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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

28. 1. 2010 - 19:42

Afrika-Cup-Log, 17. Turnier-Gedächtnis.

Die Geschichten, die der Semifinal-Tag schrieb. Nachtragende zu Nigeria und Algerien, behübschende für Ghana und Ägypten.

Africa Cup Log

Hier die Infos zum Semifinaltag.

Ich will ja nicht die alte Phrase von der ausgleichenden Gerechtigkeit aufwärmen - Tatsache ist aber, dass Turniere, wenn sie schon nicht in jeder Hinsicht fair&just verlaufen, ein Gedächtnis haben.
Und das dann auch abzurufen versteht.
Manchmal auch in Momenten oder nach Spielen, wo man nicht mehr damit gerechnet hat.

So hatte das Turnier nicht vergessen, wer wie in dieser erste Semifinale gekommen war. Nigeria mit vier richtig mäßigen, teilweise sogar schlechten Spielen, Ghana hingegen mit drei anständigen Auftritten, sogar bei ihrer einzigen Niederlage (als sie im 1. Match gegen Cote d'Ivoire ein völlig neues Line-Up erst einspielen mussten) hatten sie Sturm und Drang aufzubieten.

Schlußendlich war es dann diese Gesamt-Performance, die das Turnier belohnte, indem es Ghana den ersten Finaleinzug seit 1992 zugestand - und nicht die Leistung im Spiel selber.

NIgeria bezahlt für ein bisher miserables Turnier

Denn da war Nigeria deutlich besser. Schon der erste Angriff im Match, in dem versucht wurde Obafemi Martins (jetzt bei Wolfburg) ins Spiel zu bringen (der erste von geschätzten drei Dutzend weiteren), war besser als alles, was die nigerianischen Stars bislang in diesem Turnier geboten hatten.
Das hatte mit der schon zuletzt auffälligen Maßnahme John Obi Mikel in die offensive Mittelfeld-Zentrale zu stellen, ebenso wie mit der Tatsache dass Ersatz-Kapitän Yakubu (der seinen Everton-Kollegen Yobo vertritt) diesmal draußen blieb. Das brachte einerseits den wesentlich beweglicheren Martins ins vorderste Sturm-Zentrum, andererseits verlieh die Kapitäns-Binde dem bisher eher als ewigem Talent bekannten, russian-born Flügel Peter Odemwingie soviel Wucht, Verantwortung und Dynamik, dass er seine Mannschaft fast im Alleingang in jeden Angriff führte.

Leider waren Mikel (Chelsea) und der Hoffenheimer Obasi zu formschwach, war Martins in all seiner Gefahr immer ein Spürchen zu unpräzis. Und in der Defensive leistete sich Nwaneri wieder mehr Fehler als Shittu ausbügeln, war Ayila im Mittelfeld geistig unkonzentrierter als Mitspieler Kaita. Als auch noch der aktive Rechtsverteidiger Yusuf zunehmend abbaute und gegen Spielende verletzt ausschied, waren das zu viele Schwachstellen in einer Mannschaft, die in diesem Turnier viel zu spät auf Touren gekommen war.

Ghana wird schon als Option auf die Zukunft gefördert

Das, und die geistige Müdigkeit, mündeten etwa in einer zunehmend grausamer anzuschauenden Monokulutur: dem weiten Paß in die Spitze (später dann, mit Yakubu, in die Doppelspitze) die sich dann erhängen konnte.

Diese Geschichte konnte und sollte sich für Nigeria also nicht gut ausgehen.
Was auch damit zu tun hat, dass sich die Erfolgsstory der jungen Black Stars aus Ghana besser erzählen läßt, als das Aufbäumen einer doch ein wenig überkommenen reinen Star-Struktur (siehe auch: Kamerun und Cote d'Ivoire) der Nigerianer.

Denn diese Mannschaft kommt aktuell ohne ihre besten fünf, sechs Spieler aus und hat es geschafft in diesem Turnier ihre jungen U20-Weltmeister einzubauen; schneller als das geplant war.

Und das ist gelungen. Inkoom, Andre Ayew oder Opoku spielen neben Kingson, Vorsah, Draman, Asamoah und Gyan, als wäre das gar nichts Besonderes. Und zwar gegen den Gastgeber und dann auch noch gegen Nigeria.
Und es ist das bereits dritte Spiel, das sie mit 1:0 gewinnen. Dreimal gab es eine relativ frühe Führung, die das Team dann nicht mittels Beton-Taktik über die Zeit zitterte, sondern mit recht hohem Selbstbewußtsein heimspielte; nicht ohne selber etwas zu generieren.

Fingerzeige für die Zukunft

Zudem ist Ghana, vor allem im Vergleich zu den drei zurecht dramatisch aus dem Turnier gekippten Star-Vehikeln (Kamerun, Cote d'Ivoire und Nigeria) taktisch wirklich und nicht nur auf dem Papier flexibel. Auf dem Papier deshalb, weil bei den Superstar-Teams sich die Superstars über das Kollektiv, das System stellen (Eto'o als selbsternannter Playmaker, Yaya Toure oder Drogba, die sich deutlich sichtbar nicht an Marschrouten halten) - das ist bei Ghana nicht passiert, selbst als der verletzt abgereiste Michael Essien noch dabei war.

Ghana kann sein 4-2-3-1 jederzeit auf ein 4-4-2 switchen, hat mit Kwadwo Asamoah (Udinese) zudem noch einen zentralen Mittelfeldspieler der dem modernen Alleskönner-Ideal sehr nahe kommt, (am ehesten ist er mit Cesc Fabregas zu vergleichen). Das geht natürlich nur dann, wenn man über international ausgebildete Spieler verfügt (die seit jungen Jahren in den guten Fußball-Schulen in Italien, Frankreich, Deutschland oder Holland lernen) und über ein Coaching (Milovan Rajevac) dass mit diesen Fähigkeiten arbeitet anstatt sich auf Naturburschen und Hierarchien verlassen.

Das wäre ein Fingerzeig auch für heimische Coaches/Experten. Ich sage das bewußt im Konjunktiv, weil mir klar ist, dass die hiesige Trainer-Kultur dem, was sich auf afrikanischem Top-Level tut, kilometerweit hinterherhinkt. Und zwar auch wegen der (auch durch den Boulevard, der gewissenlose Populisten in die Trainerjobs schreibt, mit denen man dann besser "arbeiten" kann, angeschobenen) Ignoranz hiesiger Strukturen.

Theatre of Hate

Die Ausgangs-Position für Ägypten - Algerien ist eine Katastrophe: brodelnde Emotionen seit dem Entscheidungsspiel in Karthoum, Abbruch diplomatischer Beziehungen, der jeweilige Gegner werden in den Medien der beiden Länder nicht einmal mehr mit Namen erwähnt, es regiert der Hass.

Dass davon im Vorfeld einiges, auf dem Platz dann aber kaum etwas anzumerken ist, halte ich beiden Teams mehr als nur einfach zugute.

Auch im zweiten Semifinal-Spiel erinnert sich das Turnier an etwas, was man wegen des Einzugs in die KO-Runde gern übersehen mag: dass Algerien es nur mit einem Tor (dem Siegtreffer gegen Mali) geschafft hat. Nicht dass die Nordafrikaner besonders schlecht gewesen wären - aber es lag auch an den nicht vorhandenen Erwartungen, dass ihnen nicht mehr an Vorwürfen gemacht wurde: denn wirklich gut war ihr Turnier, vor allem in der Vorrunde, nicht.
Und der gesamte Kredit war dann im aufregenden, aufwühlenden, nervenzerfetzenden, mit einer unglaublichen Verlängerung ausgezeichnetem Spiel gegen die Cote d'Ivoire verspielt.

Gegen Ägypten, die als einzige Mannschaft im Turnier bislang viermal wirklich ansehnlich auftraten, konnte sich das nicht ausgehen.

Halliche gibt, Halliche nimmt

Ironie des Schicksals, besser: des Turnier-Gedächtnisses war es bloß, dass der Sargnagel ausgerechnet Halliche sein mußte. Der Verteidiger von Nacional Funchal hatte mit seinem Kopftor gegen Mali das Weiterkommen ermöglicht - sein Foul an Meteeb brachte nicht nur das erste Tor, sondern auch eine gelb/rote-Karte und Algerien eine Unterzahl, von der man sich nicht mehr erholte.
Rafik Halliche, der, der es gegeben hatte, nahm es auch wieder.

Dem algerischen Team ist wenig zum Vorwurf zu machen: man hat sich so halbwegs präsentiert, quasi für die WM eingespielt und zumindest angedeutet, wo man seine Stärken haben könnte. Die Einser-Abwehr etwa (wenn dann auch Tormann Gaouaoui wieder fit ist) sieht ganz gut aus, mit Mansouri und vor allem Yebda hat man ein stabiles defensives Mittelfeld. Dazu gute offensive Akteure wie Matmour und Ziani und Angreifer wie Ghezzal oder Bouazza.

Dass Algerien das Halbfinale mit nur 7 Feldspielern beenden mußte, sollte nicht überbewertet werden. Zwei der drei Ausschlüsse haben direkt mit der erwähnten Halliche-Aktion zu tun, diese Undiszipliniertheiten sind wohl eher in den Griff zu kriegen als das Cristiano Ronaldo-Gehabe von Wunderkind Meghni.

Wenn diese Mannschaft die richtigen Schlüsse aus dem Turnier zieht, dann kann es bei der WM eine brauchbare Rolle spielen. Und das ist dann auch wieder dem Gedächtnis dieses Turniers zu danken.

Dreimal in Folge?

Es ist in der durchaus auch schon langen Geschichte des Afrika-Cups (der seit 1957, also länger als die Europameisterschaften, und dazu bekanntlich alle zwei Jahre stattfindet) war es noch nie der Fall, dass ein Team dreimal hintereinander die Trophäe geholt hat.

Ägypten ist das zuzutrauen.
Weil man taktisch eine erstaunliche Bandbreite und Flexibilität an den Tag legt - und auch weil man sich - nach heftiger Kritik - zumindest ein bisschen verjüngt hat. Zwar sind es immer noch Hosny und der gefühlt gut 45jährige Ahmed Hassan, Gomaa und El-Hadary, die das Team anführen; aber die fighten wie die Jungen.
Und die Aufteilung der Mittelfeld-Arbeit mit Hosny, Hassan, aber auch Fathi und Ghaly erinnert mich schon ein wenig an das was Barca/Spanien diesbezüglich vorgelegt haben: universell denkende und handelnde Spieler, die alles können und auch alles machen, defensiv wie offensiv.

Ägypten kann ich es auch nachsehen, dass man mit Libero operiert. Denn erstens ist Hany Said ein zentral-Verteidiger, der bei Bedarf auch ins Mittelfeld geht und zweitens sind die Außenspieler echte Außenspieler, regelrechte Angreifer.
Und Fathi bzw später El-Mohamady (weil Fathi das Pech hat, jede Position spielen zu können, wird er überall eingesetzt) rechts und Moawad links spielen, das ist herausragend. Das hat aber im ägyptischen System (ich sage nur Mohamed
Barakat, ich erwähne nur the great late Abdelwahab) Tradition.

Nachdem vorne immer einer der beiden Stürmer die Unform des anderen kaschiert (meist ist es Meteeb, der Zidans Ausfall ersetzt) und es jetzt mit Gedo auch noch diesen unbekümmerten 7Spiele-5Tore-Typen gibt, ist auch die Torgefahr der Ägypter gegeben.

Lieblings-Finale

Nachdem das Turnier-Gedächtnis also funktioniert, habe ich mein Lieblings-Finale bekommen: die jungen Nachdrücker aus Ghana, die sich taktisch so vorbildlich verhalten und das was sie in den guten Ligen gelernt haben, so Klasse umsetzen sind da ebenso drinnen wie der Titelverteidiger, der die letzten Jahre immer vorbildlich an sich und seiner Strategie gearbeitet hat.

Es werden also zwei Teams belohnt, die sich was denken bei dem was sie tun. Das ist ja durchaus nicht immer so. Weswegen dem Turnier-Gedächtnis diesmal ein spezielles Danke gebührt.