Erstellt am: 7. 2. 2010 - 18:38 Uhr
Transmediale Tag 4: Zu groß, zu klein
Tja, elendig lange Schlangen vor dem WMF Club vergeigten mir das Dan Deacon- und Four Tet-Konzert, die Kneipentour mit Glashüttner den nächsten Morgen. Nur im Stream folgte ich der Keynote Conrad Wolrams und der anschließenden Diskussion um die "Ideologies and Futures of the Internet." Angesichts der diesbezüglichen Diskussion am Vortag blieben mir da doch ein paar Fragen offen. Zum einen verstehe ich den Hype um die semantische Suchmaschine (=Frage/Antwort-Maschine) WolframAlpha nicht und damit auch nicht ganz die Rolle Wolframs auf der Transmediale. Sein Vortrag war denn auch mehr eine Diskussion der technischen Möglichkeiten aktueller Netz- und konkret Informationstechnologien und der darum entstehenden und eine Nutzbarkeit voraussetzenden gesellschaftlichen Prozesse. Kurz: Diese Suchmaschine funktioniert noch nicht und Schuld daran ist auch die Gesellschaft, die nicht gelernt habe, richtig zu fragen. Die interessanteste Frage kam - glaub ich - aus dem Publikum: Wenn hier ein Internetangebot Expertenstatus erlangen soll, von dem Individuen zehren sollen, wer kontrolliert dann das Wissen, das diesem Expertenstatus zugrunde liegt. Wer sagt, weiß, steuert, was richtig und wahr ist?
@transmediale.de
Eigentlich war natürlich die Frage: Wie zapft man Wissen an, macht es zu einer zugänglichen Halde und wie können Menschen davon profitieren. Dass Juliana Rotich die transformierende Kraft des Internets da vor allem an mobil zugänglichen Finanzprodukten “in Afrika” festmachte, machte den halbgaren Diskussionsansatz auch nicht besser. Telepolis-Leiter Florian Rötzer versuchte dem eine etwas paranoide Sicht der Herrschaftsmöglichkeiten des Internets entgegenzuhalten: Es könnte eine neue Aristokratie der Netzmacher entstehen, die frei darüber entscheiden kann, ob sie nun online ist oder nicht - und einer Mehrheit, die diese Wahl nicht habe.
Die Diskussion dümpelte weiter vor sich hin, in Wirklichkeit warteten alle wohl auf den Auftritt Bruce Sterlings, der mit seiner Keynote den nächsten Block “A Cultural Speed Control” eröffnen sollte. Ich hatte Sterling noch nie sprechen sehen und war überrascht, wie aggressiv er argumentiert - mir war das zu viel Guru. Er erklärte die Vergangenheit für gestorben: “It’s the end of post-modernism, the end of new-world-orderism, the end of the WTO.” Nicht länger herrsche ein Mindset, in dem der Markt alles regelt und, falls nicht, immernoch das Pentagon mit Bombenkraft für Ordnung sorgen kann. Die Vergangenheit sei keine Kathedrale mehr, vor der man staunend stehe, sondern ein Bazar, in dem man herausgreift, was man braucht und will.
Robert Scoble
Doch: Was jetzt? Es könne doch nicht sein, dass Medientheoretiker und -künstler sich mit begreifbaren, toten Pseudovergangenheiten wir Steampunk aufhalten, kulturelles Pillepalle produzieren, anstatt etwa tote Regimes oder den Kolonialismus als virtuelle Welt auferstehen zu lassen. “You could class up very considerably.” Wieso fristet generative Kunst so ein Nischendasein, warum gibt es keine - wenn ich das richtig verstanden habe und wenn nicht, dann find ich den Gedanken aber trotzdem super (kommt dann ja auch von mir) - generativen Kriege? “Refuse the awe of the future!”, verliert Angst vor der Zukunft!
Es lag an Siegfried Zielinskie, dieser ganzen blasischen Großkotzerei mit einem Konzept des krankhaften Umgangs mit Zeit die Luft abzulassen. Die Paranoia und die Melancholie seien Beispiele dieser “pathologischen Wahrnehmung von Zeit.” Es gehe doch nur darum, der Zeit wertvolle Momente zu entreißen - nicht Zeit ist Geld, sondern Geld, Liebe, … sind Zeit. Zielinski sprach sich im Grunde für einen autonomeren Umgang mit Zeit aus.
Ich konnte Zielinskie, Glashüttner und der Barkeeper sind schuld, nur schwer folgen, versprach mir aber, seinen Vortrag nochmal in Ruhe anzuschauen, nachdem er seinen zwei folgenden Sprechern etwas später hart dazwischen fuhr - und mich kalt erwischte.
Denn zwischendrin stellte Alexander Rose sein größenwahnsinniges Uhr-Projekt der “The Long Now Foundation” vor: Um der Menschheit (der ganzen Menschheit) ein neues Gefühl für die Zeit zu schenken, versucht diese Organisation die Wahrnehmung von ‘Jetzt’ zu erweitern. ‘Jetzt’ soll weder ‘in diesem Moment’ noch ‘in unserer Zeit’ sondern den Zeitraum des menschlichen Einflusses auf Erden umfassen: 10.000 Jahre. Mit viel Gedanken- und Geldbeutelkraft will er eine Uhr in einem Berg versenken, die Jahrtausende überdauert - und regelmäßig in immer neuer Melodie die Zeit schlägt.
Er brachte viele Beispiele für Projekte, die “a long now” verkörpern: Pyramiden (deren aktuelle Struktur nur eine Pixelversion der ehemals glatten Pyramiden seien), der Kölner Dom, den Wald, der extra gepflanzt wurde, um Cambridge-Dachgeschosse auch in vielen hundert Jahren mit passenden Balken restaurieren zu können,…
Irgendwann platzte es förmlich aus Zielinskie heraus: Geht es hier bei “The Long Now” um langfristiges Denken oder ist das nicht in Wirklichkeit ganz schön obszön? Der Mensch sei angesichts der Größe des Universums nichts, gerade einmal dessen Nagelfeilenabfall. Für ihn sagt die Jahrzehntausende-Uhr nicht viel mehr, als: Schaut her, was für ein toller Ingenieur ich bin.
Auch Sterling bekam sein Fett weg, teilte dann aber auch fleißig Kritik aus, bemängelte die als Ideologie getarnte Naivität im Umgang mit dem Internet. Tatsächlich wünscht er sich eine Ghandi-, eine Gurufigur herbei: “We have no ideology, no philosophy, no game plan.” Der triste Ort, der die Informationsgesellschaft heute ist, ist selbstverschuldet: “We are doing this to ourselves every day. Nobody nailed us to those iPods!”
Für mich alles ein wenig zu großspurig, als Ideologiekritik getarnte technologische Kritik usw. usf. Um so glücklicher war ich dann wieder um Zielinski, der doch tatsächlich ins Publikum spuckte: Sein nächster Versuch das Internet zu fassen wird sicherlich ohne so genannte Medientheoretiker und Medienkünstler ablaufen. Er wolle Leute, die das Medium benutzen können, ohne darüber nachzudenken. Die anderen haben nämlich zum Internet schlicht nichts neues zu sagen. Noch so eine Zielinski-Bombe, die weltraumhaft im schweigenden Publikum explodierte (das sich derweil via Twitter über den alten Overheadprojektor des alten Mannes mit den alten Bedenken lustig machte).
Sterlings Versuch, mit ein wenig Singularianer-Kritik auf den Zielinski-Zug aufzuspringen - “christian eschatologie dressed up in computer clothes” - verpuffte denn an mir auch gänzlich. Ich wette, Zielinski hat auch ein wenig gegähnt.