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Felix Knoke Berlin

Verwirrungen zwischen Langeweile und Nerdstuff

5. 2. 2010 - 14:56

Transmediale Tag 1: Illusionen und Verstand

Die Transmediale will sich als Festival der Medienkünstler an der Gegenwart der Zukunft abarbeiten. Für mich war Tag 1 aber vor allem die Konfrontation mit zwei Wahnsinnigen. (Update)

Während sich Kollege Glashüttner auf dem A MAZE-Festival vergnügte, döste ich im Cryoschlaf, um mich auf die sicherlich anstrengende Woche der Transmediale vorzubereiten. Gleich der erste Transmediale-Tag aber sollte ich als widersprüchlich herausstellen. Das Berliner Medienkunst-Festival will sich am Konzept der Zukunft aufreiben: 2010 sei jene Zukunft, auf die sich vergangene Gegenwarten zukunftshaft bezogen haben. Diese gegenwärtige Retro-Zukunftshaftigkeit ist denn auch das Motto der Transmediale: Futurity Now!

Was dann aber am ersten Tag im Rahmen des “Phuturama”-Talks abgehandelt wurde, war eher ein - wenig überraschendes - Eingeständnis, an der Gegenwärtigkeit der Zukunft zu scheitern: Die anwesenden RednerInnen warfen weniger Licht auf die Zukunft, weder vergangene noch zukünftige noch gescheiterte Zukünfte, sondern zeigten viel mehr, wie sie eine Gegenwartsperspektive für sich zu entwickeln versuchen, welche Rolle sie in der gerade passierenden Zukunft spielen sollen, können, wollen.

Eigentlich versprach der Phuturama-Talk ja große Späße: Das Thema war “Speculative Design”, sozusagen die Kunst, den Alltag der Zukunft zu gestalten. Ich bin mir nicht ganz sicher, nach welchen Maßstäben die RednerInnen eingeladen wurden - ohne mich ja auch nur einen Deut in dem Feld auszukennen, behaupte ich mal: es hätte sicherlich passendere gegeben. Trotzdem waren sie interessant - besonders zwei davon werden mir in Erinnerung bleiben.

Neben einer ziemlich lauen Einführung von Ars-Electronica-Mitgründer H.W. Franke, dem spannenden, aber nutzlosen Post-Mortem des Computerspiels Crysis durch den Crytek-Art-Director, einer Genesis des Mediamarkt-Evolutionswerbespots, einem oberflächlichen zeithistorischen Browsens durch spekulatives Design im Kino und einer interessanten Einführung: Mondrover im Eigenbau der Berliner C-Base-Bastler sprachen zwei ganz schön gegensätzliche Figuren. Beide wahnsinnig.

Nummer Eins ist Holger Logemann, ein Fan der deutschen Science-Fiction-Heftchenserie “Perry Rhodan” und Kopf des größenwahnsinnigen Korvettenprojekts 3435 A.D.. Das Korvettenprojekt 3435 A.D. will zumindest einen, in Wirklichkeit drei, ganz in Wirklichkeit aber alle Kugelraumer-Raumschiffe der Perry-Rhodan-Romane in CAD nachbauen um so eine irgendwie vertrauenswürdige Basis für die eh schon durchschauten, analysierten, re-konstruierten Romanbauten zu finden. Allein, weil in mehr als 2500 Bänden mehr Scifi-Technik zusammenfantasiert wird, als es jemals im Star-Trek-Universum geben könnte, ist dieses Vorhaben irre. Aber: Es ist gut gediehen - auch dank des angeschlossenen Perry Rhodan Technikforums, in dem Fans die technischen Wahrheiten der Romanheftchen erkunden, aufschreiben und diskutieren.

@korvettenprojekt.de

Logemann zeigte, wie sich in den vergangenen Jahren das Technikdesign der Perry-Rhodan-Zeichner veränderte, wie es immer wieder Versuche gab, den kreativen Anforderungen der Autoren eine gewisse Ewigkeitlichkeit zu verleihen, in dem technische Prinzipien erfunden werden, die durchgehalten werden müssen. Um Serienfigur Atlan aus Heft 1792 zu zitieren: "Das klingt zwar nicht besonders wissenschaftlich, aber es wird es wohl treffen. Ich glaube nicht, dass wir je verstehen werden, was sich hier abgespielt hat".

Den Abschluss des Phuturama-Talks machte dann Wahnsinniger Nr 2: Alan N. Shapiro, seines Zeichens Programmierer, Autor unter anderem eines Star-Trek-Buches und schier unerträglich arrogant. Zuvor schon mischte er sich in eine Diskussion ein, kanzelte zwei Redner barsch ab und lobte einen Dritten - den Texter des Mediamarkt-Werbespots - für dessen Radikalität. Das alles mit einer rätselhaft, leisesprecherischen Genie-Haltung (wildgewordene Finger, sanfte Posen), dass mir nur übrig blieb zu denken: So viel Arroganz muss was mit Kompetenz zu tun haben.

Hatte es nicht: Wie sich später herausstellen sollte, war das nur das Vorspiel, um sich selbst als Revolutionären der Welt darstellen zu können. Shapiro nämlich will einen “very fundamental change, what cars are.” Er hat dazu einen Aufsatz geschrieben, den zu lesen viel Spaß macht. Allein schon wegen Sätzen wie diesen: “This analysis of the deficit of the automobile with respect to TV, computers, and telecommunications leads to the formulation of the idea of the "Car of the Future" as a new VR entertainment platform: the Tele-Car or Tele-Mobile, the Holo-Car. “ Davor und danach kommt so viel McLuhan, Virilio, Derrida und quasi-soziologisches Blabla, dass ich - noch in Shapiros Vortrag lesend - zweifelte: Vielleicht ist das ja doch nicht “the probably most important statement on cars” ist, das je ein Mensch machte, zumindest aber etwas Interessantes, Wildes, hoffentlich Wirres.

@transmediale.de

Leider waren Shapiros Autovisionen dann so absurd, dass nicht nur ich grienend und krümmend da saß und gar nicht mehr auf die Projektionen schauen konnte, geschweige denn auf Shapiro. Dessen Auto-Revolution ist zweiteilig:

Revolution 1: Autos sind Cyborgs (viel pseudotheoretisches Bla) und verändern ihr Aussehen je nach Kontext: außerhalb der Stadt ist es horizontal ausgerichtet, innerhalb der Stadt vertikal.
Auf die Nachfrage des Moderators, wie das mit der Sicherheit und dem Antrieb funktionieren soll sagte Shapiro: Man brauche halt einen kleinen Motor und die Sicherheit ist höher als bei heutigen Autos. Überhaupt, was für eine doofe Frage, drückte sein Blick aus. Faltbare Autos, soo schlecht mag die Idee nicht sein, dachten wir uns, besonders die Varianten der Faltbarkeit (Muskel-, Origami-, Skelettsystem) - bis er Revolution 2 vorstellte.

Revolution 2: Das Auto habe gegenüber “TV. Computer, Telekommunikation” Nachteile, die es nur wettmachen könne, wenn “the car will become a cockpit for all kinds of simulations or virtual realities.” Das Auto der Zukunft sei nämlich eine Spielkonsole: “It’s a new media of simulated driving”. Sprich: Das Auto der Zukunft ist ein Auto-Simulator. Das, und da brach es prustend aus mir heraus, sei auch die Lösung für aktuelle Umweltprobleme: “The main problem of cars - like umwelt, stau, using too much petroleum, verkehr - will all be helped by this virtual game concept - people will use it half the time in the second mode of entertainment.” Im Auto sitzen und so tun, als ob man fährt, anstatt wirklich zu fahren hilft also der Umwelt.
Danach wurde es weiter absurder, Einstein musste herhalten, es ging um Raum/Zeit, um Zukunft, darum, dass sein Auto der Zukunft “a moving in to a 21-century space-time” sei. Alles vorgetragen mit einer unglaublichen arroganz-gestützten Selbstsicherheit, dass einem Angst und Bange werden konnte. So beschrieb er etwa seine Auto-Credits damit, dass er bei VW eine Vertriebs- und Spracherkennungssoftware mitentwickelt habe - ohne mit der Wimper zu zucken.

@ 2010, Nick Pugh and Alan N. Shapiro

Und so weiter und so fort. Endgültig mein Herz erobert aber hatte die völlig unerwartete Klammer zur Sicherheitsfrage, eingangs. Nämlich als Shapiro ganz schön lächerliche 70er-Jahre Illustrationen seines Autos vorführte (leider hab ich davon weit und breit keine Bilder gefunden), wo in einem wahnsinnig langgezogenen Auto ein Kind quasi unter der Motorhaube lag und durch eine Glasscheibe auf die Straße schaute. Meine Tochter, die Knautschzone. Der Mann ist ein Genie.

Mal schauen, was Tag 2 bringt.

Update: Alan Shapiro hat mir diese Skizze zukommen lassen, aus der hervorgeht, wie sein Auto der Zukunft seine Form an die Verhältnisse anpassen kann. Außerdem schreibt er:

"I am extremely pleased by Felix Knoke's commentaries on my various interventions at Transmediale 10. To be attacked in exactly the kind of tone and style that Felix practices is a great honour for me. This is an exact clone of how my intellectual hero, Jean Baudrillard, was often attacked. Thanks for this great publicity!

I had a great time at the Transmediale. I saw a lot of friends and met some new friends. Gregor Sedlag's PHUTURAMA event was very successful and interesting. The LONG CONVERSATION format is brilliant. It was very exciting to return to the auditorium in the evening and see the dialogues still going on."