie einen Wolf, der bei "Räuber und Gendarm" den Herren in der Uniform einen Laufschritt voraus ist. Und tatsächlich wird Rettenberger bei einer Hetzjagd durch den Wald gefilmt wie ein gejagtes Tier.
Andreas Lust ist derart großartig, dass man auf die Nebenfiguren getrost verzichten könnte, denn im Dialog mit ihnen entblößt der Film seine Schwachstelle, der Umgang mit Sprache. Da finden Pausen zwischen Dialogen statt, die nach schnödem, muffigem Autorenfilm riechen, da sind Sätze, deren Künstlichkeit zum Himmel stinkt.
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"Der Räuber" läuft (sic!) seit 26. Februar in den österreichischen Kinos
Doch während der Film sprachlich manchmal schwächelt, erweist sich Heisenberg als sorgsamer Arrangeur von Geräuschen, was in einer eindrucksvollen Einstellung darin gipfelt, dass sich die Kamera vom eigentlichen Geschehen abwendet und Scheibenwischer das Tok-Tok, Tok-Tok eines Herzschlages intonieren. Und wie die Scheibenwischer toktokend ihren Bewegungsradius nicht ändern können, so ist auch Rettenberger zwar ständig in Bewegung, kommt aber nicht von Fleck. Er rennt immer im Kreis, wenn auch nicht immer im Gefängnishof; der Ausbruch aus dem Kommissariat ist möglich, der aus dem eigenen Teufelskreis nicht. Heisenberg macht aus Rettenberger keinen Helden, er macht ihn noch nichtmal sonderlich sympathisch; dennoch hetzt man mit ihm mit, sodass man nach dem Film erstmal ordentlich nach Luft schnappen muss.