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Felix Knoke Berlin

Verwirrungen zwischen Langeweile und Nerdstuff

6. 2. 2010 - 14:35

Transmediale Tag 2 & 3: Morgen war gestern

Die Wirrnisse des ersten Transmediale-Tages sollten von den Erleuchtungen des dritten überstrahlt werden: Es ging um die Vergangenheit der Zukunft des Internet. Und Shapiro war auch mit dabei.

Nachdem Tag 2 des Medienkunstfestivals etwas erreignislos an mir vorbeigerauscht ist - aus dem Talk zur "Processual Media Art and Theory" nahm ich nur wenig mit, das Web-2.0-Kunst-Gespräch verpasste ich wegen Überfüllung und das Screening der Short Fiction-Filmchen war schön aber nicht weiter erhellend - freute ich mich auf Tag 3: Die Futurity Long Conversation, ein neunstündiger Marathon mit über 20 Gesprächseinheiten zu ebenso vielen Themen. Und am Abend sollten im Rahmen des Club Transmediale auch noch Four Tet und Dan Deacon auftreten. Was will mein Herz mehr?

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Und - die Conversation liegt fast hinter mir, die Konzerte noch vor mir - es hat sich schon gelohnt: Die Keynote hielt Richard Barbrook, ein britischer Sozialwissenschaftler und früher Kritiker der, in aller Euphorie wenig beachteten Ideologie, die der Internetideologie zugrunde liegt. Barbrook war Coautor des Manifests "The Californian Ideology", das mit den Erwartungen des als Hippietum verbrämten Silicon-Valley-Libertarianismus aufräumte, dass mit den neuen Informationstechnologien empanzipatorische Möglichkeiten einhergingen: "The technologies of freedom are turning into the machines of dominance."

In Barbrooks Präsentation, deren Illustrationen es zum Download gibt, ging es dann fast schon unerwartet sloganhaft zu - wahrscheinlich um Jahre von kritischem Denken irgendwie transportabel zu machen: Das Internet sei die Reaktion auf den Cybernetic Communism, von dem vor dem Internet geträumt wurde: "Dotcom Capitalism in the Service of Cybernetic Communism." Das Internet war längst ein ideologisches Projekt, bevor es ein technologisches wurde. Das Internet als wissenschaftliches und militärisches Projekt sei ein Machtbeweis dieser Gruppen. Um unsere Obsession mit dem Internet und dem McLuhan’schen Global Villages zu verstehen, müsse man zurück in die Zeit des Kalten Krieges gehen. Ohne ein Verständnis der damaligen Zukünfte des Internets, sei ein Verständnis von aktuellen Zukünften des Internets nicht zu erreichen. Denn Imperien mussten schon immer die Definitionsmacht darüber haben, was die Zukunft ist, das Internet als Cold-War-Projekt ermöglichte das: Bloß kein neuer, informationstechnologischer Kommunismus!
Und so weiter und so fort. Mir ging bei all dem freilich ein helles Licht auf: Wie naiv war ich doch, als ich mich ranmachte, irgendein in mir grummelnden Internet-Backlash niederzuschreiben - zum Beispiel hier. Natürlich, natürlich, natürlich gibt es eine fundamentale Kritik des Internets schon längst, vor allem eine, die, da sie quasi vor dem Internet entstand, viel tiefgreifender ist. Denn auch ich denke vor allem technologisch, nicht ideologisch, wenn’s ums Internet geht. Pah!

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Richard Barbrook, Imaginary Futures

Die Keynote war kaum beendet, ich hing noch in meinen Gedanken fest, da erblickte ich Alan N. Shapiro auf dem Zeitplan, jenen Shapiro, der mir schon am ersten Transmediale-Tag mit seinen abstrusen Zukunftsvisionen den Tag versüßte. Aber bevor es mal wieder losgehen sollte, quasi als retardierendes Moment, ging es mit Jem Finer (der mit dem 1000-Jahre-Musikstück) und David Link weiter. Es wurde über die Last der Zukunft geklagt, etwa, dass die Konzentration auf die Errichtung der Zukunft in der Gegenwart die Vergangenheit schrumpfen lasse - idealisiert daran, dass die aktuelle Zeitgeschichte vor 30 Jahren mit dem Internet begann. Wir seien in einem ständigen Edit-Mode, es gebe keine Revolution mehr, sondern nur noch Prozesse, die Gegenwart entwickelt sich in einer Art Versioning, in dem alles nur zeitweilig ist und in all dem die Zukunft schon angelegt sei. "Today it’s about bringing the future to the present."

Dann aber saßen plötzlich Shapiro und Finer allein auf der Bühne. Finer stellte sich blöd: Wer sind Sie eigentlich? Und Shapiro antwortete, antwortete, antwortete. Es sah tatsächlich so aus, als ob Finer plötzlich etwas dämmerte. Und als Shapiro dann davon anfing, eine "complete alternative" zur Zeit zu erfinden, mit einem "Programmierprojekt in Java" und dass in unserer westlichen Welt der Fehler sei, dass "we privilege the chronocologal linear time, tictac time, metronome time" zog sich Finer auf seinem Sofa zurück und schaute zunehmend kritischer.

Shapiro nahm das als Anlass, über sein Projekt zu sprechen: "We program a different time. A time without intervals. We take this from the aboriginal version of time." Es ging plötzlich um Wurmlöcher, um geheime Verbindungen, darum, dass Handys eine post-newton’sche, post-einstein’sche, post-relative Zeit unbewusst eröffneten, dass es eine "terrible binary opposition between computing und literature" gebe und dass überhaupt Computerwissenschaft ja nichts mit Wissenschaft zu tun habe, da es nur so eine techy Sache sei, philosophisch im 17. Jahrhundert feststecke, Literatur, Theologie und sogar Mathematik quasi ausgeschlossen habe. Er wolle einen "paradigm shift", verstehe nicht, warum alle den Quantencomputer als Hardware preisen, er entwickle eine Quanten-Programmiersprache und überhaupt das Auto. Das Auto der Zukunft ist ein Shapeshifter, wir brauchen ganzheitliche Wissenschaften und keine Spezialistenärzte und Autos der Zukunft, die auf der Landstraße horizontal und in Städten vertikal funktionieren ---- und es ging immer so weiter, dazwischen wildes Namedropping, Gaga-Zitate - "your mentioning of insects makes me think of buddhism" - und irgendwann saß Ken Rinaldo auf der Bühne und sagte: "The Car of the Future is a Bicycle." Dann ging es, wohl weil Ken Rinaldo alles nicht verstand, um Football und Baseball und Shapiro philosophierte weiter.

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Viel toller in Echt, aber meine Handycam will nicht mehr ...

Was ich zu dem Zeitpunkt nicht wusste: Unten im Foyer lief ein Live-Remix des Gesprächs, The Long Conversion von Sosolimited: Zwei Menschensklaven transkribierten fleißig gesprochenes Wort in Text und ein Computer baute daraus hübsche Worthalden, Statistiken und Soundeffekte. Kurz dachte ich ja, das sei nur Spielerei, bis ich merkte: Gespräche zwischen zwei Menschen lassen ja wirklich viel Freiraum für viele weitere maschinenkompatible Ebenen des Verständnisses zu. Ich freute mich, als ich zwischendrin las: “Wir brauchen keine Geschäftsmodelle, wir brauchen ein Verständnis, warum wir das überhaupt wollen.”

Jetzt sitze ich am Arbeitstisch des FAT-Labs, unter anderem von Evan Roth, der ja auch eine Weile in Wien gastierte, und bereite mich für den Clubabend vor.

Was für ein schöner Tag 3 der Transmediale. Mal schauen, was Tag 4 bringt. Ob ich wohl eine "different kind of time" entwickeln werde?