Erstellt am: 21. 2. 2010 - 17:14 Uhr
Blair Ditch Project
Wer er denn sei, fragt der aus dem Flieger entstiegene, ehemalige britische Premierminister in Richtung Ewan McGregor. "I'm your ghost", erwidert der und weiß noch gar nicht, wie recht er hat. Zwar steht ghost offensichtlich in der Welt der wortfaulen Verleger für ghost writer, doch McGregor wird als namenloser Autor tatsächlich zum Gespenst für Adam Lang, das mit den Ketten der Vergangenheit rasselt. Und mehr noch: Nicht nur soll er mit den Memoiren Langs Leben neu schreiben; er wird auch Langs Zukunft neu schreiben.
Exil aus Waschbeton
Der inzwischen unpopuläre Populist Lang (Pierce Brosnan) ist ein fiktionalisierter Tony Blair, der sich nach seiner Amtszeit in das Land zurückgezogen hat, dessen Marionette er zuvor war: die USA, genauer die Insel Martha's Vineyard, an deren Strand vor einigen Tagen der leblose Körper des eigentlichen Ghostwriters angespült wurde. Für Sentimentalitäten ist keine Zeit und so wird mit McGregor ein neue Ghostwriter engagiert, der mit Politik eigentlich nichts am Hut hat und dem angesichts der Fernsehnachrichten dann klar wird, dass das ein schwieriger und heiklerer Auftrag ist als angenommen: Adam Lang wird immer häufiger mit Kriegsverbrechen, Folter und der CIA in Zusammenhang gebracht. Der Aufenthalt auf Martha's Vineyard ist kein Urlaub, sondern eine Fluchtstätte vor einer Anklage aus Den Haag. Langs Haus ist eine Festung aus Waschbeton, ein Hochsicherheitstrakt, gepeitscht von Regen und Wind.
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Ein luxuriöses Exil aus Glas und dunklem Holz, das für Lang, seine Assistentin und seine Frau Ruth ein Gefängnis ist. Sie fühle sich wie Napoleons Frau auf St. Helena, sagt Ruth, und wenn Lang sich mit ausgestreckten Armen gegen die große Fensterscheibe lehnt, verstärkt sich das Gefühl des Eingesperrt-Seins noch mehr. Mag sein, dass die Macht ihn korrumpiert hat, die jetzige Machtlosigkeit macht ihn fahrig und feindselig, sein Joggen über die Insel wirkt wie ein verzweifelt-sinnloser Ausbruchsversuch.
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Gegen Wind und Wetter
Vor dem Haus sieht man immer wieder einen Gärtner beim Kehren der Terasse, kämpfend gegen den Wind und die neu herbeigewehten Blätter. Ähnlich sisyphosartig wird auch das Bestreben, Langs Weste möglichst weiß zu halten, und ähnlich verzweifelt wird der Ghostwriter schließlich auch mit Widrigkeiten aus hohen politischen Kreisen hadern. Wehende Blätter werden einem später im Film nocheinmal begegnen, in einer Einstellung, die Schönheit und Drama eint.
Regisseur Roman Polanski ist kein Suspense-Architekt, aber er beherrscht den Suspense der Architektur. Wie auch in "Der Mieter", "Repulsion" und "Rosemary's Baby" wird ein Haus zum unheimlich-unangenehmen Protagonisten; es gaukelt Komfort und Wohlstand vor, doch ist es ein Ort der Unsicherheit und Klaustrophobie.
Hitchcock-Anleihen
Unsicher wird auch McGregor mit der Zeit, er stößt auf Ungereimtheiten in Adam Langs Biografie, die dunklen Flecken dessen Vergangenheit kombiniert mit aktuellen Anklagen und dem Tod des ersten Ghostwriters machen die Angelegenheit zu einer Gefahr für sein eigenes Leben. Die Verwicklung eines sogenannten Normalbürgers in Verbrechen, geheime Staatsaffären, Verschwörungen und politische Intrigen ist ein Lieblingsthema der Filmgeschichte: Polanski selbst ließ in "Frantic" Harrison Ford als unbedarften amerikanischen Arzt durch die Pariser Unterwelt hetzen und bei Alfred Hitchcock, dessen Geist Polanski in "The Ghost Writer" an einigen Stellen beschwört, ist dieses Motiv Grundbaustein einiger Filme. Hitchcock'scher Natur auch die Frauen-Konstellation: Die blond bebobte Assistentin Amelia (Kim Cattrall) und Langs graugesträhnte Ehefrau Ruth (Olivia Williams) bilden gemeinsam mit dem jovialen Lang ein angespanntes Dreieck. Angst und Lügen beherrschen Polanskis Figuren, alle haben sich zur Sicherheit einen Janus-Kopf wachsen lassen und versuchen ihr Gesicht zu wahren, indem sie der Öffentlichkeit nie ihr wahres zeigen.
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Atmosphärisch lässt Polanski die Unsicherheit regieren, Misstrauen bestimmt den Umgangston und McGregor, der am Anfang noch während der Arbeit an Langs Memoiren am Schreibtisch einschläft, wird mit der Zeit ein rotaugiger Schlafloser und Getriebener. Jegliche Spannung nickt nur leider ein, sobald "The Ghost Writer" versucht, moderne Medien mit Suspense aufzuladen. Ein USB-Stick? So mysteriös wie ein Hydrant. Googlen und Links klicken? Spannend ist was anderes, da kann die Kamera noch so schief auf die Website schielen und der Soundtrack aufdringlich versuchen, wenigstens die Ohren davon zu überzeugen, dass das Rumgesurfe jetzt ein Suspense-Moment sei. Diese Medien und ihre Bedienung (ich liebe z.B. Szenen mit Microfiche-Recherche schon alleine deswegen, weil ich noch nie an so einem Gerät gesessen bin) sind dermaßen befreit von jeglicher Art von Geheimnis oder Mysterium, jedem so vertraut, dass man nicht anders kann, als über McGregors Googleeingaben lachen. Das sah der ganze Kinosaal so.
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Das alles wird einem nochmal stärker klar, als später im Film ein handgeschriebenes Brieflein durch die Menge wandert. Von Hand zu Hand gereicht wird, bis es beim Empfänger angekommen ist. Da hab ich Gänsehaut.
"The Ghost Writer" verblüfft mit einem Pierce Brosnan, der keinerlei Fluchtgedanken in mir auslöst und bringt mit Olivia Williams eine der Schauspielerinnen auf die Leinwand, die ich - so wie Catherine Keener - gern viel öfter sehen würde. Tom Wilkinson braucht wie immer nicht viele Szenen und Sätze, um Eindruck zu hinterlassen. Eindrucksvoll auch der Schluss des Films, wenn das Drama auf der Soundebene auftritt und die Schönheit der Einstellung sich auf der Leinwand weidet.
"The Ghost Writer" läuft seit 19. Februar 2010 in den österreichischen Kinos.
Bei der diesjährigen Berlinale wurde Roman Polanski mit dem Silbernen Bären für die beste Regie ausgezeichnet, entgegengenommen hat den Preis Produzent Alain Sarde. Polanski sitzt - seiner Figur Lang nicht unähnlich - unter Hausarrest in seinem Schweizer Chalet und wartet auf das Auslieferungsverfahren.